Rechtsextremismus: NPD-Verbot: Die Angst vor dem Risiko
Ein zweites Mal in Karlsruhe zu scheitern, wäre für Befürworter eines NPD-Verbots eine politische Blamage ersten Ranges. Deshalb tun sich alle so schwer mit dem Gang vor die Richter. In dieser Woche dürfte sich entscheiden, ob es einen neuen juristischen Anlauf gibt. Welche Entscheidung ist zu erwarten?
Diese Woche könnte eine historische Entscheidung fallen. Erst treffen sich am Mittwoch in Rostock-Warnemünde die Innenminister der Länder, um über einen zweiten Anlauf zu einem NPD-Verbotsverfahren zu beraten, am Tag darauf versammeln sich die Ministerpräsidenten in Berlin, um ihre Position festzulegen. Derzeit sieht es so aus, dass die Innenministerkonferenz mit großer Mehrheit für einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht votieren wird und dann die Regierungschefs beschließen, wieder ein Verfahren zu wagen. Damit würde zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Parteiverbot versucht. Zweimal ist es gelungen: 1952 wurde die braune „Sozialistische Reichspartei (SRP)“ verboten, 1956 beendete das Verfassungsgericht die Existenz der KPD. 2003 jedoch scheiterte das Verfahren gegen die NPD. Ob ein neuer Anlauf gelingt, ist offen.
Gibt es einen breiten Rückhalt für einen Verbotsantrag?
Bei den Ländern sind jetzt offiziell nur noch Hessen und das Saarland skeptisch. Vergangene Woche hatte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) seinen Widerstand aufgegeben. In einem von ihm in Auftrag gegebenem Gutachten hatten zwei Juristen, darunter ein früherer Richter am Bundesverfassungsgericht, für den Fall eines Verbotsantrags „hinreichende Erfolgsaussichten“ prophezeit. In Sicherheitskreisen wird zudem vermutet, dass sich am Mittwoch auch die Innenminister Hessens und des Saarlands nicht weiter verweigern.
Unklar bleibt, ob sich Bundesregierung und Bundestag anschließen und wie 2001 eigene Verbotsanträge stellen würden. In der Union heißt es, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe vor wenigen Wochen nochmals ihre Sorge geäußert, ein zweites Verfahren könnte ebenfalls in einer Blamage enden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist gegen einen Verbotsantrag. Friedrich hält die NPD für zu wenig bedeutend, als dass ein aufwendiges Verfahren in Karlsruhe notwendig sei. Außerdem befürchtet er, es müssten dem Bundesverfassungsgericht und womöglich den NPD-Anwälten die Klarnamen von V-Leuten in der rechtsextremen Partei genannt werden. Die Richter hatten 2003 das Verfahren eingestellt, weil ihnen die Präsenz von Spitzeln in NPD-Vorständen als „nicht behebbares Verfahrenshindernis“ erschien.
Auch dem Koalitionspartner FDP widerstrebt der Gedanke, wieder ein Wagnis einzugehen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bekräftigte im November ihre Skepsis und warnte, eine zweite Niederlage „wäre eine Katastrophe“. Und der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion, Christian Lindner, warnt in der heutigen FAZ vor einem neuen NPD-Verbotsantrag, weil sich Innenminister von Bund und Ländern „bis dato nicht über die Fakten und Aussichten einig sind“. Wer dennoch ein „symbolträchtiges Verbot“ anstrebe, nehme ein hohes Risiko in Kauf.
Das Stimmungsbild des Bundestages erscheint diffus. Die SPD-Fraktion fordert schon länger einen Verbotsantrag, bei CDU und CSU geben die Nein-Sager den Ton an. Als vehemente Gegner treten Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), und der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), auf. Die FDP-Fraktion denkt wie die Justizministerin und hat sich bereits 2001 verweigert, als über den Verbotsantrag des Bundestages abgestimmt wurde. Bei den Fraktionen von Grünen und Linken wird Skepsis vor allem mit dem Mangel an Einblick in die Unterlagen begründet, die bereits die Verfassungsschutzbehörden als Grundlage für einen möglichen Verbotsantrag zusammengestellt haben. Die Materialsammlung liegt den Innenministern vor, dem Bundestag nicht.
Eine Entscheidung der Länder für einen Verbotsantrag könnte allerdings, so heißt es in der Union, einen „Rutschbahneffekt“ bei Bundestag und Bundesregierung auslösen. Es sei denkbar, dass beide doch mitziehen, schon um den Bundesrat nicht im Stich zu lassen. Sollten die Länder allein beim Bundesverfassungsgericht vorstellig werden, wäre ihr Verbotsantrag durch ein demonstratives Fernbleiben von Bundestag und Bundesregierung beschädigt, ist in der CDU zu hören.
Was hat sich seit dem Verbotsverfahren von 2001 geändert?
Die ursprünglich mehr als 1000 Seiten umfassende Materialsammlung der Verfassungsschützer ist diesmal – angeblich – frei von Angaben, die auf V-Leute zurückzuführen sind. Die Anträge, die Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat 2001 gestellt hatten, waren gespickt mit Aussagen von Spitzeln, die teilweise sogar hohe Positionen in der Partei einnahmen. Diesmal haben die Innenminister bereits – nach eigenen Angaben – alle V-Personen „abgeschaltet“, die in Vorständen der NPD tätig sind. Die Materialsammlung ist aber offenkundig in Teilen doch „quellenverseucht“. Ein Bundesland hat im Herbst ungefähr 40 Seiten streichen lassen, weil die darin genannten Belege für die verfassungswidrige Haltung der NPD von einem bezahlten Spitzel stammten. Offenbar haben auch weitere Länder Material zurückgezogen. Es fällt auf, dass jetzt nur noch von 2649 Belegen die Rede ist – im September waren es in dem als Endfassung deklarierten Papier 3081. Außerdem wollen die meisten Innenminister nicht das „Testat“ unterschreiben, demzufolge das gelieferte Material „quellenfrei“ sei. Ihren Namen hergeben müssen die Chefs der Verfassungsschutzbehörden. Die Minister wollen lediglich mit ihrer Unterschrift bestätigen, dass die Verfassungsschützer das Testat abgezeichnet haben.
Das Material selbst ist den Anträgen von 2001 ähnlich. Es werden neonazistische, rassistische, antisemitische und antidemokratische Hetzreden von NPD-Mitgliedern sowie einige Straftaten aufgelistet. Das bräunliche Ambiente der Partei wird hinreichend deutlich.
Anders als 2001 ist allerdings in der öffentlichen Debatte die Frage der Verhältnismäßigkeit eines Verbots von zentraler Bedeutung. Die Skeptiker verweisen auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den die Anwälte der NPD nach einem Verbot wahrscheinlich anrufen würden. Die Richter in Straßburg verlangen zur Bestätigung eines Verbots den Nachweis, dass eine extremistische Partei eine „echte Chance“ hat, an die Macht zu kommen und die Demokratie bereits „hinreichend bedroht ist“. Die NPD verfügt jedoch derzeit nur über 13 Landtagsabgeordnete.
Wie würde ein Verbotsantrag begründet?
Die Innenminister würden der NPD vorhalten, sie agiere „aggressiv-kämpferisch“ gegen die demokratische Grundordnung und glorifiziere den historischen Nationalsozialismus. Die Vorwürfe würden dann mit vielen Zitaten führender Nationaldemokraten untermauert, die bereits in der Materialsammlung stehen.
In welchem Zustand ist die NPD?
Die Partei kränkelt. Im Mai sackte die NPD bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein auf 0,7 Prozent und in Nordrhein-Westfalen auf 0,5 Prozent ab. Damit blieb ihr sogar die staatliche Erstattung von Wahlkampfkosten verwehrt. Aber auch in den Hochburgen im Osten sieht es nicht gut aus. In Sachsen, wo die NPD im Landtag sitzt, dümpelt sie in Umfragen bei zwei bis drei Prozent. Außerdem hat die Fusion mit der DVU nicht den erhofften Aufschwung gebracht. Die Zahl der NPD-Mitglieder stagniert bei bundesweit knapp 6000.
Welche Erfahrungen hat die Bundesrepublik mit Parteiverboten?
Trotz der Verbote von SRP und KPD konnten sich Parteien mit ähnlicher Agenda etablieren. Die 1964 gegründete NPD ist da als Erbin der SRP ein Beispiel. Sollte die NPD verboten werden, stünde als ein Auffangbecken möglicherweise die im Mai von einem Neonazi ins Leben gerufene Partei „Die Rechte“ bereit.
Frank Jansen