Abschied von Dahlem (8): Das Rätsel um die Maske
Im Ethnologischen Museum schließen sich langsam die Türen, die Vorbereitungen für den Umzug ins Humboldt-Forum sind im vollen Gange. Zeit, die rätselhafte Nulis-Maske der kanadischen Indianer noch einmal zu inspizieren.
Man müsste schon über die Absperrung klettern und unbemerkt den mittlerweile geschlossenen Teil des Museums betreten, um die Maske noch einmal zu sehen. In warmes Licht getaucht hängt sie dort in völliger Stille: die Maske des Nulis, ein Glanzstück des Ethnologischen Museums. „So vieles ist über das Exponat bekannt, trotzdem ist es noch immer geheimnisvoll“, sagt Viola König, die Museumsdirektorin. Sie klingt dabei fast ein wenig andächtig.
Schon seit dem 11. Januar sind die Ausstellungsbereiche Südsee und Indianer Nordamerikas geschlossen. 5000 Besucher zog es am Wochenende davor noch einmal ins Museum – ein Höhepunkt. Insgesamt hatten die drei Dahlemer Museen 2014 112 000 Besucher, die Humboldtbox bereits 120 000. Der Umzug nach Mitte lohnt also. Noch hängt die Nulis-Maske allerdings an ihrem angestammten Platz in der Vitrine. Schon bald wird sie eingepackt und überdauert bis zur Eröffnung des Humboldt-Forums in einer Kiste. Zeit, sie noch einmal zu inspizieren.
Die älteste ihrer Art
„Eines ihrer Rätsel ist, warum sie überhaupt verkauft wurde“, sagt König. Der norwegischen Kapitän Adrian Jacobsen brachte die Nulis-Maske 1881 von einer Sammelreise an der pazifischen Nordwestküste und in Alaska mit. Im heutigen Fort Rupert, das an der nördlichen Spitze von Vancouver Island liegt, kaufte er sie den Kwakiutl ab, einer zu den Kwakwaka’wakw gehörenden Gruppe von Indianerstämmen. Für sie ist Nulis ihr Urahne, der erste Träger einer solchen Maske. Später erhielt derjenige Clan-Vertreter den Namen Nulis, der Besitzer so einer Maske war. Möglicherweise wollte ein neuer „Chief“ für sich eine neue Maske herstellen lassen und verkaufte die Maske deshalb an Jacobsen, vermuten heutige Nachfahren. Das Stück im Ethnologischen Museum gilt als das älteste erhaltene seiner Art.
Das Museum arbeitet eng mit den Nachfahren der Kwakwaka’wakw und den mit ihnen verwandten Bella Bella zusammen, um noch mehr über die Traditionen hinter der Maske zu erfahren. 2012 war sogar der Ururenkel des Nulis zu Gast, von dem Jacobsen einst die Maske abkaufte.
"Wenn man in Trance verfällt, öffnen sich neue Welten"
Ihr Geheimnis liegt vor allem der Verwandlung. Zugeklappt, zeigt sich auf der Maske ein dunkles, zorniges Gesicht, über dem ein Bär thront. Aufgeklappt wirkt das Gesicht in bunten Farben bemalt schon etwas weniger furchteinflößend, an den Seiten sind Bärenklauen und die Zähne eines Schwertwals zu sehen. Die Maske wird bei verschiedenen Ritualen der kanadischen Indianer verwendet. „Wenn man in Trance verfällt, öffnen sich andere Welten – so passiert das auch beim Aufklappen der Maske“, sagt König.
Die Rituale finden in den traditionellen nordamerikanischen Stammeshäusern statt. Die Luft dort ist geschwängert von Rauch, es riecht nach Lachs und Fischöl. An einer U-förmigen Tafel sitzen die Clan-Mitglieder, vor ihnen eine bemalte Wand. Für das Ritual werden die Masken hereingetragen, am Feuer in der Mitte erzählt jemand die Legende, wie Nulis einst einem Bären am Fluss begegnete.
Bereit, Gaben zu verteilen
Ein typisches Ritual der Kwakwaka’wakw ist der Potlatch. Anfangs waren diese Geschenkverteilungsfeste dazu gedacht, Güter zwischen einem wohlhabenderen und einem weniger wohlhabenderen Clan auszutauschen – etwa wenn der Fischfang sehr unterschiedlich ausgefallen war. „Später artete der Brauch aber aus und die Clan-Vertreter machten immer wertvollere Geschenke Decken oder geschnitzte Kisten, deren Produktion nach Einführung europäischer Metallwerkzeuge anstieg. Damit verpflichteten sie den Empfänger, ebenfalls so ein Fest auszurichten – und den Vorgänger mit noch mehr Gaben zu übertrumpfen“, erklärt König. Ethnologen deuteten die Maske auch so, dass sie im aufgeklappten Zustand Hände zeigt, die bereit sind, Gaben zu verteilen.
Im Humboldt-Forum sollen die von Jacobsen mitgebrachten Objekte entlang seiner Nordwestküsten-Reiseroute angeordnet werden. In diesen Kontext wird auch die Nulis-Maske gestellt. Zur Erläuterungen würden die Originaltexte aus dem Reisetagebuch des Sammlers eingesprochen, die etwa die Potlatch-Feste beschreiben, sagt König. Gute Erfahrungen seien bereits mit Videos auf Tablets gemacht worden, in denen die Maske selbst zu Wort kam. In Mitte dürfte die Maske des Nulis dann sehr viel mehr Besuch bekommen als bisher.
Maria Fiedler
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