Künstler vor Gericht: Der Fall Jonathan Meese ist nur ein Witz
Der Berliner Performancekünstler Jonathan Meese muss sich vor Gericht verantworten, weil er öffentlich den Hitlergruß gezeigt hat - und zwar bei einer Veranstaltung zum Thema "Größenwahn und Kunstwelt". Das ist Satire. Kein Scherz ist dagegen, wenn Künstler sich an Diktaturen verraten.
Alle Schönheit und alle Schrecken der Menschheitshistorie durchleuchten die Künste. Und auch die Künstler sind selber oft verwoben oder gar verstrickt – in die reale Geschichte. Daran erinnern aktuell ganz unterschiedliche Namen, Biographien, Werke.
Gerade steht der Berliner Bildkünstler und Performer Jonathan Meese in Kassel vor Gericht, weil er öffentlich den Hitlergruß gezeigt habe. Meese wiederum soll demnächst auch bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth inszenieren. Dort, wo man am Donnerstag wieder vom Grünen Hügel zur glamourösen Eröffnung bläst: im Wagner-Jubiläumsjahr, in dem so viel über Hitlers einstigen Lieblingskomponisten debattiert wird.
Gestern bereits eröffnet wurden die Salzburger Festspiele 2013, das größte Sommerfestival Europas. Auch in Salzburg feiert man Wagner, die erste Opernpremiere sind da die „Meistersinger von Nürnberg“. Mit den „Meistersingern“ begann 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs, auch in Salzburg die braune Ära. Jüdische oder kritische Künstler verschwanden, statt des Hitler-Gegners Arturo Toscanini dirigierte nun Wilhelm Furtwängler. Just vor 75 Jahren. Merkwürdigerweise findet dieses Jubiläum im Salzburger Festspielkalender 2013 keine Beachtung. Offizielle Amnesie?
Wilhelm Furtwängler gehörte zu den prominenten deutschen Künstlern, die in den Jahren ab 1933 nicht ins Exil gingen, sondern ihr Können und Renommee der Nazi-Diktatur zur Verfügung stellten. Sie wurden Repräsentanten eines Regimes, das auf seine verbrämende kulturelle Fassade höchsten Wert legte. Furtwängler und der Komponist Richard Strauss, der Dramatiker Gerhart Hauptmann oder Theater- und Filmstars wie Gustaf Gründgens, Hans Albers, Emil Jannings, Heinz Rühmann. Und Heinrich George.
Götz George in der Rolle seines Vaters
„George“ ist der Titel des knapp zweistündigen Fernsehfilms, der morgen erst auf Arte und am Mittwoch in der ARD gezeigt wird. Götz George, der Star von heute, spielt darin seinen Vater. Sohn Götz – am Dienstag wird er 75 – folgt in der Doku-Fiction den Spuren des vor 120 Jahren geborenen Großschauspielers Heinrich George. Jenes massigen Mannes, der in der Weimarer Republik erst zu den linken Künstlern um Bert Brecht oder den Malerfreund Otto Dix gehörte und 1933 die Wende vollzog. George spielte in Filmen wie „Hitlerjunge Quex“, „Jud Süß“ und im Durchhalte-Epos „Kolberg“, war ein Günstling von Joseph Goebbels, der ihn zudem mit Hitlers Segen zum Intendanten des Berliner Schiller-Theaters machte.
Der Fall Meese ist nur ein Witz. Jener Gruß, den der Kabarettist Werner Finck nach 1945 spöttisch die „aufgehobene Rechte“ nannte, war ein satirischer Akt bei einer Veranstaltung zum Thema „Größenwahn und Kunstwelt“. Das gehört zur Kunstfreiheit und nicht vor Gericht. Kein Scherz ist dagegen, wenn Künstler selber sich an ein System der Unfreiheit verraten. Allzu oft, auch heute, leiden Künstler an Armut und Unterdrückung. Zur Kunst- und Kulturgeschichte gehört indes auch immer wieder der Pakt mit dem Teufel, wie ihn Klaus Mann im Roman „Mephisto“ am Beispiel von Gustaf Gründgens gegeißelt hat. Das deutsche Fernsehen unterschlägt dies nicht in seinem „George“-Film. Aber es packt den Konflikt, durchaus rührend, in Watte.
Auch Künstler sind korrumpierbar
Künstler und Opportunisten wie George oder Rühmann genossen unter den Nazis unfassbar viel Geld und Privilegien. Heinrich George hat dafür im russischen Lager, in dem er 1946 gestorben ist, hart gebüßt. Viele andere jedoch sind schnell reingewaschen worden. Verehrung und Verdrängung täuschen da über die nackte Wahrheit: Auch Künstler sind korrumpierbar. Heute etwa arbeiten die international gefeiertsten Architekten für und mit Diktaturen. Künstler sind so nicht eo ipso besser als beispielsweise Politiker oder Banker, über die sie sich oft selbstgefällig erheben. Umgekehrt wird’s freilich auch schnell selbstgerecht, aus sicherer demokratischer Distanz über mangelnden Mut in Diktaturen zu urteilen. „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“ Das stammt vom klugen Brecht.
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