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Die irische Schriftstellerin Sally Rooney; 1991 geboren.
© Ruby Wallis/Luchterhand

"Gespräche mit Freunden": Die irische Autorin Sally Rooney ist auf dem Weg zum Literatur-Superstar

Ist der Hype berechtigt? Über Sally Rooneys gefeiertes Romandebüt "Gespräche mit Freunden"

Mit der Jugend hat es so seine eigene, ambivalente Bewandtnis, bekanntermaßen. Wer nicht mehr jung ist, also ungefähr zwischen zwanzig und dreißig, neigt zu einer gewissen Verklärung dieses Lebensabschnitts, versucht so lang wie es geht, so jugendlich wie möglich zu wirken; und wer wirklich jung ist, hat nur selten das Gefühl, gerade das ultimative Fest seines Lebens zu feiern, dafür muss zu viel bedacht, Zukünfte geplant und immer irgendwas entschieden werden.

Aus diesem Grund dürfte auch die 27-jährige irische Schriftstellerin Sally Rooney ihrem Roman „Gespräche mit Freunden“ (Übersetzt von Zoe Beck. Luchterhand, München 2019. 380 S., 20 €.) gleich ein Zitat aus einem Gedicht des 1966 (im Alter von 40 Jahren vergleichsweise jung) verstorbenen US-Dichters Frank O´ Hara als Motto vorangestellt haben: „In Krisenzeiten muss sich jeder von uns immer wieder entscheiden, wen er liebt.“
Das stammt zwar aus einer Liebeserklärung O´Haras an die Filmindustrie, passt aber ganz gut zur Grundstimmung und Anlage von Rooneys im irischen Dublin angesiedelten Roman. Der erzählt von zwei jungen 21-jährigen Frauen, Frances und Bobbi, zwei Studentinnen und Spoken-Word-Performerinnen, die eines Tages nach einer Poesienacht das jeweils mehr als ein Jahrzehnt ältere Ehepaar Melissa und Nick kennenlernen und deren Beziehung genauso erschüttern wie sie selbst plötzlich dabei sind, sich neu zu orientieren, gerade auch in Liebesdingen.

Rooney erzählt eine universelle Liebesgeschichte

Nun ist Rooney für ihren 2017 im Original veröffentlichten Roman in ihrer Heimat, Großbritannien und den USA schon über die Maßen gefeiert worden. Da hieß es, sie sei „die wichtigste literarische Stimme der Generation Y“, da kam Lob aus berufenem Munde wie dem von Zadie Smith („Unglaublich, dass das ein Debüt sein soll“). Und auch Literaturpreise gab es für „Gespräche mit Freunden“ einige, genau wie für den noch nicht ins Deutsche übersetzten Nachfolger „Normal People“, der 2018 unter anderem für den Booker Prize nominiert wurde.

Zumindest der Hype ist im Fall von literarischen Generationsbüchern von jüngeren Autorinnen und Autorinnen inzwischen der Normalfall, man denke nur an die Erzählungen von Kristin Roupenian, „Cat Person“. Doch ist es nicht ungerechtfertigt, dass Rooneys Roman so abgefeiert wird, auch hierzulande mit haufenweise Porträts und Besprechungen schon vor der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung. „Gespräche mit Freunden“ legt es nicht mit aller Macht darauf an, als generationstypisch zu gelten, nicht zuletzt ja gehören Melissa und Nick einer anderen an als Frances und Bobbi. Denn der Roman erzählt zum einen eine universelle, überdies nicht ganz unkomplizierte (weil neben Nick und Frances ja auch Melissa betreffende) Liebesgeschichte, und er trägt gleichermaßen Züge eines milieuspezifischen Bildungsromans.

„Manchmal kam es mir so vor, als würde ich es nicht schaffen, mich für mein eigenes Leben zu interessieren, und das deprimierte mich.“, lässt Sally Rooney ihre Ich-Erzählerin Frances ziemlich am Anfang des Romans sagen. Das stimmt einerseits, weil sich Frances treiben lässt, berufliche Zielstrebigkeit nicht sehr weit oben auf ihrer Agenda steht, sie erstmal nur das nötigste Geld zum Leben sich verdienen will. Doch schwingt natürlich viel Koketterie in dieser Aussage mit. Frances beschäftigt sich im Verlauf des Romans intensiv und reflektiert mit sich selbst, ihrem Leben, ihrer Körperlichkeit, mit den Beziehungen zu ihren Eltern, zu ihrer besten Freundin Bobbi, die eine Zeit lang ihre Liebhaberin war. Und vor allem natürlich mit ihrer Verbindung zu Nick, mit dem sie schon bald mehr als nur eine Affäre hat. Immer wieder schwankt Frances zwischen einem leicht übersteigerten Selbstbewusstsein und schwer nagenden Zweifeln, zwischen Selbstfindung und Selbstermächtigung. Mal gibt sie zu, „ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper“ zu haben, dann hat sie wieder viel Spaß mit Nick beim Sex, „fühlte es sich so gut an, dass ich nicht mehr klar sehen konnte.“

Manchmal erinnern diese Gespräche an das Palaver in Eric-Rohmer-Filmen

Frances ist Lyrikerin und Literaturstudentin, Bobbi studiert Politik und Geschichte, Melissa ist Fotografin und Autorin, Nick Schauspieler, wenn gleich kein besonders erfolgreicher, das Milieu also ein akademisches, dem Kunstbetrieb angeschlossenes, urbanes, soweit in Dublin davon die Rede sein kann. Rooney versteht es gut, Stimmungen, Interessen und das politisch-gesellschaftliche Problembewusstsein ihrer Figuren gerade in den titelgebenden Gesprächen zu transportieren. Es geht darin um die Regierung und die katholische Kirche oder um die Probleme, die „Klosterschülerinnen“ wie Bobbi und Frances als Lesben und Kommunistinnen einst hatten. Um die Liebe, die dem Neoliberalismus und dem Spätkapitalismus nolens volens zuarbeitet, um Monogamie, Polyamorie und Gendertheorie, um stereotype Homophobien wie „eine lesbische Frau zu beschuldigen, eifersüchtig auf Männer zu sein“, um den „naiven Traum des Multikulturalismus“ oder um das problematische Privileg der weißen Hautfarbe.

Manchmal erinnern diese Gespräche an das Palaver in Eric-Rohmer-Filmen, nur dass hier weniger hintergründige Nichtigkeiten dabei sind, die Leere dahinter nicht allzu groß ist. Dazu passt, dass eine Passage des Romans auch in Südfrankreich spielt, in einem Landhaus, in dem Melissa und Nick ein paar Tage mit Freunden verbringen und die beiden jungen Frauen dazu einladen. Bemerkenswert ist, wie es Rooney gelingt, die Konversationen geradezu organisch in die Ich-Erzählung von Frances einzubetten, was für ein Gespür sie für die Rhythmik ihrer Prosa hat, wie sie Alltagsgeschehen und stete Reflektionen verbindet.

Cooles Wissen ist hier nicht gefragt

Auffallend dabei auch, dass geläufige sozialen Medien keine dominierende Rolle spielen. Gerade die Liebesauseinandersetzungen zwischen Frances und Nick werden per Old-School-Medien wie Mail und SMS und selbst per Telefon geführt, im übrigen von Rooney genauso smart und wohldosiert in den Roman integriert. Als „Salinger für die Snapchat-Generation“ oder „Schriftstellerin des Instagram-Zeitalters“ ist Rooney ebenfalls bezeichnet worden (und die Instagram-Aufnahmen unter #sallyrooney mit ihrem Buch und daneben die Kaffeetasse sind wirklich Legion) – nur steckt in der Figur der Frances mit ihren zahlreichen Widersprüchlichkeiten und dem Rätsel, das sie sich selbst oft ist, mehr Salinger als Snapchat, mehr F. Scott Fitzgerald und die jungen Figuren aus seinem Prä-Gatsby-Roman „Die Schönen und die Verdammten“ als Instagram. Man kann altersmäßig Jahrzehnte von dieser Generation entfernt sein, um „Gespräche mit Freunden“ mit einigem Gewinn zu lesen.

Dazu gehört gleichfalls, dass Rooney sich zurückhält mit popkulturellen Referenzen. Hier kommt zwar mal ein James-Blake-Album zum Dauereinsatz, wird ein Song von Joanna Newsom zitiert oder fällt der Name von Chris Kraus (aber nicht von deren ungewöhnlicher, zum Teil autobiografischer Feminismus-Fibel „I Love Dick“) – was sowieso keine größere Rolle für den Fortgang der Geschichte spielt, aber Frances, Bobbi und die anderen erst recht nicht als mit einem besonders coolen Wissen ausgestattete Angehörige einer bestimmten Generation ausweist.

Gegen Ende, nach viel Hin und Her mit Nick und Melissa, nach einem wirklich manifesten Problem mit dem eigenen Körper, mündend in der schwerwiegenden Diagnose Endometriose, konstatiert Frances einigermaßen gereift-ernüchtert: „Wir erledigen die Aufgaben, die uns ablenken, während das, worauf wir warten, nicht eintritt.“ Sally Rooneys Heldin hat sie schließlich erkannt, die Verwerfungslinien, die zwischen ihr und der Welt bestehen. Das ist schon mal ein Hinweis darauf, dass sie zumindest einen Abschnitt ihrer Jugend hinter sich gelassen hat.

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