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Der Harte und der Zarte. Joaquin Phoenix und John C. Reilly.
© Wild Bunch

Western "The Sisters Brothers": Zwei Brüder, ein langer Ritt

Lockruf des Goldes: Jacques Audiards kauzig-komischer Western "The Sisters Brothers" mit Joaquin Phoenix und John C. Reilly.

Western erzählen vom Vordringen der Zivilisation. Immer weiter verschiebt sich die frontier, die Grenze zwischen Kultur und Wildnis, nach Westen, und das Großsymbol dafür ist der Schienenstrang. Wo die Eisenbahn ankommt und mit ihr Ordnungshüter und Gesetz, endet die Anarchie. Vielleicht aber zeigt sich der Fortschritt noch deutlicher in den kleinen alltäglichen Dingen. Zum Beispiel in einer Tube Zahnpasta.

Eli Sisters, einer der beiden hinterwäldlerischen Helden in Jacques Audiards Film „The Sisters Brothers“, entdeckt sie, als er sich mit seinem Bruder Charlie in einem Laden mit Waffen und Proviant für einen langen Ritt eindeckt. Im Hotel studiert er die Gebrauchsanleitung, um dann seine Zunge schäumend zu bürsten. Am Ende strahlt Eli, vom Bruder als Weichling verspottet. Nicht, dass er besser riechen würde. Aber der Outlaw fühlt sich nun als Bürger, gleichsam imprägniert gegen den Dreck des Daseins.

Träume eines Tölpels

Natürlich sind Eli und Charlie nicht unbedingt Musterbeispiele für den Sieg der Kultur über die Natur. Sie sind Brüder und heißen tatsächlich Sisters, das ist der erste Witz. Der größere, etwas unheimliche Witz sind sie selber. Charlie neigt zu Trunksucht und Gewaltausbrüchen, Joaquin Phoenix spielt ihn mit einer psychopathologischen Kälte, die man aus vielen seiner Rollen kennt, angefangen mit dem größenwahnsinnigen Commodus in „Gladiator“. Eli, der von John C. Reilly verkörperte ältere Bruder, ist ein gutmütiger Tölpel. Seine Karriere als Berufsverbrecher möchte er möglichst schnell aufgeben, um sich irgendwo niederzulassen und ein Geschäft zu eröffnen.

Die Sisters Brothers arbeiten als Auftragskiller für den Commodore (Rutger Hauer), einen Lokalfürsten des Bösen, der mit seiner Bande den amerikanischen Nordosten beherrscht. Der Film beginnt mit einem nächtlichen Überfall auf einen Bauernhof. Man sieht nur das Mündungsfeuer der Waffen, eine Scheune geht in Flammen auf, ein Pferd flieht mit brennender Mähne. Ob sie am Ende sechs oder sieben Gegner exekutiert haben, wissen die Brüder nicht. Es ist auch egal, der Boss hat gleich den nächsten Job für sie.

Von Oregon nach Kalifornien

Eli und Charlie sollen den Abenteurer Hermann Warm (Riz Ahmed) finden und ihm eine Wunderformel abjagen, das Rezept für eine Flüssigkeit, mit der Gold im Wasser sichtbar wird. Ihm folgt bereits der Privatdetektiv Jim Morris (Jake Gyllenhaal), bei dem unklar ist, ob er noch im Auftrag des Commodore oder schon auf eigene Rechnung arbeitet. 1851 hat der Goldrausch das Land erfasst, der Weg führt von Oregon nach Kalifornien.

Der französische Regisseur Jacques Audiard, bekannt geworden mit seinem Knastdrama „Ein Prophet“, bricht mit allen klassischen Regeln des Western. Seine Helden sind nicht wortkarg, sie reden nahezu pausenlos. Im Sattel oder am Lagerfeuer schwadronieren sie über Familienplanung, Träume und Krankheiten, sie erinnern sich an den Horror ihrer Kindheit mit einem tyrannischen Vater, betreiben rhetorische Haarspalterei. Zwischendurch wird Eli von einer Spinne gebissen, sein Hals schwillt zu, er fiebert und halluziniert. Die Landschaft, durch die sie reiten, hat nichts Erhabenes an sich, sie ist verregnet, matschig, unwirtlich. Einmal kommt ein Wagen vorbei, der mit Fertigteilen eines Hauses beladen ist. Kurz darauf wird es bereits am Wegesrand zusammengebaut.

Geisterstädte, Geisterzeiten

Die Gier nach Gold treibt die Menschen an, führt zu extremer Beschleunigung. Städte entstehen genauso schnell wie sie wieder verschwinden. Geisterhafte Zeiten. Als die Brüder den Pazifik erreichen, Sehnsuchtspunkt der Reise gen Westen, ist das kein Triumph. Viele waren vor ihnen hier, der Strand ist übersät mit Kleidungsstücken, Möbeln und Kisten. Die Szene erinnert an heutige Nachrichtenbilder von den Migrationsbewegungen am Mittelmeer. In San Francisco, wo die Protagonisten bald darauf ankommen, leben die Menschen übereinander in großen Häusern, es gibt Theater und Gaslaternen, die Straßen sind überfüllt. Staunend lernt Eli die Vorzüge eines Wasserklosetts kennen.

„Diese Welt ist abscheulich“, notiert Morris in seinem Tagebuch. Der Detektiv hat Thoreau gelesen, er schwärmt von der ursprünglichen Schönheit der amerikanischen Natur, versucht sich an Versen. Der Goldrausch erleichtert ihm seine Arbeit ungemein, um eine Person zu finden, muss er sich einfach dem großen Treck anschließen. Allerdings endet die Poesie für ihn dort, wo materielle Interessen beginnen. Folter gehört zum Handwerk seiner Ermittlungen.

Heroismus, aufgelöst zu Humor

Der Chemiker Warm, den er schließlich in seine Gewalt bringt, versteht sich als Philosoph und Sozialrevolutionär. Er hat in Dallas eine lebensreformatorische Vereinigung gegründet, die dem Aufbau einer neuen, gerechteren Gesellschaft dienen soll. Als Alchemist hat er den Stein der Weisen entdeckt: Seine Methode, Gold aufzuspüren, funktioniert tatsächlich. An dieser Stelle wird das Drama zum Märchen. Die Sisters Brothers, Morris und Warm tun sich zusammen, um am Folsom River gemeinsam steinreich zu werden. Das macht die Verfolger zu Verfolgten, der Commodore schickt ihnen seine Schergen hinterher.

„The Sisters Brothers“ ist ein Western, bei dem sich, ähnlich wie zuletzt bei der „Ballade von Buster Scruggs“ von den Coen-Brüdern, Heroismus in trockenem Humor auflöst. Gestorben wird zufällig und sinnlos, aber es bleibt eine Rettung: die Familie. Audiard hat den Film seinen Brüdern gewidmet.

In 14 Berliner Kinos. OV: Cinestar Sony Center

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