Daniel Richter: „Ich mag das Malen nicht, es ist so klebrig“
Im Werk von Weltstar Gerhard Richter sieht er Kitsch, in Rammstein schwitzende Bühnenarbeiter, in Deutschland viel Hysterie. Ja, Daniel Richter kann streng sein
Daniel Richter, 49, studierte Malerei in Hamburg. Die „SZ“ bezeichnete ihn als den „selbst- und sendungsbewusstesten aller jüngeren deutschen Maler“ – seine Bilder gehören inzwischen zu den teuersten. In Wien hat er eine Professur, er ist mit der Theaterregisseurin Angela Richter verheiratet
und lebt in Berlin.
Herr Richter, wie war es am Nordpol?
Pol stimmt nicht ganz. Es war Nordostgrönland, die nördlichste Stelle, an die man noch hinkann. Ich habe dort Per Kirkeby getroffen.
Der berühmteste lebende dänische Maler und Sie treffen sich zufällig am Rand des ewigen Eises?
Er reiste gerade ab, ich reiste an. Es war ein Projekt der dänischen Akademie, Geologen, Archäologen, Permafrostforscher und Künstler sind gemeinsam unterwegs. Die Wissenschaftler suchen nach Frühkulturen oder machen Bohrungen. Die Künstler müssen nur da sein und das auf sich wirken lassen.
Eine Reise ans Ende der Welt.
Das klingt jetzt mehr wie Joseph Conrad, als es ist, aber es war wirklich aufschlussreich. Das ist ja ein ganzer Kontinent, der irgendwann bevölkert werden wird. Jetzt ist es noch zu kalt und vereist. Irgendwann werden auch da Weinberge stehen, spätestens, wenn Hamburg untergegangen ist.
Sie gehören zu den teuersten Malern Ihrer Generation. Ihre neuesten Werke kosten bis zu 250 000 Euro. Macht Sie Ihr Marktwert manchmal nervös?
Nein. Ich lebe eh immer im Wahn, dass morgen alles vorbei ist. Am Anfang sagte ich: Ich tanze nur einen Sommer. Jetzt haben sich 15 Sommer aneinandergereiht. Nehmen wir an, ich würde das alles verlieren: Dann hätte ich immerhin Fehlerhaftes produziert, Wertschätzung erfahren und einen kleinen Beitrag zur Malerei geliefert. Wie sagt die Oma immer: Du kannst ja nix mitnehmen, wenn es nach drüben geht.
Sie spielen auf Ihren Bildern mit Afghanistan-Klischees. Aussteiger mit Gitarren, auf dem Gipfel gibt ein Paschtune einem Cowboy Feuer. Wieso?
Da verbindet sich die Faszination für ein anachronistisches romantisches Männerbild mit der Frage, wie das Bild des Cowboys und des edlen Wilden gekippt sind in das Bild des Krebskranken und des fusseligen Faschisten.
Aha. Dann gibt es auch diese Röntgenansichten, die man schon von Ihnen kennt. Sie kreuzen Röntgenaufnahmen oder Diagramme mit romantischen Landschaftsräumen.
Schauen Sie auf Per Kirkeby. Der ist ja Geologe, und das ist in seiner Malerei tatsächlich evident, wenn man an Schichtungen und Gesteinsformationen denkt. So wie wenn ich Nachrichten ansehe, EKG-Diagramme, Börsenindizes und Richterskalen und das auf die Leinwand übertrage. Alle künstlerischen Leistungen lassen sich im Nachhinein banalisieren: Jemand hat was gesehen und das dann entsprechend verformt. Damit erklärt man ja die Kunst nicht, dass man sagt: Aha, der ist Geologe! Jetzt wird mir alles klar!
Die Marlboro-Reklame ist längst Geschichte. Sie interessieren sich immer noch für diesen Cowboy?
Wenn mir jemand eine Filmrolle mit allen Marlboro-Reklamen schenken würde, würde ich mir das wahrscheinlich dauernd ansehen. Diese Sexualisierung zusammen mit dem Freiheitsbegriff, den endlosen Weiten und auch dieser homosexuelle Konnex: Die Village People sind als Kitschfiguren nichts dagegen. Der Marlboro-Man ist ja relativ spät eingeführt worden, in den 50er Jahren, als es den Typus des Cowboys gar nicht mehr gab.
Aber der Western war auf dem Höhepunkt. Die Werbung zitiert den Exotismus früher Abenteuerfilme.
Das ist der Frontier-Mythos des Westens. Richard Prince hatte das Thema für seine Bilder schon in den 80ern entdeckt. Warum ich das zusammen denke mit dem anderen Archetypus, dem edlen Wilden – das sind natürlich beides immer romantische Klischees gewesen. Diese Sehnsucht mitteleuropäischer Bürgerkinder, von Marokko bis Usbekistan zu wandern und mit Kaftanen, Vollbärten, Gitarren, Sitars, Patschuli und Wasserpfeifen zurückzukommen: Das ist ein roter Faden in der Exploitation des Exoten durch die Hippiekultur. Die erste antizivilisatorische Massenkultur Europas lebt ganz stark von der Adaption des arabischen Exoten, so wie die amerikanische Hippiekultur von der Ausbeutung der indigenen Kultur lebt. Was heißt Ausbeutung, man zieht sich irgendwas an…
Es ist eine Form symbolischer Kolonisation?
Wenn man so will, und auch ein Versprechen. Es war ein Ausbruch für all diese Kinder. Interessant ist, dass den Leuten heute gar nicht mehr klar ist, dass das eine prägende Phase in der Mode war: Seide, Teppiche, das Rumlungern am Boden, Paisley-Muster und auch diese Mischung aus Hadschi Halef Omar und Osama bin Laden. Lustigerweise habe ich das erste Porträt von Osama bin Laden in einer arabischen Zeitung gesehen, das war ’97 oder ’98. Es muss eine Art arabische „Life“ gewesen sein. Vorne drauf war dieses später berühmt gewordene Porträt mit dem milde-abgeklärten Gesichtsausdruck. Das ist natürlich jesushaft. Man will es leugnen, aber erst mal ist das ein Wanderprediger, einer, der alles opfert, mit weichem Blick, zarten Gesten, ein milder Irrer, so wie man sich einen Frühchristen vorstellen muss.
Wie denken Sie als Fan des Marlboro-Mannes über das Rauchverbot?
In Restaurants finde ich’s ganz gut. Generell ist das ja Teil einer allgemeinen Tendenz zur Angst, nicht nur vor dem Fremden, dem Immigranten. Angst vor Zucker, Angst vor Streit, vor Diabetes, vor zu fett, vor zu dünn, vor Rauchen, vor Alkohol – die Konsequenz ist, dass man auf jede Pomerol-Flasche schreiben muss: Zu viel Genuss dieses ’97er Château-Garraud führt zu Demenz und Fehlentscheidungen. Es ist idiotisch, so zu tun, als wären wir dem Staat und der Gesundheit verpflichtet!
Sie sind dann also eher gegen das Rauchverbot.
Ich verstehe nicht, dass Mitteleuropäer und Amerikaner ihr Leben so hoch hängen, ganz ehrlich. Das wirkt auch zynisch angesichts des Zustands der Welt: Dass Leute mit hysterischem Gesichtsausdruck Kindern das Nutella aus der Hand schlagen, während Milliarden anderer Menschen froh wären um ein trockenes Stück Brot. Das Ekelhafte ist die Emphase, mit der das betrieben wird, die Hartherzigkeit und Schmallippigkeit. Das ist Teil einer einzigen riesigen Paranoia, wo sich ein reaktionäres Menschenbild verzahnt mit einem vermeintlich aufgeklärten Menschenbild, so ein Gefühligkeits-Sensibilitäts-Faschismus.
Es gibt in Ihren neuen Bildern dicke Farbverstriche, friedlich, fast meditativ.
Ah, sehr gut. Ach, das hör’ ich gern. Ja, es gibt noch so viel in mir zu entdecken.
Werden Sie bald weiße Monochrome malen?
Ich arbeite zumindest an Reduktion. Mal sehen, was daraus wird.
Was ist daran das Schwierigste?
Die Muster, mit denen man vorher gearbeitet hat, loszuwerden. Das Niveau zu halten, aber die Methode zu ändern. Man muss ein Rückgrat finden, das Verbindlichkeit herstellt. Einfach nur Stile und Methoden zu wechseln, wie es Gerhard Richter meisterhaft gemacht hat, was ich allerdings ein bisschen redundant finde… Ich weiß, dass das viele für eine postmoderne Leistung halten, ich bin da skeptisch. Das ist wie Beck in der Popmusik: Mal spielt er Cembalo, dann E-Gitarre, dann dirigiert er ein Orchester, das ist nicht zwangsläufig komplex, eventuell lediglichWahllosigkeit.
Bei Beck ja, bei Gerhard Richter nein.
Bei Gerhard Richter nein, aber Richter ist ein Sonderfall, weil er ja auch vorführen will, wie man’s macht. Meiner Meinung nach ist Richter der wirkungsloseste Maler überhaupt für andere Maler. Weil es bei Richter keinen Fehler gibt. Diese Fehlerlosigkeitsinszenierung beeindruckt mich schon, ist mir jedoch in meinem verwirrten Hirn nicht genug. Mir ist Georg Baselitz lieber, bei allem Irrsinn, den er verzapft, finde ich das viel ehrlicher als jemanden, der wie Gerhard Richter im hohen Alter immer noch jeden Fehler vermeiden will. Ich finde dieses Pedantische, Protestantische an Richter wahnsinnig lehrreich. Unter dem Strich ist es natürlich auch Kitsch.
Ich wollte eigentlich auf die anthroposophischen Elemente in Ihren neuen Bildern zu sprechen kommen.
Die hab’ ich leider auch mitgekriegt.
Diese Farbverläufe von Rosa nach Orange… Waren Sie auf der Waldorfschule?
Überhaupt nicht. Es ist leider so, dass es einen Anthroposophen- und Hundertwasser-Einschlag in den Bildern gibt. Das war mir vorher nicht klar.
Wie lange arbeiten Sie an einem Bild?
Einige Bilder gehen relativ leicht von der Hand, andere stehen auch mal sieben oder acht Monate rum. Früher war mein System immer: Draufschotten, Abkratzen. Es war egal, wenn ich Fehler gemacht hatte. Weil die Bilder selber drauf angelegt sind, einen Zerstörungs- und Zumatschungsprozess mit abzubilden. Wenn ich jetzt bei diesen dünn lasierten Bildern einen Vogel male und den hinterher weg haben will, geht das nicht. Es ist mehr wie Schachspielen. Deswegen dauert es lange.
Was langweilt Sie an der Gegenwartskunst?
Mich langweilt da gar nichts dran, ich echauffier’ mich darüber. Ich bin wie so ein frühzeitig gealterter Pensionär, der krakeelig mit seinem Stock rumfuchtelt und einfach nur schimpft. Ich weiß tatsächlich sehr wenig über die Gegenwartskunst, außer dem, was ich in Zeitschriften lese. Und die Kunst, die mir da begegnet, ist mir im Großen und Ganzen unangenehm. Ich habe schon Mühe, den Leuten zu folgen, deren Arbeit ich schätze, weil ich das Atelier wenig verlasse, und wenn, dann gehe ich essen, und falls ich schlechte Laune habe, gehe ich trinken. Sie werden mich eher selten in Galerien finden.
Wenn Sie ein Avantgardemanifest schreiben müssten, was würde drinstehen?
Ich bin Maler! Maler haben Manifeste geschrieben, als sie noch nicht die Schildkröten der Kunst waren.
Deutsche Malerei ist doch keine Schildkröte! Die Leipziger Schule, Neo Rauch…
Es gibt wesentlich mehr als nur diese. Im Verhältnis zu Leuten, die Objekte, Filme, Performances et cetera machen, ist das jedoch nicht so viel. In Deutschland spielt die Malerei auch eine Sonderrolle. Deutschland ist einfach nie eine Gesellschaft für eine progressive Populärkultur gewesen. Hier endet das Abseitige, Dissidente, Subversive immer in irgendeiner Form der E-Kultur. Die Nachkriegskultur besteht aus Eigenbrötlerleistungen, die aus der deutschen Romantik und dem Idealismus stammen, gebrochen durch den Faschismus: Richter, Polke, Baselitz, Kiefer. Stockhausen, Rihm, Lachenmann. Zadek, Stein. Die Überführung der hedonistischen, aber auch der rebellischen Attitüde in den Mainstream hat in Deutschland einfach nie geklappt, dazu ist das Land zu muffig, zu reaktionär und zu sehr am Mittelmaß orientiert.
Die Band Rammstein hat es versucht.
Ja, aber Rammstein sind natürlich kodifiziert als Klischeedeutsche. Rammstein haben keinen Glamour. Das ist harte Arbeit, Männer schwitzen auf der Bühne wie in Kohlegruben. Die haben eine deutsche Idee von Kunst als Arbeit und Selbstdisziplin auf die Bühne gebracht, mal davon abgesehen, dass etliches bei den Slowenen der Band Laibach entlehnt ist.
Eine andere deutsche Band: Scooter?
Nein. Ganz ehrlich nicht. Zum Pop gehört die Selbstverständlichkeit der anmaßenden Geste. Und das haben diese Leute nicht, die sehen aus wie so Typen, die in ihrer Stadt auf dem Marktplatz in der Ecke gestanden und die Schultern hochgezogen haben. Und nicht wie Typen, die in schönen Schuhen über diesen Marktplatz getänzelt sind und allen den Mittelfinger gezeigt haben.
Sie wären eher der mit den Schuhen?
Dass sich Leute wie Chris Ofili, Peter Doig, ich, Tal R und Jonathan Meese in den 90ern alle bei Contemporary Fine Arts um eine Galerie versammelt haben, hing auch damit zusammen, dass es keinen anderen Ort gab und relativ wenig Interesse.
Geringes Interesse ist ein Vorteil?
Es gab real ganz wenig Malerei, das war mir damals nicht klar, ich hatte einfach Glück. Dadurch, dass es immer mehr Szenen und Kunstvereine gibt, ist es wesentlich schwieriger, verbindliche Verbündete zu finden. Man sucht als junger Student jemanden, dessen Arbeiten einen beeindrucken und mit dem man reden kann, und das wird nicht leichter, wenn es 500 Galerien statt nur fünf gibt. Trotzdem ist heute alles schöner als früher.
Weil mehr Geld bezahlt wird?
Weil man sonst die Sehnsucht nach Radikalität und Einfachheit über das Richtige stellt. Das ist, als ob sich Leute nach der guten alten Zeit zurücksehnen, als alles entlang der ideologischen Linie Kalter Krieg lief. Das hat natürlich die Positionierung leichter gemacht. Für den Rest der Welt sind ja Entscheidungen immer noch sehr einfach, weil dir von außen aufgezwungen wird, wie du zu leben hast. Wenn sich Mitteleuropäer danach zurücksehnen, können sie ja gerne nach Griechenland auswandern und nach Moskau oder in den Sudan. Das ist wie bei Soldaten, die aus dem Krieg zurückkommen und sich in der bürgerlichen Gesellschaft nicht zurechtfinden, weil sie halt nur vorwärts oder rückwärts marschieren können. Ein Leben aus Kameradschaft, Krieg und dem Adrenalinspiegel irgendwelcher Einsätze…
So wie das Künstlerdasein.
Dieses martialische Bild, das da noch rumgeistert, halte ich für vollkommen falsch. In Wirklichkeit ist es doch nur Traumtänzerei.
Adrenalin gehört nicht dazu?
Anstrengung gehört dazu.
Einsamkeit?
Einsamkeit gehört zur Malerei dazu und zur Literatur. Aber ich bezweifle, dass Olafur Eliasson oder Damien Hirst oder Danh Vo in den letzten zehn Jahren einmal im Studio einsam waren. Wasserfälle bauen, noch eine Freiheitsstatue, nochmal einen Siebzehn-Meter-Pimmel hochpolieren, das ist ja auch alles vom Organisationsaufwand her mittelständisches Kunsthandwerk. Ich glaube, dass die meisten Maler sich für die Malerei entscheiden wegen des Raums. Das Malen als isolierte Beschäftigung in einem Raum ist im Grunde wie ein ewiges Teenagerzimmerdasein.
Was tut sich denn in Ihrem Teenagerzimmer?
Die Wahrheit ist, dass ich da manchmal tagelang rumsitze, Platten höre, Singles sortiere, Bücher lese und sieben Minuten male. Ich mag das Malen selber nicht, es ist klebrig, immer sind die Finger schmutzig. Wenn es nach mir ginge, müsste man da nur rumsitzen, und die Bilder würden sich beim Hören und Verzahnen von Musikassoziationen, dem Blättern in Büchern und Zeitschriften im Kopf bilden – und sich direkt niederschlagen.
Interview: Kolja Reichert Foto: Thilo Rückeis
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