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Rötelzeichnung von Raffael. Rötel über schwarzem Stift, weiß gehöht, gegriffelt.
© bpk / Kupferstichkabinett, SMB /

Große Ausstellung im Kupferstichkabinett: Zum 500. Todestag von Raffael

Das strategische Genie: Das Kupferstichkabinett zeigt Zeichnungen und Grafiken des großen Renaissance-Künstlers Raffael aus seinen Beständen.

Das Baby lacht. Munter greift der nackte Christusknabe mit dem Arm weit nach oben, stellt gleichzeitig ein Bein auf und dreht sich zur Seite: ein äußerst bewegliches Kerlchen von ansteckender Fröhlichkeit. Was den locker skizzierten Jesus so erheitert, sehen wir nicht. Denn Raffaels Studienblatt ist an allen Seiten grob beschnitten, außerdem mit Ölflecken besudelt.

Was das Kupferstichkabinett als Kostbarkeit hütet und jetzt als Herzstück der Ausstellung in den Fokus rückt, war seinerzeit nur Arbeitsmaterial zum Werkstattgebrauch: Work in Progress ohne Anspruch auf Ewigkeitswert.

Die Signatur unten links ist spätere Zutat eines Liebhabers, der sich gar erkühnte, auch die eine oder andere Kontur des ebenfalls abgebildeten kindlichen Johannes noch verbessern zu wollen. Wie viel Raffael steckt in den Beständen des Kupferstichkabinetts? Seit die Sammlung besteht, wurde eifrig und erbittert über Ab- und Zuschreibungsfragen gestritten.

Noch im Vorfeld der Ausstellung entschied Kuratorin Dagmar Korbacher eine fragliche Skizze doch lieber dem Raffael-Mitarbeiter Giulio Romano zuzuschlagen, der ebenfalls ein Topkünstler der Renaissance war.

So stehen jetzt sechs Blätter als eigenhändig im Zentrum, eines davon doppelseitig bearbeitet. Hinzu kommt die vielleicht schönste Berliner Raffael-Zeichnung, ein überaus fein ausgearbeiteter Madonnenkopf

Dieser fragmentarische Karton, eine Vorarbeit für die Madonna Terranuova, hängt aber nicht in der Ausstellung des Kupferstichkabinetts „Raffael in Berlin“ (bis 1. 6.; Di bis Fr 10 – 18 Uhr, Sa/So 11 – 18 Uhr), sondern ein Stockwerk tiefer in der Gemäldegalerie.

Vasari rühmte Raffaels Werkstattorganisation als vorbildlich

Sie hat dem Genie zum 500. Geburtstag ja ebenfalls ein Separée eingerichtet. Warum die überschaubaren Berliner Raffael-Bestände nicht in einer gemeinsamen Ausstellung gebündelt wurden, bleibt unverständlich. Nur im Katalog kommen sie zusammen.

Während die Gemälde nur das Frühwerk beleuchten, spannen die Papierarbeiten das ganze Spektrum raffaelischer Werkphasen und Motive auf.

Vor allem geben sie einen Einblick in seine Arbeitsstrategien, Ideenfindungsprozesse und Handwerksmethoden, seine arbeitsteilige Werkstattorganisation, die schon Vasari als vorbildlich rühmte – und sein wegweisendes Gespür für seine öffentlichkeitswirksame Vermarktung.

An einem frühen Blatt, noch aus der Zeit in Peruginos Werkstatt, sieht man lupenrein, wie der Künstler die Konturen von Madonna und Heiligem Petrus mit winzigen Einstichen durchnadelte, um den Entwurf auf einen anderen Bildträger zu übertragen. Dazu tupfte man mit einem Beutelchen Kohlestaub über die winzigen Pauslöcher, eine gängige Werkstattpraxis. Auch Lehrer Perugino ist mit drei Arbeiten vertreten.

Aber Schritt für Schritt schwimmt sich Raffael zeichnerisch frei. Für eine nur mit ihren bodenlang wallenden Haaren bekleidete Heilige greift er zu Feder und Pinsel, für eine dynamisch bewegte Apostelgruppe zum weichen schwarzen Stift. Er strichelt, korrigiert, setzt von neuem an. Man sieht den Ideen beim Entstehen zu.

Lebensnah und sinnlich fläzt ein Jünglingsakt mit übergeschlagenen Beinen, als Studie für Gott Pluto.

Zehn Jahre umfasst das Zeitfenster der Ausstellung

Aus Raffaels letztem Lebensjahr stammt der rasch hingeworfene Putto, der einen Diamantring wie eine Hula-Hoop-Reifen um die Hüften kreisen lässt. Nur zehn Jahre umfasst das Zeitfenster der Ausstellung, das mit Lebensspanne des frühverstorbenen Raffael 1520 endet.

Was Raffael in diesen paar Jahren alles an Projekten realisierte, ließ sich nur mit einer perfekt arbeitsteilig organisierten Equipe bewältigen.

Das Medium der Zeichnung spielte dabei eine Schlüsselrolle. Als engste Mitarbeiter sind Giovanni Francesco Penni und Giulio Romano mit ein paar Blättern vertreten. Natürlich darf als Sympathieträger auch der päpstliche Elefant Hanno, um 1516 von einem Werkstattmitarbeiter präzis bis aufs schüttere Haar porträtiert, nicht fehlen.

Der vielbestaunte Dickhäuter fristete als diplomatisches Geschenk im Vatikan sein wenig artgerechtes Leben.

In Rom wurde Raffael 1510 auf einen Kollegen aufmerksam, der die Rezeption seines Werkes für immer verändern sollte. Marcantonio Raimondi war professioneller Kupferstecher, hatte wegen seiner Dürer-Fälschungen einen Copyright-Prozess hinter sich und galt als bester Mann seines Fachs in Italien. Raimondis Stiche nach Raffael machen das Gros der rund 100 Werke fassenden Ausstellung aus.

Denn er war überaus produktiv und die Nachfrage der Zeitgenossen immens. Schließlich waren Raffaels Fresken in den vatikanischen Gemächern oder in privaten Villen ja nicht wie heute öffentlich zugänglich. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein sahen Künstlerkollegen und Fans seine Werke mit den Augen Raimondis: als schwarzweiße, fein gestrichelte und schraffierte Grafiken.

Den figurenreichen „Parnass“ aus den Stanzen des Vatikan reproduzierte Raimondi inklusive des realen Fensters in der Freskenwand vor Ort. Den brutalen Gewaltausbruch des „Bethlehemitischen Kindermords“ hingegen entwarf Raffael eigens als Vorlage für das breitenwirksame Medium des Kupferstichs.

Raffael wollte immer Ideengeber sein

Raimondis Grafik wiederum wurde gleich noch mal von Ugo da Carpi reproduziert, nun aber in der brandneuen Technik des Chiaroscuro-Holzschnitts. Der Künstler ließ sich das Verfahren patentieren. Auch dieses neue Medium weckte sogleich Raffaels Interesse, auch wenn er selbst nie eigenhändig zum Grabstichel griff. Er verstand zu delegieren.

Die Wirkung von Raimondis Raffael-Nachstichen auf spätere Generationen lässt sich kaum überschätzen.

Noch Edouard Manet griff sich im 19. Jahrhundert für sein provokantes „Frühstück im Freien“ eine Figurengruppe aus einem Raimondi-Blatt heraus. Das großformatige „Urteil des Paris“ ist ausgestellt. Es setzte laut Vasari schon seinerzeit „ganz Rom in Erstaunen“. Heute erscheint einem solch eine Grafik vielleicht spröde.

Wir sind mit farbechten Repros übersättigt. Aber mit Raffaels europaweit verbreiteten Nachstichen begann der Siegeszug der globalen Bilderströme.

Ihn selbst zeigt Raimondi auf einem Porträtstich von 1520 als lockigen jungen Mann mit Bartansatz. Leinwand, Palette und Farbnäpfchen stehen griffbereit. Aber der geniale Künstler verbirgt seine Hände unter einem wallenden Mantel, als brauche er sie nicht: Er will kein Handwerker sein, sondern Ideengeber. Das ist ihm gelungen.

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