zum Hauptinhalt
Individuelle Unterlagen eines Häftlings aus dem Konzentrationslager Dachau. Etwa 30 Millionen Dokumente werden vom Internationalen Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen (Hessen) konserviert, um ihren Erhalt zu gewährleisten.
© dpa

Erinnerungskultur zur NS-Zeit: Die Nazis sind immer die anderen

Die Opfer und Täter der NS-Zeit sind immer wieder Gegenstand von Verfilmungen - zuletzt im ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“. Doch die Trilogie macht "aus Schweinen arme Schweine", meint Christiane Peitz.

Offenbar kann es gar nicht genug davon geben: von der Privatisierung des Politischen, der Konkretisierung der Geschichte, der sinnlichen Anschauung dessen, was NS-Zeit war, Feldzug, Krieg und Bombennächte. Die Nazis sind unter uns, hautnah und in Farbe, solche TV-Filme haben Dauerkonjunktur, von „Speer und Er“ über „Dresden“, „Die Flucht“ und „Rommel“ bis zum ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“. Was früher Histotainment und Dokufictions von Guido Knopp oder Heinrich Breloer, sind jetzt die von Nico Hofmanns Teamworx-Firma inszenierten TV- Events. Zuverlässig versorgen sie die Angstlust der Nation mit frischem NS-Gruselstoff. Einhelliges Lob hat der Dreiteiler über fünf junge Menschen von 1941 bis 1945 erfahren. Endlich wird gezeigt, wie’s wirklich war, Geschichte von unten mit schmutzigem Krieg und moralischem Sündenfall, so der Tenor. Seltsam, dieses „Endlich“. Filme über die Wahrheit und die verrohende Wirkung des Kriegs sind nun wirklich nicht neu. Von „Die Brücke“ über all die Vietnamfilme von „Platoon“ bis zu „Der Soldat Ryan“ bilden sie längst ein Genre. Zudem hat die menschelnde Parallelerzählung von Täter- und Opfer-Geschichten in der Fernsehserie „Holocaust“ schon 1979 in den Familien das Schweigen über die Vergangenheit gebrochen und eine Debatte ausgelöst, die als Zäsur in die Geschichte der deutschen Erinnerungskultur einging. Sie kurbelte die Bilderproduktion zur Frage von Schuld und Verstrickung derart an, dass noch „Unsere Mütter, unsere Väter“ davon profitiert. Jedenfalls versammelt der Film zahlreiche Versatzstücke, aus Rainer Werner Fassbinders „Lili Marleen“, Claude Lanzmanns „Shoah“ oder Joseph Vilsmaiers „Stalingrad“.

Noch seltsamer: Wer die Helden des Dreiteilers, diese blutjungen Menschen beim Russlandfeldzug und ihrem Überlebenskampf in Berlin drei Abende lang erlebt hat, muss erneut den Eindruck gewinnen, es gab damals nur Opfer. Also nur Täter wider Willen (außer dem obermiesen SS-Major). Erschießungskommandos, die Affäre mit dem Gestapo-Mann, der dem jüdischen Freund helfen könnte – alles Zwangslagen, die grundgute Menschen zu bösen machten. Der typische Deutsche im „Dritten Reich“, denkt man nach 270 Minuten, war 17, naiv, moralisch integer. Er wurde in den Krieg geworfen wie in eine Naturkatastrophe (deshalb die vielen Impressionen einer unwirtlichen Natur). Ein tragisches Schicksal ließ ihn seine Unschuld verlieren, nötigte ihn zur Teilnahme an den Gräueln des Hitler-Regimes, zwang auch einfache Soldaten zum Morden. Selbst wer desertiert, muss bald zurück ins Bewährungsbataillon. Und sich mit schrecklichen Skrupeln plagen. Drastisch gesagt: „Unsere Mütter, unsere Väter“ macht aus Schweinen arme Schweine.

Die Nazis sind immer die anderen. Sie taugen bestenfalls zu Randfiguren, so stereotyp wie die antisemitischen Polen und die blutrünstigen Russen. Eine Entlastungsstrategie, typisch Teamworx: Ja, die Deutschen haben sich die Finger schmutzig gemacht, aber sie hatten keine Wahl. Und die Nachbarn im Osten waren genauso schlimm. „Damals waren wir Helden. Heute sind wir Mörder“, heißt es im letzten Teil. Klar, es gab Zwangslagen, entsetzliche, heute kaum vorstellbare Dilemmata. Aber es gab auch die Mitläufer, die Hunderttausende kleiner Profiteure, denen es bis weit in den Krieg hinein gut ging – was man schon bei Hans Fallada nachlesen kann.

Und es gab Menschen, die sich anders entschieden, die Widerstand wagten, die Juden versteckten und nicht mit den Nazis ins Bett gingen. Es gab eine Wahl, jedenfalls für die, die das Regime nicht verfolgte. Die Mär von der NS-Zeit als Schicksalsschlag setzt all jene ins Unrecht, die diesem vermeintlichen Schicksal trotzten, unter Lebensgefahr. 80 Jahre nach 1933 wollen wir Nachgeborenen noch etwas anderes ganz genau ins Auge fassen. Wie war das in meiner Straße, in meinem Kiez, wo mussten die Juden zur Sammelstelle, welche Werkstätten haben Zwangsarbeiter beschäftigt? Auch das Berliner Gedenkprogramm „Zerstörte Vielfalt“ konkretisiert Geschichte. Aber es entlastet nicht, sondern löst einen heilsamen Schrecken aus. Ja, die Nazis waren mitten unter uns, deshalb musste man die Augen schon fest verschlossen haben, um so naiv zu bleiben wie die Helden des ZDF-Films. Das wissen wir heute genauer denn je – und vergessen es wieder, sobald wir den Fernseher einschalten.

Zur Startseite