Plastikmüll: Das Gift der Meere
Die EU will den Verbrauch von Plastiktüten eindämmen und zielt damit vor allem auf den Lifestyle. Doch wirklich verhindern lässt sich die Vermüllung der Flüsse und Meere damit kaum.
Die Donau ist ein gewaltiges Naturdenkmal, fast 2860 Kilometer lang, sie ist ein Handelsweg, an dem zehn Staaten liegen, ein Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Aus der Geschichte Europas ist der Fluss nicht wegzudenken. Doch mittlerweile ist der zweitlängste Fluss des Kontinents auch eine gigantische Müllhalde. Laut einer Studie der Universität Wien lassen sich im Wasser der Donau bereits mehr Plastikpartikel als Fischlarven finden. Manche Flussbewohner fressen mittlerweile zum Großteil Kunststoff, viele verenden daran.
Plastik gehört zu den entscheidenden Triebkräften der Industriellen Revolution, er ist quasi die Grundlage der modernen Gesellschaften. Ob Fernseher, Tüte oder Trinkflasche – mittlerweile werden weltweit jährlich über 288 Millionen Tonnen Plastik produziert. Ein Großteil des Plastikmülls wird verbrannt oder auf Deponien entsorgt. Einiges davon gelangt aber auch direkt aus den Abfallhalden der Industrie, aus dem Hausmüll oder von Schiffen in das maritime Ökosystem. Nach Schätzungen des Deutschen Umweltamts schwimmen bereits 90 Millionen Tonnen Plastikmüll in Meeren und Flüssen. Das entspricht rund 15 Billionen Zahnbürsten.
Plastik ist aber auch ein Lifestyleprodukt. Ob beim Fastfood oder beim Einkauf von Äpfeln, Erdbeeren, Gouda oder Camembert im Supermarkt: Der Griff zum transparenten Gratis-Beutel ist für alle Kunden selbstverständlich geworden. Jeder Europäer verbraucht durchschnittlich 198 dieser kleinen Tüten im Jahr.
Die Europäische Kommission legte einen Gesetzesvorschlag vor
Das will die Europäische Union jetzt ändern und so zugleich ein Bewusstsein dafür schaffen, in der Industriegesellschaft insgesamt verantwortlicher mit Plastik umzugehen. Bereits im Herbst vergangenen Jahres legte die Europäische Kommission dazu einen Gesetzentwurf vor – ohne allerdings feste Ziele zu nennen. Dem Bundesumweltministerium geht dieser nicht weit genug. „Wir haben die Festlegung eines europaweit einheitlichen, absoluten Reduktionsziels angeregt“, erklärte eine Ministeriumssprecherin. Vorleistungen von Mitgliedstaaten mit niedrigem Pro-Kopf-Verbrauch würden dabei gewürdigt. Mittlerweile hat das Europäische Parlament solche Reduktionsziele beschlossen. Um achtzig Prozent soll der Verbrauch von Plastiktüten demnach reduziert werden.
Dänemark und Finnland sollten mit dem kommenden Gesetz keinerlei Probleme haben. Mit vier Tüten pro Kopf stehen sie am unteren Ende der europäischen Statistik. Deutschland liegt mit 64 Tüten pro Kopf und Jahr im oberen Mittelfeld. Die osteuropäischen Staaten hingegen sind die großen Sorgenkinder beim Verbrauch von Plastiktüten. In Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Portugal, Polen, Slowenien und der Slowakei werden jährlich bis zu 466 Tüten pro Kopf verbraucht.
Wie die Mitgliedsstaaten den Verbrauch senken – ob durch Steuern oder durch andere Maßnahmen – bleibt ihnen überlassen. Hauptsache, die Maßnahmen wirken. Denn der Gesetzesvorstoß der EU will die Verbraucher aus gutem Grund zur Sparsamkeit erziehen. Einerseits brauchen zum Beispiel Bananen, Ananas oder Äpfel eigentlich keine keine zweite Verpackung. Andererseits gibt es zur dünnen Tüte keine wirklich ökologische Alternative.
Die Industrie glaubt an Kunststoff
Denn selbst wenn ein sich ökologisch aufgeklärter Kunde für die Papiertüte oder für die Bioplastiktüte aus Maisstärke entscheidet, tut er der Umwelt damit keinen wirklichen Gefallen. Bei beiden ist die Ökobilanz schlecht. In der Herstellung der Bio-Beutel werden mehr Chemikalien als in der herkömmlichen Kunststoffproduktion eingesetzt. Auch Papiertüten haben eine schlechte CO2-Bilanz: Zur Herstellung des Rohstoffs Papier wird im Vergleich mehr schädliches Kohlendioxid verbraucht. Die Plastikindustrie weiß um dieses Dilemma. Deshalb hält PlasticEurope, der Verband europäischer Kunststoffhersteller, nichts von den EU-Plänen. Stattdessen verkündet dessen Sprecher Michael Herrmann selbstbewusst: „Wer heute Öko will, der muss zu Kunststoff greifen, gerade wenn es ums Verpacken geht.“
Zur Bekämpfung des Plastikverbrauchs und der damit einhergehenden Meeresverschmutzung kann der EU-Vorstoß daher nur ein erster Schritt sein. Trotzdem wäre es ein wichtiges Signal. Um die Umweltverschmutzung nachhaltig zu verringern, müsste gerade in den neuen Beitrittsländern das europäische Recyclingsystem stärker etabliert werden. Das Beispiel Irland zeigt, dass ein Umdenken möglich ist. Auf der grünen Insel werden dünne Plastiktüten seit über 14 Jahren versteuert. Laut der Deutschen Umwelthilfe verbrauchen die Iren seitdem 16 statt 328 Tüten pro Kopf.
Dieser Text erschien zuerst bei Cicero Online. Regelmäßig schreibt auch Onlinechef Christoph Seils auf Tagesspiegel.de.
Maike Hansen