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US-Präsident Barack Obama mit seinem Vize Joe Biden.
© dpa

Debatte um Militärschlag in Syrien: Barack Obama: Ein unwilliger Krieger

Barack Obama sieht sich zur Intervention in Syrien gezwungen, will aber das Risiko unbeabsichtigter Folgen begrenzen. Dabei hat er die Innenpolitik wohl noch mehr im Blick als Syrien. Durch eine Abstimmung im Kongress gewinnt er Zeit.

Warum nur bewerten so viele Kommentatoren Barack Obamas Entscheidung, die Strafaktion gegen Syrien hinauszuzögern und den Kongress abstimmen zu lassen, als überraschenden Schwenk? Sie liegt doch ganz auf der Linie dieses Präsidenten. Solange er es vermeiden kann, wird er Amerika nicht in neue Kriege verwickeln. Erstens ist er prinzipiell risikoscheu und will sich Optionen so lange wie möglich offen halten: ganz vorne die Option, nicht einzugreifen. Zweitens hat er gesehen, welche Unsummen Bushs Feldzüge in Afghanistan und im Irak gekostet und wie sie dessen innenpolitische Handlungsfähigkeit begrenzt haben. Das Geld für Bildung und Infrastruktur daheim fehlte, Reformen blieben liegen. Zwei Wahlen hat Obama mit dem Versprechen gewonnen, die Truppen heimzuholen und „Nationbuilding at home“ zu betreiben. Schon in Libyen gab er eine für Amerikaner ungewohnt zurückhaltende Linie vor: „Leading from behind“. Syrien würde er am liebsten sich selbst überlassen.

Das geht nun nicht mehr. Zum einen hatte er den Einsatz von Chemiewaffen als „rote Linie“ definiert. Solche Festlegungen haben Folgen. Was als abschreckende Drohung gemeint war, bringt ihn in Zugzwang. Zum anderen ist zwar tendenziell richtig, dass die US-Bürger kriegsmüde sind. Aber der Tabubruch des Giftgaseinsatzes gegen Zivilisten macht die Warnung glaubwürdiger, dass Massenvernichtungswaffen in falsche Hände fallen und gegen Amerika und enge Verbündete wie Israel eingesetzt werden könnten. Dann würde die Stimmung wohl umschlagen: „Warum hat unser Präsident das nicht verhindert?“ Die USA sehen sich als einzige ernst zu nehmende Ordnungsmacht. Wer sonst soll diese Rolle ausfüllen? Die Vereinten Nationen sind dazu nicht in der Lage.

Da Obama sich nun gezwungen sieht, zu intervenieren, obwohl er das vermeiden wollte, möchte er zumindest das Risiko unbeabsichtigter Folgen eingrenzen. Dabei hat er die Innenpolitik wohl noch mehr im Blick als Syrien. Die Republikaner attackieren ihn, ganz egal, was er tut oder unterlässt. Mit der Abstimmung zwingt er sie, sich festzulegen. Die Gefahr, dass das Parlament ihm die Zustimmung verweigert, ist gering. Die Hauptkritik in den USA lautet ja nicht, dass er zu bellizistisch vorgehe, sondern dass er Amerikas Macht zu wenig nutze, um die Entwicklung der Arabellion zu beeinflussen. Zudem gewinnt er Zeit. Den G-20-Gipfel in Moskau kann er besuchen, ohne die Gespräche mit einem Militärschlag zu belasten. Im besten Fall muss Putin Entgegenkommen zeigen.

Schwieriger ist die Abwägung, welche Vor- und Nachteile die Verzögerung auf die Dynamik in und um Syrien hat. Assad und seine Truppen können sich vorbereiten, Flugzeuge und Waffensysteme an sichere Orte bringen – und PR-Fallen vorbereiten. Es wäre keine Überraschung, wenn das Regime am Tag nach etwaigen Luftangriffen Schauplätze zeigt, an denen angeblich Zivilisten in Krankenhäusern oder Schulen starben. Ob Amerikas Autorität unter dem Zeitaufschub leidet, ist offen. Wenn spätere Luftangriffe genügend syrische Kampfjets, Rollbahnen, Panzer und Artillerie zerstören, um eine Kriegswende zugunsten der Rebellen wie in Libyen einzuleiten, wird dieser Vorwurf wohl leiser. Generell geht es in Obamas Überlegungen nicht allein um Syrien. Die Botschaft, dass man „rote Linien“ nicht ungestraft überschreiten darf, weil das selbst diesen kriegsunwilligen Präsidenten zum Handeln zwingt, gilt eigentlich Nordkorea und dem Iran.

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