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Die irische Schriftstellerin Sally Rooney, 29
© Patrick Bolger/Luchterhand Verlag

"Normale Menschen" von Sally Rooney: Zur Zeit der ultimative Romanhype

Der Hype geht weiter: Sally Rooneys leider gar nicht mal so gelungener, sprachlich dünner Millennials-Roman "Normale Menschen".

Mit 29 Jahren weltberühmt, in vielen überschäumenden Rezensionen bejubelt und als „Salinger für die Snapchat-Generation" bezeichnet, von Celebrities wie Taylor Swift und Barack Obama auf die Leselisten gesetzt – Sally Rooney ist ein Hype-Phänomen der Millennial-Literatur. Dringend erwartet wurde deshalb die Übersetzung ihres zweiten Romans „Normale Menschen“.

Es geht darin um Marianne und Connell, die eine schlingernde Romanze seit der Schulzeit verbindet. Sie tun sich weh und sie tun sich gut. Immer wieder trennen sie sich, immer wieder kommen sie zusammen, und darüber vertieft sich ihre Freundschaft, ihr Verständnis füreinander. Vier Jahre ihres Lebens schildert der Roman, von 2011 bis 2015. Die Beziehung hat jedoch eine Anfangswunde, die nie ganz ausheilt. Auf der Schule in der westirischen Provinz ist der attraktive, sportliche Connell sehr beliebt, Marianne dagegen die Außenseiterin, die wenig auf ihr Äußeres hält und lieber ihr Innenleben pflegt, etwa mit Proust-Lektüre.

Der Klasse-Diskurs wirkt hier eher klischeehaft

Connell ist fasziniert von ihr; besteht aber darauf, dass ihre sexuell erfüllende Liebesbeziehung geheim bleibe. Noch mehr kränkt es Marianne, dass er sie nicht als Partnerin für den Schulabschlussball erwählt. Beim Literaturstudium am Dubliner Trinity-College kehren sich die Verhältnisse um. Marianne blüht auf, ihre Herkunft aus reichem Haus wirkt sich vorteilhaft aus.

Connell dagegen verliert an Prestige. Niemand weiß hier, was für ein beliebter Bursche er ist, und seine ärmliche Herkunft schlägt nun durch: Seine Kleidung sendet die falschen Signale, und bald wird es finanziell eng für ihn. „Klasse“ und die Determinierung von Biographien durch das Herkunftsmilieu spielen in der Literatur seit einiger Zeit wieder eine wichtige Rolle. Rooney bewegt sich in diesem Diskurs, nur wirkt das in „Normale Menschen“ eher klischeehaft. Connells alleinerziehende Mutter ist Putzfrau, hat das Herz aber auf dem rechten Fleck.

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Mariannes Familie dagegen ist reich und psychopathisch. Ihre Mutter, eine Juristin, hasst sie und ist unerfindlicherweise von der „frigiden und unsympathischen Persönlichkeit ihrer Tochter“ überzeugt. Mariannes Bruder Alan setzt ihr zudem mit seinen Quälereien zu, bis Connell den toxischen Kerl am Ende in einer unglaubwürdigen Showdown-Szene unschädlich macht.

Aus Mariannes Familiendrama resultiert ihre Neigung zum Sadomasochismus, nicht als lustvolles Spiel, sondern als pathologisches Verlangen, geschlagen und erniedrigt zu werden. Der Roman bekommt einen faden Beigeschmack durch dieses wenig überzeugend in Szene gesetzte Motiv, das von „Shades of Grey“ in die Senkgrube der Trivialität geritten wurde. Dass Gefühle unsicher und oft gemischt sind, ist eine alte Wahrheit, und jede Generation darf sie neu entdecken. Im Stil einer neuen Empfindsamkeit, die mehr fühlen als beschreiben will, zelebriert Rooney die emotionalen Ambivalenzen. Zwar sprechen Marianne und Connell sehr sanft und innig miteinander, weshalb sich ihre Dialoge oft betulich lesen.

Rooney steht in der Tradition einer Jane Austen

Aber hinter all der Gefühligkeit lauern viele Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. Was empfindet man wirklich? Wie verhält man sich „richtig“? Und was will man überhaupt, im Leben und miteinander? Im klassischen Liebesroman einer Jane Austen, in deren Tradition Rooney steht, war die „gute Ehe“ das Ziel.

Es gab starke soziale Widerstände und viele Missverständnisse, die überwunden werden mussten. Heutzutage kommt eine hoffnungsfrohe Heirat natürlich nicht mehr als Finale in Frage. Und auch wenn Rooney ihre Figuren an der Disbalance der Herkunft laborieren lässt, sind ernsthafte Hemmnisse für ein literarisches Liebespaar daraus heute kaum noch zu gewinnen.
Bleiben die Missverständnisse, die nun die ganze Last der Handlung schultern müssen. Bei aller Nähe und allen Liebesbeteuerungen stehen sich Connell und Marianne in entscheidenden Momenten erstaunlich fremd gegenüber. So kippt ihre On-Off-Beziehung ein weiteres Mal auf „off“, als Connell sein Zimmer in Dublin nicht mehr bezahlen kann.

Er würde nun gerne bei Marianne einziehen, mit der es gerade mal wieder bestens läuft, aber sie versteht seine Signale nicht. Connells resignierte Bemerkung, dass er nun für einige Monate ins Heimatkaff Carricklea zurückkehren müsse, missdeutet sie darüber hinaus als Wink, dass er mit ihr Schluss machen wolle. Und reagiert schroff und gereizt.

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Soll man es glauben, dass zwei angeblich so kluge und sensible Liebende sich nicht besser über ihre Bedürfnisse verständigen können? Es ist unwahrscheinlich. Aber die Erzählerin will es so, um diese Beziehung weiter in der Schwebe zu halten. Solche geradezu anfallsartigen Befremdungen kommen noch öfter vor; mitunter mitten im schönsten Sex. Das ständige Schauen auf die Gefühle wird schließlich zum Starren in den Abgrund. Den Figuren setzt die Angst zu, dass sie im Innersten eiskalt sein könnten: „Er war wie etwas aus der Tiefkühltruhe, das zu schnell aufgetaut war und äußerlich überall schmolz, während der innere Kern noch durchgefroren war.“

Vermarkten lässt sich diese falsche Gefühlsreise bestens

Während dies ein treffendes, sogar witziges Bild ist, scheut die Autorin sonst weder schiefe Metaphern („Was ihr damals angetan wurde, ist in der Erde ihres Körpers begraben“) noch quasireligiöses Pathos („Er hatte sich entschieden, sie zu erlösen, sie war erlöst…“) oder Sinnig-Sinnsprüchliches („Er machte ihr das Geschenk, ein guter Mensch zu sein, und das gehört jetzt ihr“). Gelegentlich gibt es politische Andeutungen, die nie über die Länge eines Twitterspruchs hinauskommen.

So heißt es über Connells Mutter: „Es stimmt, Lorraine hat Werte. Sie interessiert sich für Kuba und die palästinensische Befreiungsbewegung.“ In solchen Passagen liest sich „Normale Menschen“ wie ein Roman in „leichter Sprache“, mit „leichter Reflexion“. Regelmäßig verunglücken zudem die Beschreibungen des Körperlichen.

Mariannes weißes Fleisch wird mit einem weichen „Mehlteig“ verglichen, was aber positiv gemeint ist. Oder es heißt kitschig: „Er berührt ihre Haut mit den Lippen, und sie fühlt sich heilig an, wie ein Schrein.“ Nach dem Selbstmord eines alten Schulfreundes wird Connell schwer depressiv. Er geht durch eine innere Wüste und taucht auf der anderen Seite als angehender Jungschriftsteller wieder auf.

Mit dem Literaturbetrieb aber hadert er: Romane fungierten dort als „Fetisch dank ihrer Fähigkeit, gebildete Leute auf falsche Gefühlsreisen zu schicken… Selbst wenn der Autor als solcher ein guter Mensch war und selbst wenn sein Buch wirklich einfühlsam war, so wurden alle Bücher letztlich als Statussymbole vermarktet.“ An diesen Sätzen ist alles plattitüdenhaft und schief. Am besten passen sie auf Rooneys Roman selbst. Er schickt seine Leser und Leserinnen auf eine „falsche Gefühlsreise“, die sich bestens vermarkten lässt.

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