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Die Fraktionschefs der Grünen im Bundestag: Renate Künast und Jürgen Trittin
© dpa

Ökopartei: Die schwerste Krise der Grünen

In Berlin streitet die Ökopartei um die Richtung und ihr Personal. Und das, was ihr in der Hauptstadt passiert, droht ihr auch im Bund: Enttäuschung und Zersetzung.

Die Grünen stehen vor ihrer schwersten Krise seit Anfang der neunziger Jahre. Damals waren sie aus dem Bundestag geflogen. Heute könnte ihnen ihr ganzer Laden um die Ohren fliegen. Manche Grüne ahnen es vielleicht, aber wahrhaben wollen es die meisten nicht. Dafür waren die Umfragen in den vergangenen ein, zwei Jahren einfach zu schön – auch zu schön, um wahr zu sein.

Denn das, was gerade in Berlin passiert, im kleinen Berlin, dem der Landespolitik, das könnte sich bald wiederholen im großen Berlin, dem der Bundespolitik. Erst der Absturz aus dem Erwartungshimmel, dann die Landung in der Oppositionshölle: Nicht nur, dass sie das Regieren anderen überlassen müssen, wieder einmal, zum zweiten, dritten Mal, weil sie zu schwach sind oder zu kompliziert oder als zu wankelmütig gelten; auch die Neugier, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gilt jetzt zudem noch anderen: den Piraten.

Wirklich bedrohlich für die Grünen ist, was sie sich selbst antun. Der bizarre Streit im Berliner Landesverband über die Besetzung des Fraktionsvorstands, der formal als einer zwischen Linken und Pragmatikern dargestellt wird, tatsächlich aber viel tiefer geht, lässt erahnen, was der Partei auch anderswo und auf einer anderen, wichtigeren Ebene bevorsteht.

Sie wurden wiedergewählt: Volker Ratzmann und Ramona Pop.
Sie wurden wiedergewählt: Volker Ratzmann und Ramona Pop.
© dpa

Wenn man sich den Mikrokosmos der zahlenmäßig leicht gestärkten, aber zerrissenen und deshalb de facto geschwächten Berliner Fraktion anschaut, zeigt sich ein eklatanter Mangel an gegenseitigem Respekt. Was auch immer im Einzelfall dahinterstehen mag, Wut, Enttäuschung, Eitelkeit, Trotz, Stolz, hier wird nicht mehr Politik gemacht, sondern zerstört.

Daran ist zweierlei bemerkenswert. Zum einen hat das Ganze, pünktlich zu Halloween, einen gewissen Gruseleffekt: Dieser Fraktion, kaum konstituiert, schon chaotisiert, wäre beinahe die tragende Rolle in einer Landesregierung zugefallen, bei einer Stimme über der absoluten Mehrheit. Da hätte der Schrecken kein Ende genommen. Zum anderen zeigt der Zerfall der Fraktion, dass eine zentrale politische Frage bei den Grünen, einer Partei, die an einer Bundesregierung beteiligt war, einen Ministerpräsidenten stellt und sich bald im Kanzleramt wähnte, verblüffend offen ist: die nach ihrem Demokratieverständnis.

An zwei ganz unterschiedlichen Haltungen lässt sich das feststellen. Das ist zum einen der knapp wiedergewählte Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann. Den sich als links verstehenden und entsprechend organisierten Abgeordneten, die einen der beiden Sitze für sich beanspruchen, teilte er kühl mit, Mehrheit sei Mehrheit. Ein Affront nicht nur gegenüber den Linken, sondern der gesamten Partei, zu deren Philosophie es gehört, Minderheiten und Benachteiligte an führender Stelle einzubinden. Die Linken wiederum wollen die – formal korrekte – Wahl Ratzmanns nicht anerkennen und eine autonome Zelle innerhalb der Fraktion bilden, wählen also die Obstruktion.

Und das verstehen die Grünen unter Demokratie? Viel Verständnis dürfen sie nicht erwarten. Nicht in Berlin, nicht im Bund.

Lorenz Maroldt

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