Steigende Zahl an Kirchenaustritten: Die Kirchensteuer ist nicht mehr zeitgemäß
Die Zahl der Kirchenaustritte steigt rapide - Hintergrund ist offenbar das neue Abzugsverfahren bei Kapitalerträgen. Nicht nur an diesem Fall zeigt sich: Die Kirchensteuer treibt die Menschen vom Glauben weg. Ein Kommentar.
Ein schlechtes Gewissen nach dem Kirchenaustritt? Das kann dauern. In Deutschland wird die Verbindung zu Gott nicht unter den Augen eines gestrengen Pfarrers oder einer Gemeindesekretärin gelöst. Die Trennung von der Kirche ist ein Verwaltungsakt im Amtsgericht. Gut möglich, dass die Justizbeamtin verständnisvoll nickt, bevor sie das Formular zum Unterschreiben überreicht. Der Brief vom Pfarramt kommt dann erst Monate später.
Die Zahl der Deutschen, die aus der Kirche austreten, steigt. Das ist keine neue Entwicklung. Neu aber ist, dass die Katholiken bei den Austrittszahlen zunehmend zu den Protestanten aufschließen. Und auffallend ist auch, dass in der ersten Hälfte dieses Jahres je nach Bistum und Kirchenkreis bis zu 60 Prozent mehr Menschen ihre Kirche verlassen haben.
Schreiben an alle Bankkunden in Deutschland
Für diesen Sprung machen die Kirchen ein Schreiben verantwortlich, das alle Bankkunden in Deutschland in den vergangenen Monaten in ihrem Briefkasten fanden. Unter der Betreffzeile: „Einbehalt von Kirchensteuer“ heißt es dort: „Als Bank sind wir ab 2014 gesetzlich verpflichtet zu prüfen, ob für Sie eine Kirchensteuerpflicht besteht.“ Hintergrund ist die vor fünf Jahren eingeführte Abgeltungsteuer von 25 Prozent auf Zinsgewinne und Dividenden. Sie ist eine pauschale Steuer und wird von den Banken direkt an den Staat überwiesen.
Auch bisher schon mussten Kirchenmitglieder auf Kapitalerträge Kirchensteuer zahlen. Alles andere wäre auch ungerecht. Sonst würde der reiche Aktienbesitzer besser behandelt als sein durchschnittlich verdienender Glaubensbruder, der Angestellter ist. Die Kirchen sprechen von mehr Gerechtigkeit und einfacheren Verfahren. Bernd Baucks, Finanzchef der Evangelischen Kirche im Rheinland, warf Banken und Sparkassen kürzlich vor, sie hätten ihre Kunden zum Austritt animiert – ein gravierender Vorwurf, für den es bisher keine Belege gibt.
Möglicherweise liegen die Kirchen mit ihrer Analyse hier völlig falsch. Vielleicht geht es den Austretenden nicht so sehr ums Geld und um Berichte von angeblich verschwendungssüchtigen Kirchenfürsten. Selbst bei Zinsgewinnen von 2000 Euro macht die Kirchensteuer gerade mal 44 Euro aus. Die Steuer wiederum bringt den beiden großen Kirchen kaum mehr ein als ARD und ZDF die Rundfunkgebühr.
Vielleicht ist auch nicht nachlassender Glaube das Hauptproblem. Nicht jeder Konfessionslose empfindet sich als Atheist. Bloß wird das von Kirche und Staat geforderte „Bekenntnis“ durchaus strapaziert: Zwar heißt es, kein Bankmitarbeiter könne ohne Weiteres auf die Religionszugehörigkeit eines x-beliebigen Kunden zugreifen. Doch nicht wenigen Bürgern dürfte unangenehm aufgestoßen sein, dass überhaupt der Anschein einer Verquickung zwischen Bank und Kirche entstanden ist.
Bei den Meldedaten wird ein Missbrauch durch die katholische Kirche befürchtet
Und die Frage, wie mit sehr persönlichen Daten umgegangen wird, bleibt brisant: Die Kirchen haben wegen der Steuer Zugriff auf Meldedaten, aus denen hervorgeht, wer ein zweites Mal verheiratet ist oder in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft lebt. Nach dem Arbeitsrecht der katholischen Kirche ist dies ein Kündigungsgrund. Die Bischöfe schließen Missbrauch aus – doch Misstrauen bleibt.
Am Ende stellt sich die Frage, ob die Kirchensteuer ihren eigentlichen Zweck noch erfüllt, nämlich die Bindung zwischen Kirche und Gläubigen zu stärken. Oder ob nicht eher das Gegenteil der Fall ist. Für die einen liefert sie einen guten Vorwand zum Austritt. Die anderen, die Amtsträger der Kirche, müssen sich mit den Abtrünnigen nicht wirklich auseinandersetzen. Weil der Austritt zum bürokratischen Akt verkommen ist.
Es könnte im Interesse der Kirche sein, über die Zukunft ihrer Steuer nachzudenken. Zum Beispiel indem sie ihre Beiträge selbst erhebt – und damit die Gebühr an die Finanzämter spart. Oder indem man es wie in Italien macht. Dort gibt es eine Kirchen- und Kulturabgabe: Jeder kann auf der Steuererklärung selbst angeben, ob er sie an eine Religionsgemeinschaft, eine soziale Einrichtung oder den Staat abführen will.
Fabian Leber
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