V-Leute: Das Böse sind wir manchmal selbst
Ein Gesetz soll es Spitzeln des Verfassungsschutzes erlauben, Straftaten zu begehen. Schon der Ruf nach Regeln zeigt, wie groß das Problem geworden sein muss. Ein Kommentar.
Zu welchem Fehlverhalten ein moderner Rechtsstaat fähig ist, zeigt der neue Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz von Lockspitzeln. Ein V-Mann mimt den Drogenhändler, der den Stoff per Schiffsladung nach Bremerhaven importiert, ein verdeckter Ermittler der Polizei macht aus sich einen Hafenarbeiter, der weiß, wie man den Zoll umgeht. Man tritt an eine Szenegröße heran, bietet ihr Hilfe für ein Heroingeschäft, und weil der Mann vom „Dreckszeug“ nichts wissen will, wechselt man auf Kokain. Trotzdem Zögern, Zaudern, aber die Staatsbeauftragten insistieren, provozieren, bis endlich, nach anderthalb Jahren, ein 100-Kilo-Deal über die Bühne geht. Die Polizei klärt eine Straftat auf, die es ohne die Polizei nie gegeben hätte.
Die Verfassungsrichter prangern das zwar an, rügen die Staatsanwaltschaft, der ihre Ermittler derart aus den Zügeln glitten. Aber es bleibt folgenlos. „Erfordernisse einer funktionsfähigen Strafrechtspflege“, heißt die Formel in Karlsruhe, nach welcher der Zweck die Mittel heiligt. Am Ende bleiben alle Strafurteile bestehen.
Entscheidungen wie diese sind alles andere als geeignet, Zweifel an der ausufernden V-Mann-Praxis zu wecken. Im Gegenteil, für den Bereich des Verfassungsschutzes soll es nun erstmals ein Bundesgesetz geben, das den Undercover-Leuten des Staates erlaubt, selbst Straftaten zu begehen, um sich Vertrauen zu erschleichen. Mit anderen Worten: Wenn sie schon Drogen importieren, warum sollten sie nicht auch Hakenkreuze an Synagogen schmieren?
Exzesse von V-Leuten gehören zur Geheimdienstchronik der Bundesrepublik. Die Vorstellung, sie mit einem Gesetz zu unterbinden, ist bestenfalls naiv. Wer Straftaten erlaubt, fordert dazu auf, sie zu begehen. Und dass Grenzen nicht eingehalten werden, zeigen Fälle wie der amtlich eingefädelte Kokain-Deal. Das Vorhaben, dieses Unwesen regulieren zu wollen, beweist nur das Ausmaß, das es angenommen haben muss.
Blicken wir auf den größten V-Mann-Unfall der jüngeren Zeit, das erste NPD-Verbotsverfahren. Es scheiterte, weil die Bundesverfassungsrichter nicht mehr unterscheiden konnten, wie viel Staat im Neonazitum der braunen Unpartei steckt. Im Bedürfnis, immer mehr über das Innenleben der NPD zu erfahren, ist der Staat zu ihrem Inneren geworden. Jetzt, beim laufenden zweiten NPD- Verfahren, sind alle Spitzel abgezogen worden. Die Geheimdienstapologeten hatten uns mal gepredigt, ohne V-Leute würde die NPD zu einem unkalkulierbaren Risiko. Gemessen jedoch an ihrer aktuellen Bedeutung bei Wahlen und in öffentlichen Debatten zeigt sich, dass die NPD noch nie so schwach war wie heute. Am Ende könnte eine alte Erkenntnis stehen: Das Böse, das sind wir manchmal selbst.
Jost Müller-Neuhof
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