zum Hauptinhalt
Unsere Mütter, unsere Väter - Protagonisten der ZDF Serie stoßen an
© David Slama

ZDF-Dreiteiler: Unsere Mütter, unsere Väter - Protokoll einer Verrohung

Eindringlicher kann der Nazi-Schrecken nicht wirken: Der ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ aktualisiert Träume, Albträume – und Schuld.

Fakten, nicht Feuilleton: „Das Deutsche Reich verlor während des Krieges schätzungsweise 3,8 bis 4 Millionen deutsche Soldaten und 1,65 Millionen Zivilisten. Die weitaus meisten Toten beklagte mit 25 Millionen Menschen die Sowjetunion. Der Judenverfolgung fielen nach Schätzungen insgesamt 5,6 Millionen bis 6,3 Millionen Menschen zum Opfer.“ Die Zahlen – grabsteinhart und unfassbar – stehen am Schluss des Pressematerials, das den ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ begleitet.

Im Kinderlied über Fischlein und Sternlein heißt es: „Gott, der Herr, hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet an der ganzen großen Zahl.“ Das sollte uns als Kinder beruhigen. Erwachsen denken wir an die unzähligen Erzählungen, die zu der ganzen, grausigen Zahl gehören. Und erkennen: Zählen heißt nicht begreifen. Vielleicht hat Gott gesagt, was der Kinderreim unterschlägt: Das mit den Erzählungen müsst ihr selber tun. Ihr und eure Massenmedien seid es der Nachwelt schuldig.

Aber wer will diese Werke über die Hitlerzeit noch? Man muss ja nur in sich hineinhören, wie es da so grummelt: Genre, Pflichtübung, so lange her, keine Quelle für Erneuerung des Mediums, Schwelgen in den Formen von gestern.

Unsere Mütter, unsere Väter zeigt: Das Fernseherzählen von Vergangenem ist Fernsehzukunft

Doch dann. Mitten im Vielen das Besondere. Der ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“, die fiktive Rekonstruktion des großen kriegerischen Mordens an Körpern und Seelen, ist das am meisten beeindruckende Unternehmen der jüngeren Fernsehzeit. Nicht wegen des Themas, sondern wegen der Form.

Man entdeckt: Das Medium perfektioniert sich als Geschichtserzähler, als selbstbewusster Historiker, der gelernt hat, was er kann und was er nicht kann. Vergangenheit ist zwar vorbei, aber das Fernseherzählen von Vergangenem ist Fernsehzukunft. Eine Firma wie Teamworx, Produzent von „Unsere Mütter, unsere Väter“, hat exemplarisch am Problem der Übersetzung von vergangener Gegenwart in heutige Fernsehwirklichkeit gearbeitet. Eine Zeit lang favorisierten Nico Hofmann und sein Team das Melodram, für Hochkunst eine bedenkliche Form, aber wie der Geruchssinn ein direkter Weg ins Herz und Hirn des sentimental abgerichteten Fernsehzuschauers. Es fiel schwer, sich gegen die Liebesgeschichten von „Der Tunnel“, „Luftbrücke“, „Dresden“ und „Die Flucht“ zu wehren, den Amorgöttinnen und Göttern wie Nicolette Krebitz, Maria Furtwängler und Heino Ferch nicht zu erliegen. Aber, so schön die Feier der Liebe ist, sie ist auch etwas sehr Allgemeines, nicht das Ganze, kein Staubsauger, in dem die Komplexität einer Epoche verschwindet.

„Unsere Mütter, unsere Väter“ ist deshalb ein Fernsehereignis, nicht weil es neue Fakten berichtet oder von vergessenen Inseln erzählt – die Themen des Dreiteilers, Soldat sein, Frontleiden, Judenverfolgung, Verrat, Lazarettqual sind alle schon behandelt worden –, sondern weil die 270 Minuten Film eine überzeugende Form finden, verschiedene Handlungsstränge zu verbinden und Krieg und Hitlerzeit als das Protokoll einer allgemeinen und schuldhaften Verrohung zu erzählen, der sich niemand entzieht. Begreifbar wird, dass der Verlust von Anstand und Ehre so schlimm ist wie der Tod. „Unsere Mütter, unsere Väter“ wirkt wie ein Feldpostbrief, der mit über 70-jähriger Verspätung auf dem Bildschirm ankommt. Wenn man ihn liest, merkt man, wie sehr die Überbringer mitgeschrieben haben.

Stefan Kolditz liefert ein Generationenporträt

Stefan Kolditz, 1956 in Kleinmachnow geboren und in der DDR groß geworden, hat mit „Dresden“ (2006) Preise gewonnen. Er kennt sich also bestens mit dem TV-Melodram aus, er kann es deshalb auch sprengen und ein Generationenporträt liefern. In acht Jahren Arbeit hat er Material für die Mütter- und Väter-Geschichte gesammelt und dann einen entscheidenden Schritt gewagt. Zur historischen Wahrheit im fiktiven Fernsehen gehört neben Faktentreue auch eine kleine Rebellion gegen die Fakten, die trotzdem der Wahrheit dient. Kolditz erfand eine fünfköpfige Freundesfamilie, ein Brüderpaar, der Jüngere kriegsskeptisch, der Ältere kriegsbereit, dazu eine nazibegeisterte Krankenschwester, einen aufgehenden Starstern, die einen jüdischen Schneider liebt, das fünfte Mitglied der Gruppe.

Unsere Mütter, unsere Väter: Die Geschichte um ein Heldenkollektiv

Sie treffen sich in Berlin und verabreden ein Wiedersehen, wenn der Krieg vorbei ist. Beispiele wie die Nachkriegskindercliquengeschichte „Wölfe“ oder die packende Familientragödie „Weißensee“, Stasi-Brutalität als „Dallas“-Serie, haben erwiesen, wie fernsehgerecht die Erweiterung des Handlungssubjekts von dem individuellen Helden auf ein Heldenkollektiv wirkt. Wie Geschichte und deren Flüche dann nicht nur als von außen kommend sichtbar werden, sondern untereinander geschehen.

Wider alle historische Wahrscheinlichkeit – wann kamen Brüder in ein und dieselbe Einheit? Wann begegnete man im Russlandfeldzug Freunden? – laufen sich die unglorreichen Fünf während des Krieges immer wieder über den Weg und können ihre Verzweiflung und Verstrickung im bekannten Gegenüber spiegeln. So, im Austausch, wird das Lebensgefühl einer sich auch schuldhaft verlierenden Generation transportiert.

Die zum Russlandfeldzug einberufenen Brüder, Wilhelm (Volker Bruch), der Nico Hofmanns Vater nachempfunden ist, und Friedhelm (Tom Schilling), der Jüngere, erleben nicht nur eine militärische Niederlage, sondern den Verlust aller moralischen Reste in ihrer Persönlichkeitsstruktur. Aus Wilhelm, vom Vater zum Tapferen und Aufpasser auf den Jüngeren berufen, wird ein Orientierungsloser, dem der innere Ausweg, nicht schuldig zu werden, wenn man sich nur militärisch professionell verhält, durch bittere Erfahrung als Illusion bewusst wird. Wer nicht einschreitet, wenn die SS die Soldaten zu Mordbütteln bei der Judenverfolgung degradiert, der verliert die Achtung vor sich selbst.

Sein jüngerer Bruder geht scheinbar den umgekehrten Weg, aber auch der endet in der Trostlosigkeit des eigenen moralischen Versagens. Friedhelm, der Kriegsverachter, hatte sich Hermann Hesse an die Front mitgenommen, er glaubte an die Möglichkeit von inneren Fluchten. Aber in Russland gibt es von Erschießungen blutverseuchte Sümpfe, tumbe Kameraden, Abschlachten ohne militärischen Sinn. Die Innerlichkeitspanzer halten nicht stand, die Brutalität ist stärker, der Sensible verkommt wie der Tapfere.

Die Frauen im ZDF-Dreiteiler: Miriam Stein als Nazi-Überzeugte "Charly"

Und unsere Mütter? Ihr tapferen Frauen, ihr Hüterinnen des Lebens und der Liebe, ihr Hoffnung Deutschlands? Die Amoral kennt in diesem unbarmherzig unideologischen Werk mit den drastischen Bildern von Schlacht und Mord keine Geschlechter. Charly, die Nazi-Überzeugte (großartig: Miriam Stein), geht als Krankenschwester durch die Bluthölle eines Kriegslazaretts, verliert erst ihre braunen Gewissheiten, dann durch Verrat an einer jüdischen Ärztin (Christiane Paul) – die hat sich bei den Deutschen als Hilfsschwester eingeschlichen – den Anstand. Die Liebe zum Cliquenfreund Wilhelm stirbt den Heldentod, als sich die beiden auf dem Rückzug aus Russland über den Weg laufen. Die hoffnungsvollen Tage von Berlin waren gestern.

Katharina Schüttler als Greta

Greta (Katharina Schüttler), die zweite Frau der Clique, will der moralischen Vergiftung nach Art der Singvögel entflattern. Sie trällert ein rührend Lied („Mein kleines Herz schlägt nur für Dich“) und hofft auf ein braunes Schlagerglück à la Zarah Leander. Aber sie hat einen jüdischen Geliebten, Viktor (Ludwig Trepte), den fünften im Freundesbund.

Mit kleinem Herz ist da nichts mehr zu machen. Greta will Viktor als Lover behalten, aber der Rassenkrieg in der Heimat fordert, was er an der Russlandfront auch fordert: die Aufgabe von Moral und die Identifikation mit den braunen Aggressoren. Greta schließt einen Pakt mit dem Teufel – ihr Mephisto wird ein notgeiler SS-Schreibtischhengst (Mark Waschke) – und endet als Fausts Gretchen. Alles ist verloren, die durch Liebesdienst erreichte Ausreisegenehmigung für den jüdischen Freund war Betrug.

Die Meisterschaft von Buch und Regie (Philipp Kadelbach) besteht darin, die wirklich respektable Entscheidung des ZDF, 270 Minuten, insgesamt drei Abende, solch einem Stoff zu widmen, nicht mit Klischees zu vertun. Hier wird mit berserkerhafter Knappheit und modernem Tempo erzählt. Die Schauspieler, nicht die allerberühmtesten, fungieren passgenau in ihren Rollen. Nie schwirrt der Film in die Transzendenz des Allgemein-Menschlichen ab. Er bleibt bei den Figuren, sie und ihre Eigenarten sind das Maß des Erzählens.

Was ist am Ende von 270 Minuten am Ergreifendsten gewesen? Die Szene mit Viktor, dem jüdischen Greta-Freund, den die Nazis aufgreifen, der einem Transport in den KZ-Tod entfliehen kann, sich einer national-polnischen Widerstandsgruppe anschließt und vor deren Antisemitismus sein Jude-Sein verbergen muss?

Die polnischen Partisanen überfallen einen deutschen Zug, um Waffen zu erbeuten. Viktor hört das Stöhnen von jüdischen Gefangenen in verschlossenen Waggons. Er kann nicht anders. Er öffnet befehlswidrig die Türen. Er riskiert sein Leben. Aber er darf nicht helfen. Er spürt seine Verlorenheit. Was aus den Gefangenen wird, erzählt der Film nicht. Aber auf dem Gesicht des Viktor-Darstellers Ludwig Trepte wird eine Tragödie sichtbar. Selbst Opfer entgehen der Verrohung nicht.

„Unsere Mütter, unsere Väter“, Sonntag, Montag, Mittwoch, 20 Uhr 15; ZDF-History, Sonntag, 21 Uhr 45; „Maybrit Illner spezial“, Sonntag, um 22 Uhr 45; „ZDF-History“, Mittwoch, 0 Uhr 45

Nikolaus von Festenberg

Zur Startseite