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UN-Chemiewaffenexperten in einem Krankenhaus in Damaskus
© Reuters
Update

Giftgasanschlag in Syrien: Zieht der Westen in den Krieg?

Nach den Giftgasanschlägen drohen immer mehr Staaten Syrien mit militärischen Konsequenzen. Greift der Westen jetzt in den Konflikt ein?

Kaum hatten die UN-Inspekteure die ersten Kilometer vom Four-Seasons-Hotel an den Stadtrand von Damaskus zurückgelegt, war die Fahrt auch schon zu Ende. Heckenschützen nahmen das erste der sieben Fahrzeuge unter Feuer und zwangen den weißen UN-Konvoi, zunächst einmal umzukehren. Wer hinter dem Angriff steckte ist noch unklar. Verletzt wurde niemand und die Blauhelme ließen nicht locker. Mittags unternahmen sie dann einen zweiten Versuch und konnten bis in die Kampfzonen im Ghuta-Grüngürtel vordringen, mit Verletzten und Ärzten sprechen sowie Blut- und Bodenproben nehmen. Beim Nachweis von Giftgas allerdings sind die seit dem mörderischen Beschuss am letzten Mittwoch verstrichenen fünf Tage eine lange Zeit. Denn das Assad-Regime gab erst nach zähem Widerstand und massivem internationalen Druck grünes Licht für die Mission der UN-Inspektoren ins Umland der Hauptstadt, wo hunderte Männer, Frauen und Kinder durch Nervengift gestorben waren. Die leichtflüchtigen Gase dürften nur noch schwierig nachweisbar sein, zudem die Armee das Gebiet in den letzten Tagen mit Raketen und Bomben systematisch durchpflügte.

An diesen Orten wird die Produktion und die Lagerung von Chemiewaffen in Syrien vermutet.
An diesen Orten wird die Produktion und die Lagerung von Chemiewaffen in Syrien vermutet.
© ntl.org TSP, Klöpfel

Wie wollen die USA weiter gegen Syrien vorgehen?

Seit Sonntag ist die Sicht der Vereinigten Staaten auf den Konflikt in Syrien eine andere. Bislang galt auch für die USA, dass ein Chemiewaffeneinsatz, egal von welcher Seite, technisch lückenlos dokumentiert werden muss, um als bewiesen zu gelten. Jetzt hat die USA mit der Erklärung, es bestünden kaum mehr Zweifel und die Kontrollen kämen zu spät, auf den Modus der politischen Bewertung umgeschaltet. Noch lässt US-Präsident Barack Obama dabei andere für sich sprechen und hält sich damit die Optionen offen. Die Äußerungen seiner Administration nähern sich aber immer stärker dem Punkt, an dem es auch für Obama kein Zurück mehr geben wird.

Zwar will die US-Bevölkerung, das zeigen Umfragen, keinen neuen Krieg. Das amerikanische Volk ist kriegsmüde. Eine Intervention in Syrien widerspräche zudem auch der Politik Obamas, der seit seinem Amtsantritt alle Anstrengungen unternommen hat, die USA geordnet erst aus dem Irak und jetzt aus Afghanistan zurückzuziehen. Ein US-Präsident allerdings, der eine rote Linie ankündigt, sie dann als erreicht erklären lässt, um jetzt nicht zu handeln, könnte nur schwer den Anspruch der USA als weltpolitische Ordnungsmacht aufrechterhalten. Ranghohe US-Kongressabgeordnete haben die Regierung inzwischen zum Handeln aufgefordert. Der republikanische Außenpolitiker Bob Corker sagte, die Vereinigten Staaten sollten „mit chirurgischen“ Maßnahmen reagieren, aber keine Truppen nach Syrien entsenden. Sein demokratischer Counterpart Eliot Engel forderte einen gemeinsamen Nato-Einsatz. „Aber wir müssen handeln und wir müssen jetzt handeln“, betonte Engel.

Die Truppen dafür stehen bereit, das hatte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel schon am Wochenende erklärt. Unterschiedliche Operationspläne liegen vor, auch daran besteht kein Zweifel. In den nächsten Stunden und Tagen verhandelt nun Obama mit seinen Verbündeten über das weitere Vorgehen.

Wer würde bei einem Einsatz gegen Syrien mitmachen?

Am Montag kamen in der jordanischen Hauptstadt Amman US-Oberbefehlshaber General Martin Dempsey sowie hohe Offiziere aus europäischen Ländern, Kanada, der Türkei und den Golfstaaten zu Beratungen über die Lage in Syrien zusammen. Der britische Außenminister William Hague erklärte gegenüber der BBC, eine militärische Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen sei auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates möglich. Einen Angriff bereits diese Woche schloss Hague nicht aus. Nach den Worten seines französischen Amtskollegen Laurent Fabius werde schon in den nächsten Tagen die Entscheidung über Art und Ausmaß der Militäraktion fallen. Eine Option allerdings sei ausgeschlossen, „nämlich dass wir gar nichts tun“.

Auch die Türkei wäre nach den Worten ihres Außenministers Ahmet Davutoglu bereit, an einer internationalen Aktion gegen das syrische Regime teilzunehmen. Derzeit werde in einer Gruppe von 36 oder 37 Staaten der Welt über Maßnahmen außerhalb der UN nachgedacht, sagte Davutoglu der Zeitung „Milliyet“ vom Montag. Sollte sich daraus eine Anti-Assad-Koalition entwickeln, wäre die Türkei mit von der Partie, sagte der Außenminister. Die Rolle der Türkei bei einer Intervention würde wahrscheinlich vor allem in der Bereitstellung ihres Luftraumes für Angriffe in Syrien bestehen. Die südtürkische Luftwaffenbasis Incirlik, die nur 100 Kilometer von Syrien entfernt liegt, kommt als Ausgangspunkt für diese Angriffe infrage.

Auch auf Israels Unterstützung können die USA bauen - Russland warnt

Auf Israels Unterstützung könnten die USA ebenfalls bauen. Benjamin Netanjahus Wortwahl war gewohnt martialisch. Notfalls sei Israels Finger am Abzugshahn, tönte der Premier vor zwei Tagen. „Die gefährlichsten Regimes der Welt dürfen nicht die gefährlichsten Waffen der Welt haben.“ Israel hält die syrischen Chemiewaffen für eine ernsthafte Bedrohung der eigenen Sicherheit. Deshalb drängt Jerusalem schon lange darauf, das vorhandene Giftgas zu vernichten. Zum einen, weil man fürchtet, in einer Art Kurzschlusspanik könnte Machthaber Assad diese Waffen womöglich doch noch gegen Israel richten. Zum anderen bestünde die Gefahr, dass islamistische Terroristen an die Giftgasvorräte gelangen.Besonders bedrohlich: die Schiitenmiliz Hisbollah – Israels vom Iran unterstützter Erzfeind – verfügte künftig über Massenvernichtungswaffen. Sollte sich Amerika zu einem Militärschlag gegen Syriens Regime entschließen, wird Israels aber wohl vorerst nur Geheimdienstmaterial zuliefern.

Auch Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle kündigte an, Konsequenzen unterstützen zu wollen, wie diese Unterstützung genau aussehen könnte, ließ er offen.

Wie reagieren die UN und Russland auf den Vorstoß der USA?

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon ist durch den mutmaßlichen Giftgaseinsatz im Bürgerkriegsland Syrien mit hunderten Toten stark erzürnt. Am Montag betonte er in seinem Heimatland Südkorea: Die Verantwortlichen für die „schreckliche Attacke“ müssten bezahlen. Die UN-Kontrolleure sind jetzt vor Ort, sonst aber kann die Weltorganisation im Syrien-Konflikt wenig Greifbares vorweisen: Alle UN-Versuche, das Leiden der Menschen durch Verhandlungen zu beenden, scheiterten. Und jetzt bahnt sich mit dem womöglichen Vorpreschen der USA eine weitere schwere Schlappe für die UN an.

Seit Ausbruch des Konflikts zwischen Assad und der Opposition im März 2011 protegieren Russland und China das Regime. Moskau hatte schon bei dem Giftgas-Einsatz im März vor vorschnellen Schuldzuweisungen gewarnt. Russische Experten, die vor Ort selbst Proben zogen und in einem von der UN zertifizierten Labor untersuchen ließen, machen für beide Anschläge die syrische Opposition verantwortlich. Raketen und Kampfgas seien nicht industriell hergestellt und aus Gebieten abgefeuert worden, die zur Tatzeit die Rebellen kontrollierten.

Inzwischen appellierte auch Außenminister Sergei Lawrow an die USA, sich militärischen Drucks auf Damaskus zu enthalten. Nur so könnten die UN-Inspektoren die Giftgas-Vorwürfe objektiv untersuchen. „Tief beunruhigt“, sagte der Diplomat Montag bei einem Telefonat mit US-Außenminister John Kerry, habe Moskau Erklärungen Washingtons zur Kenntnis genommen, wonach die US-Streitkräfte bereit sind, in den Syrien-Konflikt einzugreifen. Lawrow betonte gleichzeitig aber, Russland werde in Syrien „gegen niemanden kämpfen“, das heißt, sich nicht militärisch auf die Seite Assads stellen.

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