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Zweites Gesicht. Nordamerika-Kuratorin Monika Zessnik mit der Kwakwaka'wakw-Maske.
© Thilo Rückeis TSP

Umzug des Ethnologischen Museums: Zwiegespräche mit Göttern

Umzug ins Humboldt-Forum: Im Ethnologischen Museum werden Paradestücke aus Amerika eingepackt. Ein Rundgang.

Mal schauen, wie es dem Objekt so geht. Den „Lienzo Seler II“ vorsichtig anfassen oder wenigstens mit dem Auge prüfen, ob das Baumwollgewebe unbeschädigt durch die Dekaden gekommen ist: Das war bislang unmöglich für die Kuratoren und Restauratoren der mezoamerikanischen Abteilung im Ethnologischen Museum. Fast 50 Jahre hing das vier Mal vier Meter große Tuch aus dem 16. Jahrhundert in Dahlem quasi hinter Panzerglas – einer Doppelscheibe, so schwer und staubig, dass man das Highlight der Sammlung stets wie durch einen Schleier sah.

Bis Montag. Da stand Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, neben Museumsdirektorin Viola König und hielt den Atem an. Beide sprachen von einem „denkwürdigen Moment“, denn das tonnenschwere Glas wurde entfernt. Ein Kraftakt, und nur möglich, weil die Podeste davor mit ihren schweren Steinfiguren für den Umzug ins Humboldt-Forum schon abgeräumt wurden. Jetzt hängt das Tuch aus der frühen Kolonialzeit des 16. Jahrhunderts frei an der Wand, man sieht zarte Figuren, eine Kirche von Missionaren und einen Galgen – zum ersten Mal so frisch und unverstellt wie die Restauratoren, die das Exponat 1970 rahmen ließen. Wobei niemand weiß, welche konservatorischen Maßnahmen das Museum damals ergriffen hat.

Es gibt keine Dokumente im Haus. Um so gründlicher wird man diesmal vorgehen und alles aufzeichnen. Das Ergebnis der Farbanalysen, eventuelle Schädigungen durch das Licht, UV-Aufnahmen stark verblasster Malstellen und erstmals die digitale Dokumentation. Den Lienzo erwartet in den nächsten Monaten also eine ganze Liste von Maßnahmen. Doch schon jetzt sind alle im Raum, Kuratoren wie Assistenten und Restauratoren, die in ihren weißen Kitteln und mit Mundschutz an ein OP-Team erinnern, hell entzückt vom Zustand des Monumentalbildes. Seine fein gezeichneten Details, eine schwarz-weiß gefleckte Grenze, das Tal von Coixtlahuaca mit den dazugehörigen Ortschaften, vorspanische Pyramiden und Tempel, Wasserläufe, Felder und Fußwege formen nicht bloß eine historische Landkarte. Das Bild galt auch als Dokument, wenn es um ländliche Besitzansprüche den kolonialen europäischen Ankömmlingen gegenüber ging.

Der Bornemann-Saal ist zu einem Drittel wegen der Tuch-Abnahme geschlossen

Solche Feinheiten lassen sich natürlich nur aus der Nähe erkennen. Für die Besucher des „Bornemann“-Saals, der zu einem Drittel wegen der Tuch-Abnahme geschlossen ist, bleibt die Geschichte auf dem historischen Objekt ähnlich diffus wie zuvor unter dem Glas. Dass sie dennoch Zeugen des Geschehens rund um den Lienzo werden, hat einen Grund: Das Ethnologische Museum nutzt bereits leere Glasvitrinen als „Fenster“ in der Trennwand. Schon jetzt beobachtet ein Vater mit seinem kleinen Sohn von der anderen Seite das Treiben vor dem Wandbild. Bis es abgenommen, aufgerollt und in seine Transportverpackung eingeschlossen sein wird, bleibt für alle Besucher sichtbar, was mit dem Exponat im separaten Raum geschieht. Auch wenn sie den Bereich des Saals nicht mehr betreten dürfen.

Diese Teilhabe ist ein kleiner Coup. Das Museum hat, so scheint es, aus den zahlreichen Schaustellen Berlins gelernt und erlaubt einen Blick hinter die Kulissen. Einzige Voraussetzung: Man muss die Häuser in Dahlem auch besuchen. Wer an einem beliebigen Wochentag vorbeikommt, der genießt ein Privileg, das höchstens noch bis Ende des Jahres währt. Er ist nahezu allein mit den einzigartigen Zeugnissen, die auf den Schlossplatz umziehen.

Was dort einmal los sein wird, kann man leicht mit Blick auf andere, zentral gelegene Häuser in Metropolen imaginieren. Schlangen an der Kasse, Engstehen vor den Objekten, Zeitfenster für einen Besuch. Schade um jeden, der die Chance verpasst, jetzt noch einmal ins Zwiegespräch mit den Göttern der Cotzumalhuapa-Kultur zu treten oder die afrikanischen Kraftfiguren in ihren Nischen zu studieren, ohne dass einer von hinten schiebt. Das Museum für Asiatische Kunst mag geschlossen sein, die beliebte Abteilung Nordamerika bereit für die Transportboxen und das Junior Museum schon ein Stück Geschichte. Trotzdem gibt es noch genug zu sehen. Gerade jetzt, wo ein Teil der stets zitierten Sehenswürdigkeiten bereits eingepackt ist und dafür andere Schätze leuchten können, die sonst im Schatten ihrer Prominenz stehen.

Weiter geht's zur Verwandlungsmaske der Kwakwaka'wakw

Parzinger und König zog es vom Lienzo weiter in die nordamerikanische Abteilung. Dort wartete die Kuratorin der Sammlung, Monika Zessnik, mit einer Verwandlungsmaske der Kwakwaka’wakw. Das Ethnologische Museum mag reich an solchen Masken sein, doch das hölzerne Objekt mit Scharnieren aus Leder und zwei Gesichtshälften zum Klappen ist ein besonderes Stück: Unter der ernsten, drohenden Miene des äußeren Gesichts verbirgt sich eine zweites, weit sympathischeres.

Der norwegische Kapitän Adrian Jacobsen brachte das Stück 1883 von einer Sammlerreise an die pazifische Nordwestküste zurück, wohin ihn der Gründungsdirektor des Ethnologischen Museums, Adolf Bastian, geschickt hatte. Jacobsens Einkaufstour bescherte dem Hause mehrere tausend Objekte – obgleich der Seemann darüber klagte, dass schon andere Expeditionen vor ihm an der Küste gewesen seien und den Preis für die Artefakte in die Höhe getrieben hätten. Im Fall der Verwandlungsmaske hatte er offenbar Glück: Sie gilt als älteste ihrer Art und zeigt Nulis, einen Urahn der Kwakwaka’wakw. Getragen wurde das hölzerne Objekt vermutlich bei den sogenannten Potlatsch-Festen, während derer sich Mitglieder verschiedener Clans erst Respekt verschafften, um dann ihr inwändiges, freundliches Gesicht zu zeigen und Geschenke zu verteilen. Als Strategie zur Pflege des Netzwerks.

In den kommenden Tagen wird die Maske gereinigt, eingepackt und wohl erst 2019 wieder zu sehen sein. Genau wie die übrigen Objekte der Abteilung. Man mag bedauern, dass es nun zu spät für einen vorerst letzten Blick in die Vitrinen ist. Allerdings macht Monika Zessnik auch darauf aufmerksam, wie überholt die Präsentation am alten Ort in Teilen war. Die Kultur der Kwawaka’wakw ist bis heute in Kanada lebendig, weshalb das Ethnologische Museum mit den Nachfahren der einstigen Masken-Besitzer zusammenarbeiten kann. Das Museum verfügt nun sowohl über Jacobsens Reisebericht als auch über zeitgenössische Interpretationen. Wenn es die Maske wieder auspackt, werden beide Versionen an Audiostationen zu hören sein.

Ethnologisches Museum, Lansstraße 8/Arnimallee 25, Di–Fr 10–17 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr

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