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Ihre Lieblichkeit. Zur Konferenz der Berliner Raffael-Madonnen reiste aus London „The Pinks“ an, die „Madonna mit den Nelken“ (l., 1507-07).
© National Gallery, SMB / J. P. Anders

Renaissancemeister feiert 500 Jahre: Gemäldegalerie eröffnet Raffael-Jubiläum

Mit fünf Madonnen besitzt das Berliner Haus einen reichen Bestand, um das Werk Raffaels zu zeigen. Und aus London kommt eine ganz besondere Leihgabe.

Das Leonardo-Jahr ist noch nicht einmal zu Ende, die große Ausstellung im Pariser Louvre vor wenigen Wochen erst eröffnet worden, da läuten die Staatlichen Museen zu Berlin schon das Jubiläum eines anderen Renaissancemeisters ein: Raffael, dessen 500. Todestag am 6. April 2020 begangen wird.

Er starb am Karfreitag 1520 in Rom exakt 37 Jahre nach seiner Geburt. Die Ausstellung in der Gemäldegalerie umfasst zwar nur sechs Gemälde und zwei Zeichnungen, manch ein Besucher stutzt am Eingang des tiefrot ausgemalten Saals, hatte er doch mehr erwartet.

Aber die kleine Schau hat es in sich wie zuvor die exquisiten Präsentationen von Holbein, Hieronymus Bosch oder Fouquet, die sich ebenfalls um Einzelwerke gruppierten. Die Gemäldegalerie richtet mit Raffael erneut ein Spotlight auf ihre Sammlung, die so reich an Meisterwerken ist, dass sich daraus fortwährend Sonderausstellungen entwickeln ließen.

Nur könnte sich die Schlagzahl erhöhen, Fouquet liegt zwei Jahre zurück. Raffael ist nun aus seiner südalpinen Abteilung ins Fouquet-Separée auf der nordalpinen Seite gezogen, so einfach ist das.

Mit Raffael kann die Gemäldegalerie prunken, von ihm besitzt sie aus der Frühzeit allein fünf der insgesamt zwanzig Madonnen, die alle verschieden sind. Anders als Botticelli, der eine regelrechte Andachtsbildmanufaktur betrieb, lieferte Raffael Unikate ab, entwickelte er seinen Muttergottes-Typus immer weiter.

„Nelken“-Madonna als besonderer Gast

In Berlin kommt als besonderer Gast die „Nelken“-Madonna aus der Londoner National Gallery hinzu, die eigentlich ebenfalls in die Gemäldegalerie gehört hätte – so fühlt es sich zumindest für die Ausstellungskuratoren an.

Doch mit 5000 Talern – so viel zahlte 1851 der Duke of Northumberland – war sie Friedrich Wilhelm IV. zu teuer. Lange Zeit galt das nur wenige Zentimeter große Andachtsbild, das seinen Namen von den rötlichen Blumen in den Händen Marias und des Kindes als Zeichen der Passion Christi hat, als Kopie.

1991 wurde es wieder als Original anerkannt, daraufhin als Leihgabe an die National Gallery weitergereicht, die es 2004 für 22 Millionen Pfund erwarb, nachdem das Getty Museum in Los Angeles Interesse bekundet hatte.

Zum ersten Mal verlässt sie seitdem England, nach der jüngsten Restaurierung ein wenig bleichgesichtig im Vergleich zu den fünf Berliner Madonnen, denen die diversen Firnissschichten noch einen kräftigeren Teint verleihen.

Von den 20 Werken dieses Typs, die Raffael malte, gleicht keins dem anderen. Er variierte Motive wie das Gebetbuch, das die „Madonna Colonna“ (um 1508) in Händen hält.
Von den 20 Werken dieses Typs, die Raffael malte, gleicht keins dem anderen. Er variierte Motive wie das Gebetbuch, das die „Madonna Colonna“ (um 1508) in Händen hält.
© National Gallery, SMB / J. P. Anders

Ein Seufzer entringt sich der Brust von Generaldirektor Michael Eissenhauer, der außerdem die Gemäldegalerie leitet. Nur ein Jahr, nachdem der Duke of Northumberland die „Pinks“, wie die Nelken-Madonna heute liebevoll in Großbritannien heißt, erworben hatte, wurden für die „Madonna Terranuova“ 37 5000 Taler hingelegt, der teuerste Ankauf in der Ära des damaligen Direktors Gustav Friedrich Waagen.

So raunt es in der Ausstellung permanent „Was wäre, wenn...“ und „Wie es einmal war...“, denn die Geschichte der Erwerbungen für die Gemäldegalerie lässt sich nicht ohne ihre Umbauten, Umzüge und Verluste erzählen. Raffael bildet da ein eigenes Kapitel.

Der Traum von einem Raffael-Saal

Zu den schmerzhaftesten Kriegsverlusten gehören die spektakulären Raffael-Tapisserien, die bis zum Umzug der Gemäldesammlung 1904 aus dem Königlichen Museum, dem heutigen Alten Museum, ins neu erbaute Bodemuseum den oberen Bereich der Rotunde schmückten.

Im damaligen Kaiser-Friedrich-Museum wurde ein nach ihm benannter Saal eingerichtet, 1945 fälschlicherweise in Gobelinsaal umgewidmet. Während die Gemälde den Krieg überstanden, weil sie in ein Bergwerk in Thüringen ausgelagert wurden, verbrannten die Tapisserien im Flakbunker Friedrichshain. 1956 kehrten die Bilder in die geteilte Stadt nach Dahlem zurück.

Mit der Eröffnung der Gemäldegalerie zogen sie ins Kulturforum, nach dem Mauerfall nun vereint mit den Beständen aus Ost-Berlin. Einen eigenen Raffael-Saal sollte es nicht mehr geben, nachdem die „Madonna Terranuova“ in einem der zentralen Italienersäle unterkam.

Nähe zu Gott

Das gewaltige Tondo prangt erneut an der Kopfseite und zieht alle Blicke auf sich. Es zeigt die Muttergottes mit Kind, Johannes dem Täufer und einem Knaben mit Heiligenschein, von dem bis heute keiner genau weiß, wen er darstellt. In der endgültigen Version ließ Raffael die Personen rechts und links der Madonna weg, um den Blick auf die Landschaft freizugeben.

Durch Röntgenuntersuchungen hat man mittlerweile herausgefunden, dass Maria ihre Hand ursprünglich anders hielt. Nach einem Leonardo-Jubiläumsjahr kann inzwischen auch der Laie erkennen, woher die Anregung für die nun angehobene Hand kam.

Raffael war kurz vorher von Urbino nach Florenz umgezogen, wo er sich von dem knapp dreißig Jahre älteren Kollegen stark inspirieren ließ.

Den Titel „göttlich“ trug dennoch Raffael davon. Die Ergriffenheit, die den damaligen Betrachter vor seinen Madonnen erfasste, das ästhetische Entzücken, kollidierte keineswegs mit religiösen Gefühlen.

Vielmehr galt seine Begabung als Zeichen besonderer Nähe zu Gott. Aus heutiger Sicht wird vor allem das Kunst-, nicht das Kultbild wahrgenommen, ansonsten müsste man vor Erschütterung in die Knie gehen.

[Gemäldegalerie, Kulturforum, bis 26. April, Di bis Fr 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa / So 11 bis 18 Uhr]

Auch ohne Metaphysik bringen die sechs Madonnen den kleinen Saal zum Vibrieren. Wer ein Bild nach dem anderen auf sich wirken lässt, kann verstehen, dass im 19. Jahrhundert ein regelrechter Run auf Raffael entstand.

Die ersten drei Berliner Madonnen wurden in den 20ern innerhalb von acht Jahren erworben, um 1830 bei der Eröffnung der ersten Museums in Berlin angemessen ausgestattet zu sein, die Nummern vier und fünf folgten 1842 und 1854.

Von dieser Begeisterung zeugen auch die zwölf Radierungen von Johannes Riepenhausen, der 1833 „Das Leben Raffaels“ schuf. Das Kupferstichkabinett zeigt den Zyklus ab 14. Januar in einem Kabinett der Gemäldegalerie, ab 28. Februar folgt in den eigenen Räumen eine Ausstellung mit Zeichnungen des Meisters und seines Umfelds.

Für den 6. April ist dann im Gobelin-Saal auf der Museumsinsel ein Festakt geplant. Und den Kuratoren wird wieder schwer ums Herz – hier hingen einst die Tapisserien.

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