13. Gallery Weekend Berlin: Zwischen Picasso und Moholy-Nagy erscheint ein Bilbo
Seine letzte Ausstellung nannte Jack Bilbo Popologie: Im Atelier Liebermann entdeckt der Maler Daniel Richter den 1967 verstorbenen Exzentriker neu. Eine grimmige, witzige Schau.
Der Platz vor dem Brandenburger Tor ist abgesperrt. Auf der leeren Fläche liegt einsam ein schwarzer Rucksack, neugierig beäugt von Touristen und Polizisten. Die gespenstische Szene ruft in Erinnerung, warum Krieg, Gewalt und Terror Menschen in die Flucht treiben. Neben dem Brandenburger Tor im Max-Liebermann-Haus kann man das Schicksal eines Emigranten kennenlernen, der nicht nach Deutschland, sondern aus Deutschland fliehen musste.
„Im Atelier Liebermann“ heißt die neue Reihe am Pariser Platz. Sie erinnert zum einen an das Atelier des Hausherrn, das mit seinem hohen Glasdach dem Kaiser ein Dorn im Auge war. Zwölf Jahre prozessierte er deshalb gegen den Künstler. Passend dazu geht es auch in der Ausstellung um männliche Größe. Für den Zyklus gewähren zeitgenössische Künstler einen Blick in ihr Atelier. Den Auftakt macht Daniel Richter, er räumt jedoch das Erdgeschoss dem weitgehend unbekannten Kollegen Jack Bilbo ein. Die Schau erzählt erstmals das Leben dieses Abenteurers, Hochstaplers und Flüchtlings.
Die Selbstfindung einer künstlerischen Existenz im Krieg
Bilbo ist Autodidakt, sein erstes Gemälde von 1939, ein roter Rückenakt, hängt jetzt in der Ausstellung. Die Frau mit dem schwarzen Haar zeigt ihr Gesicht im Profil. Das Zentrum aber bildet ihr Po. In dem manchmal naiv, manchmal obsessiv anmutenden Werk geht es viel um die lange Nase des Mannes und die Rundungen der Frau. In ihrer unverblümten Direktheit hat die Malerei Bilbos Witz, aber der Künstler will auch in einem Atemzug genannt werden mit den Größten der Kunstgeschichte. Zu diesem Zweck gibt er einen Bildband heraus über die Künstler der Moderne. Zwischen Picasso und Moholy-Nagy erscheint Bilbo. Zu bewundern ist in der Ausstellung die Selbsterfindung einer künstlerischen Existenz im Krieg, in der Emigration und der persönlichen Tragödie.
Hugo Cyrill Kulp Baruch, wie Bilbo richtig heißt, wird 1907 in Berlin geboren. Er wächst in einer großbürgerlichen jüdischen Familie am Kurfürstendamm auf, seine Mutter und seine Nanny sind Engländerinnen. Für seine erste Veröffentlichung – einen „Insiderbericht“ aus dem Netzwerk von Al Capone – legt er sich das Pseudonym zu. Jack in Verehrung für den Schriftsteller Jack London, Bilbo als Kürzel für das Schiff Bilbao, auf dem seine Nanny ihn für immer verließ.
Seine Mutter wird ermordet
1933 muss Bilbo vor den Nazis fliehen. Sein Vater wird enteignet und nimmt sich das Leben, seine Mutter wird ermordet. Bilbo gelangt 1936 nach England, wo er seine Leidenschaft für die Kunst entdeckt und die Modern Art Gallery gründet. Im Max-Liebermann-Haus hängt auch das Schild der erfolgreichen Kunsthandlung. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt Bilbo in barockem Format mit seiner Frau Owo im Restaurant. Nach dem Krieg kehrt das Paar nach Berlin zurück. Bilbo eröffnet in der Wielandstraße „Käpt’n Jacks Hafenkneipe“. Seine letzte Ausstellung nennt er Popologie. 1967 stirbt der Lebenskünstler.
Dies alles stellt Daniel Richter so fesselnd mit Bildern und Dokumenten aus, dass seine eigenen Arbeiten in den Hintergrund rücken. Tatsächlich wirkt der Gang in den ersten Stock wie ein Achssprung mit der Kamera. Während Bilbo Vitalität in lebensbedrohlichen Zeiten feiert, sucht Daniel Richter Trübsal in saturierten Umständen.
Grimmige und witzige Schau
„Triste Zweisamkeit, traurige Erotik, gescheiterte Hoffnungen“, so fasst er seine Werke zusammen. Für den Blick ins Atelier hat er Siebdrucke hervorgeholt, Zeichnungen, Gemälde, Material, das an provisorische Stellwände gepinnt ist. Da imponiert der Mut, Unfertiges zu veröffentlichen. Natürlich gehört es zu Daniel Richters Konzept, die Betrachter durch scheinbare Fehlerhaftigkeit vor den Kopf zu stoßen.
In der Atelierausstellung ist der Störreflex gut zu erkennen. Der Künstler unterbricht den geradlinigen Gedanken, verkehrt ihn ins Gegenteil, hebt Ernstgemeintes ironisch auf. Eine lose Materialsammlung führt zum Herzstück der Schau, einer Skulptur. Zunächst sind nur Fotos von Pilzen zu sehen, eine Napoleonfigur, das verschwommene Bild eines Dresdner Demonstranten mit der Parole „Holocaust am Deutschen Volk“. Die Skulptur selbst besteht aus einer Gruppe von Kräutersaitlingen, dazwischen sitzt eine Napoleonfigur. Das Ganze balanciert wackelig auf einem Gewirr von rotem Draht. Napoleon als Käpt’n Ahab auf dem vom Untergang bedrohten Schiff der Aufklärung, so die Erklärung des Künstlers.
Überhaupt ist die Schau grimmiger und witziger, als man den Maler kennt. Durch alle Räume zieht sich die Furcht vor Schönheit und Gefälligkeit. Beides legt Richter erst an und zerstört es dann. Die Zeichnungen fallen überraschend zart aus, malerische Experimente mit verlaufenden Farben fast süßlich. Ein Kleinformat sogar romantisch. Da steht eine Nymphe auf der Lichtung, im Gras liegt eine schwer erkennbare menschliche Gestalt. „Ein Mann, der sich selbst oral befriedigt“, lässt Richter die Illusion vom Schäferstündchen platzen. Der Blick ins Atelier öffnet die geschlossene Oberfläche von Richters manchmal spannungsloser Malerei. Er fördert darunterliegende Schichten zutage, allen voran das Talent, um die Ecke zu denken.
Max-Liebermann-Haus, Pariser Platz 7, Fr 18–21 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr, dann bis 18. 5.; Mi–Mo 10–18 Uhr, Sa/So ab 11 Uhr
Simone Reber
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