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JACQUES AUDIARD (60) ist einer der bekannten Regisseure Frankreichs.
© Wild Bunc

Interview mit Regisseur Jacques Audiard: "Ich liebe meine Filme, dann lasse ich sie los"

Regisseur Jacques Audiard spricht im Interview über Erfolg, Vatermord und die schöne Mühsal des Drehbuchschreibens.

Sind Sie ein verwöhnter Regisseur?

Wie meinen Sie das: Weil ich begabt bin? Oder weil ich Erfolg habe?

Das Publikum liebt Sie geradezu. Von Film zu Film verdoppeln sich Ihre Zuschauerzahlen. Mit „Der Geschmack von Rost und Knochen“ sind Sie in Frankreich bei 1,8 Millionen angekommen.
Ja, ich habe Glück. Auch wenn man sich niemals sicher ist, wo das Glück herkommt und ob es anhält. Schon früh war ich überzeugt, Filmemachen ist eine demokratische Kunst, für das große Publikum. Als cinephiler Zuschauer liebe ich zwar selbst Filme für Eingeweihte. Aber es würde mich langweilen, nur für die happy few zu drehen, also für Leute wie mich selbst. Zumal eine solche Haltung auch extrem unbescheiden wäre, geradezu narzisstisch.

Andererseits ist Ihr neuer Film zuletzt in Cannes leer ausgegangen.
Es ist doch schon eine Auszeichnung, wenn man dort überhaupt für den Wettbewerb eingeladen wird! Nicht dass es mir egal wäre, ob darauf noch ein Preis folgt oder nicht, aber das Gefühl ist nicht weit weg von der Gleichgültigkeit. Diese Entscheidungen hängen nicht von mir ab, und ich kann sie auch kaum einschätzen. Die Stoiker sagen ja, man soll nur dort handeln, wo man etwas ändern kann.

Sie sind behutsam ins Regiegeschäft eingestiegen und haben zuerst lange als Drehbuchautor gearbeitet. Am Anfang sogar mit Ihrem Vater, der die Stars der 60er und 70er Jahre populär machte.
Ich bin in dieses Milieu hineingeboren. Mein Vater schrieb Drehbücher, mein Onkel war Produzent, Schauspieler gingen bei uns ein und aus. Mit meinem Vater habe ich zwei Drehbücher geschrieben. Als ich noch nicht mal 20 war, hat er mich für die Arbeit an Szenen und an Repliken gebraucht – im August, wenn seine Mitarbeiter in Ferien waren. Das war schön und aufregend. Und auch normal.

Ohne jetzt groß herumpsychologisieren zu wollen: Auch in Ihren Filmen beschäftigen Sie sich immer wieder mit Vater-Sohn-Verhältnissen. In übertragenem Sinn etwa in der Gefängniswelt von „Ein Prophet“ und nun unmittelbar im „Geschmack von Rost und Knochen“. Es geht um Machtkämpfe – oder zumindest um eine ziemlich grausame Form von Zärtlichkeit.
Ich habe mich auch selbst schon gefragt, was ich damit ausdrücken will, in Bezug auf mich selbst. Mit meinem Vater aber hatte ich nur die üblichen vorübergehenden Konflikte, wie jeder Heranwachsende. Ich bewunderte und liebte ihn sehr.

Im übertragenen Sinn gibt es den Vatermord immer in meinen Filmen, und immer als Wendepunkt. Eigentlich aber frage ich damit: In welchem Zustand hinterlassen die Väter die Welt?

"Wenn etwas amerikanisch an meinen Filmen ist, dann der Vorrang des Drehbuchs."

JACQUES AUDIARD (60) ist einer der bekannten Regisseure Frankreichs.
JACQUES AUDIARD (60) ist einer der bekannten Regisseure Frankreichs.
© Wild Bunc

Es geht Ihnen also eher um eine Art Mord am Patriarchat?
Genau! Das ist es, was mich interessiert.

Lassen Sie uns über die Form Ihrer Filme sprechen. Ein bisschen erinnert sie an Hollywood – auch wenn Sie manchmal kategorisch sagen, das Arbeiten dort wäre nichts für Sie. Vielleicht, weil Sie bereits ein amerikanischer Regisseur in Frankreich sind?
Ah, das ist lustig! Wie kommen Sie denn darauf?

Sie erzählen gerne starke, einfache Geschichten mit einem zentralen, dualistischen Konflikt. Auch das Tempo und die massive visuelle Verführungskraft, auf die Sie in Ihren Arbeiten setzen, erinnert an das US-Kino.
Möglich. Aber das würde ja auch bedeuten, dass mich das amerikanische Kino entscheidend geprägt hat. Aber da ist auch das deutsche der siebziger Jahre, Fassbinder, Kluge, auch Wenders. Oder die Italiener und die Japaner, in letzter Zeit verfolge ich vor allem das asiatische Kino. Wenn etwas amerikanisch an meinen Filmen ist, dann der Vorrang des Drehbuchs. Daraus erst erwächst Vertrauen in einem Film. In den Neunzigern fiel ich in Frankreich vor allem dadurch auf, dass meine Filme richtige Drehbücher hatten. Das war nicht gerade üblich.

Inzwischen aber wollen Sie weg vom Drehbuchschreiben.
Sagen wir so: Ich würde gerne weniger daran beteiligt sein. Ich mache das schon so lange. Alle zwei, drei Filme wechsele ich meine Ko-Autoren aus, es gibt dafür zwar immer praktische Gründe, aber wahrscheinlich funktioniert eine sehr gute Zusammenarbeit mit einem Drehbuchautor ohnehin nicht länger. Danach kennt man sich zu genau. Und erst der Überdruss an mir selber: Wenn ich den Stoff ausgedacht, geschrieben und entwickelt habe, wo bleibt dann noch Raum für Überraschungen? Am Set verbringe ich viel Zeit damit, gegen das anzukämpfen, was ich selber vorbereitet habe.

Haben denn Ihre Hauptdarsteller in „Der Geschmack von Rost und Knochen“, Marion Cotillard und Mattias Schoenaerts, Sie überrascht – oder umgekehrt?
Matthias’ Rolle war im Drehbuch viel brutaler. Aber weil er nicht zu dem passte, was ich mir vorgenommen hatte, haben wir seine Figur weicher, verführerischer gemacht. Und er hat diesem Ali Jugendlichkeit gegeben. So wirkt er nicht mehr so sehr wie der junge Vater seines Kindes, sondern eher wie dessen älterer Bruder. Da waren dann auch die härteren Szenen gleich ganz anders zu ertragen.

Und die Figur der Stéphanie?
Da muss ich überlegen. Ja, auch sie hatte ich kälter konzipiert. Marion aber hat sehr schnell – und das tut sie gerne – etwas Anrührendes, Lebendigeres in die Rolle eingebracht. Also bestand meine Arbeit eher darin, sie in der Emotionalität zu bremsen.

Unabhängig vom Erfolg im Kino: Martern Sie sich bei Ihren Filmen später manchmal mit dem Gedanken, diese oder jene Szene würde ich jetzt ganz anders drehen?
Ich liebe meine Filme so lange, wie ich mit ihnen beschäftigt bin. Dann lasse ich sie los. Denn wenn ich später daran zweifle, dann geht es nicht um Szenen, sondern um den ganzen Film. Da bin ich ziemlich negativ. Schon deshalb gucke ich sie später nie wieder an.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

JACQUES AUDIARD

(60) ist einer der bekannten Regisseure Frankreichs. Filme: „Der wilde Schlag meines Herzens“ (2005) und „Ein Prophet“

(Großer Preis der Jury in Cannes 2009)

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