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Auf 134 Millionen Euro kletterten die Kosten. David Chipperfields James-Simon-Galerie mit Pfeilerhalle (links) und Freitreppe. Dahinter das Pergamon-Museum.
© Mike Wolff

Richtfest James-Simon-Galerie: Berliner Museumsinsel bekommt endlich ihr Entree

Für Einzelbesucher wie für das Massenpublikum: Die James-Simon-Galerie regelt ab 2018 den Besucherverkehr auf der Museumsinsel.

Jedes Richtfest bedeutet Erleichterung: darüber, dass die Bauleute es geschafft haben, den Rohbau zu vollenden, gegen alle Widrigkeiten. Der größte Widersacher der James-Simon-Galerie, des künftigen Eingangsgebäudes der Museumsinsel, ist das Wasser. Es ist überall – vor allem aber da, wo das Gebäude fest verankert sein soll: im Untergrund.

Das Wasser der Spree fließt bekanntlich zu beiden Seiten der Museumsinsel, und unter dieser steht und fließt das Grundwasser. Generationen von Baumeistern hatten damit ihre Not. Die Ingenieure von heute mussten offenkundig erst ihre eigenen Erfahrungen machen. Im Ergebnis verzögerte sich der Rohbau der James-Simon-Galerie um gute drei Jahre, die Kosten stiegen von den 2008 veranschlagten 71 Millionen Euro über 99 Millionen bei Grundsteinlegung 2013 auf zuletzt bewilligte 134 Millionen. Firmen gingen pleite, Taucher mussten Fundamente unter Wasser wegreißen. Es ging wohl zu wie in einem dieser lustigen Werbevideos von Baumärkten. Nur nicht so lustig.

All das ist an diesem Mittwoch vergessen oder wird höflich übergangen, wenn die Festreden gehalten werden und der Polier seinen Richtspruch aufsagt. Dann richtet sich der Blick auf die Eröffnung des Bauwerks. Sie soll nunmehr 2018 stattfinden, passend zum Dienstjubiläum Hermann Parzingers, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der dann zehn Jahre im Amt ist. Die Stiftung ist die Trägerin der Staatlichen Museen mit ihrem Schmuckstück Museumsinsel. Parzinger hat die Simon-Galerie von seinem Vorgänger geerbt – und mit ihr die periodisch aufflammende Diskussion unter dem Stichwort „Massentourismus“.

Für die einen spiegelt sich darin die Realität der Metropole Berlin, die von Jahr zu Jahr mehr Besucher anzieht, von denen ein Großteil die Museumsinsel besucht und sich über Warteschlangen vor Kassenschaltern, Garderoben und Toiletten ärgert – oder deshalb oft nur ein Haus der „Insel“ aufsucht, meist das Pergamon-Museum.

Für die anderen hingegen ist Massentourismus der Horror schlechthin, der Verfall des Museumswesens, das auf den Einzelbesucher zugeschnitten sei und bleiben solle, nicht auf Gruppen von Ausflüglern womöglich mit Kopfhörern, um einem Guide im Eiltempo hinterherzulaufen. Die Simon-Galerie als zentrales Eingangsgebäude zur Museumsinsel, so das Verdikt, leiste solchem Massenbetrieb Vorschub, indem sie die Infrastruktur für Busladungen voller Touristen bereitstellt. Zudem biete die Simon-Galerie künftig die Möglichkeit, mit einem einzigen Ticket (fast) alle Museen der Insel abzuhaken, die beiden Nachbarn Pergamon-Museum und Neues Museum auf jeden Fall trockenen Fußes – im „Schnellrundgang“, um ein weiteres Unwort in Erinnerung zu rufen.

"Erst erfreuen, dann belehren" - die James-Simon-Galerie setzt Schinkels Devise um

Anderenorts wurde über die Berliner Debatte der Kopf geschüttelt. Dabei muss man gar nicht erst die astronomischen Besucherzahlen des Pariser Louvre oder des British Museum in London und die damit verbundenen logistischen Probleme aufrufen, um die Kleingeistigkeit der Touristen-Gegner zu erkennen. Mehr denn je kommen die Museen dem Leitsatz „Erst erfreuen, dann belehren“ nahe, formuliert von Karl Friedrich Schinkel, dem Baumeister des 1830 als Erstling der Insel eröffneten Alten Museums. Sie sind, wie es erstmals in der Geschichte das Gesetz zur Gründung des British Museums im Jahr 1753 bestimmte, offen für „jede Person“. Nun ist neben dem Bildungsbürgertum eben das Millionenheer der Touristen herangewachsen, und in einer demokratischen Gesellschaft hat jeder Besucher Anspruch darauf, dass seinen Bedürfnissen nach Möglichkeit Genüge getan wird.

Diesem Zweck dienen zuallererst die Serviceeinrichtungen der James-Simon-Galerie. Genau daran mangelt es den anderen Häusern der Insel. Was nicht bedeutet, dass alle Besucher durch das neue Hauptportal gehen müssen: Jedes Museum behält seinen eigenen Eingang. Doch wer einen Tag oder auch nur wenige Stunden auf der Insel verbringen will, wird künftig den Service der nach dem bedeutendsten Mäzen der Berliner Museen benannten James-Simon-Galerie nutzen und schätzen. „Wir wollen eine Gastlichkeit bieten“, verteidigte Parzinger vor Jahren schon die Pläne der Stiftung, „wie es dieser Museumsinsel angemessen ist.“ Mit Gastlichkeit beginnt das Schinkelsche „erst erfreuen“, das „dann belehren“ kommt unter anderem mit den in der Galerie untergebrachten Vortragsräumen zur Geltung.

Die Architektur – entworfen von David Chipperfield, der mit der Wiederherstellung des hinter der James-Simon-Galerie gelegenen Neuen Museums zu höchstem Ansehen gelangte, unter Mitarbeit von Alexander Schwarz – muss eine Vielzahl von Funktionen vereinen. Chipperfield knüpft, dezent aber sichtbar, an die klassizistische Formensprache Schinkels und seiner Schule an.

Zum Kupfergraben hin schließt eine hohe Pfeilerhalle die Galerie ab, von der Bodestraße her steigt eine breite Freitreppe auf die Höhe hinauf. Feierlichkeit ist Chipperfields Architektur nicht fremd. Doch sie weist nicht ab, sondern lädt ein. Alle Museen der Insel haben ihre schönsten Schauräume in der Beletage, also hoch über einem Sockelgeschoss. Zumindest ins benachbarte Pergamon-Museum gelangt der Besucher auf dieser Höhe in direktem Durchgang. Die schlanken Vierkantpfeiler, die Chipperfield schon beim Literaturmuseum der Moderne in Marbach zur Wirkung brachte, säumen den geradewegs ins Wasser des Kupfergrabens abfallenden Sockel auf 104 Metern Länge und tragen das flache Dach. Da der Gebäudesockel mit seinen drei Ebenen, aber nur zwei großen Fenstern dem zweifach geknickten Verlauf des Kupfergrabens folgt, die Pfeilerhalle jedoch schnurgerade verläuft, öffnet sich zum Pergamon-Museum hin eine schmale Terrasse, die von dem dahinter liegenden Café mitbedient werden soll. Auch das ist ein leiser Gruß an Schinkel, der mit der offenen Loggia im Alten Museum ein wenig südländisches Freiluftgefühl nach Berlin holen wollte.

Die James-Simon-Galerie schließt das Museumsinsel-Ensemble so gut als möglich ab

Schaut man weiter Richtung Stadtbahntrasse, so schließt sich an die neue Galerie das Pergamon-Museum an, dessen Flügelbauten bislang einen einschüchternden Innenhof rahmen. Irgendwann in den 2020er Jahren wird es eine bauliche Verbindung zwischen den beiden Flügeln geben, nach dem Wettbewerbsentwurf des verstorbenen Oswald Mathias Ungers. Die Front der Museumsinsel zum Kupfergraben hin wird also künftig durchgängig bebaut sein. Mit der James-Simon-Galerie ist so ziemlich das letzte Eckchen gefüllt, das auf der Insel frei war. Allenfalls ein kleiner Rest ließe sich als Erweiterung des Pergamon-Museums an dessen Rückseite denken.

Die Schließung der Baulücke am Kupfergraben bringt es mit sich, dass die Fassade des Neuen Museums künftig nicht mehr zu sehen sein wird (allerdings war sie auch nicht als Vorzeigeschönheit erdacht, einst ragte sie hinter Gewerbebauten auf). Darüber wurde viel lamentiert, ausgerechnet von jenen traditionalistischen Kreisen, die zuvor die Chipperfieldsche Rekonstruktion des Neuen Museums als Verunstaltung bekriegt hatten. Wie man es dreht und wendet: Die Museumsinsel ist kein nach einem einheitlichen Plan errichtetes logisches Ganzes, sondern eine Ansammlung von Solitären, deren beinahe jeder zu seiner Entstehungszeit einer anderen Vision folgte.

Nun schließt die James-Simon-Galerie das Ensemble so gut als möglich ab. Ist sie erst einmal eröffnet, wird sich kaum ein Benutzer mehr daran erinnern wollen, wie es ohne sie zugegangen ist. Am heutigen Tag können die Stiftungs- und Museumslenker erst einmal kräftig durchatmen. Und mit ihnen alle künftigen Nutzer.

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