"Fräulein Julie" von Liv Ullmann: Zu Diensten
Eine Begegnung mit der Schauspielerin und Regisseurin Liv Ullmann, deren Adaption von Strindbergs Gesellschaftsdrama „Fräulein Julie“ jetzt ins Kino kommt.
So etwas gehört sich für eine Dame doch wohl nicht. Tanzen, auch noch mit Angestellten? Flirten? Provozieren? Fröken Julie will es wissen und eckt damit gehörig an: 1889, als August Strindberg sein Drama fertig geschrieben hatte, durfte die Premiere nur vor einer geschlossenen Gesellschaft in Kopenhagen stattfinden. Das Kammerspiel um die Adlige, den Diener und die Küchenmagd war zu skandalös für die Moralwächter jener Zeit.
Die Norwegerin Liv Ullmann, die seit den 1980er Jahren gelegentlich als Regisseurin auftritt, hat sich für ihre Version des unzählige Male für Kino, Bühne und Fernsehen adaptierten Stoffs auf die Originalprovokation verlassen. Sie hat die Geschichte mit Jessica Chastain (Julie), Colin Farrell (John) und Samantha Morton (Christine) nach Fermanagh in Nordirland verlegt, hat das Drehbuch überarbeitet, sich dabei aber streng an die Vorlage gehalten: „Ich wollte es nicht modernisieren“, sagt sie, „sonst wäre mir das viel zu sehr der erhobene Zeigefinger. So muss man selbst erkennen, wie modern das Thema immer noch ist.“
Ullmann gibt das Interview im lettischen Riga, abends wird sie als Laudatorin beim Europäischen Filmpreis auf der Bühne stehen. Als Bergman-Schauspielerin gehört sie seit Jahrzehnten zum europäischen Kino, spielte in den Siebzigern in „Schreie und Flüstern“ und „Szenen einer Ehe“, später auch in internationalen und Hollywood-Produktionen. Mit Chastain, Farrell und Morton führte sie Schauspieler aus Kalifornien, Irland und England zusammen. Und das klappt: Chastain, rothaarig und blass, interpretiert die vor ihrer eigenen Courage erschreckende Julie voller Herz, mit zweifelndem Gesicht und überzeugendem Dialekt. Morton ist eine getriebene Christine, und Farrells Spiel mit aufwallenden Gefühlen, Schmerzen und Trieben ist weitaus unterhaltsamer, als wenn er in Action-Blockbustern mit den Muskeln zuckt. Zudem trägt sein melodiöses Irisch den Film, klingt und singt, verliert sich allerdings auch manchmal in purer Dialogverliebtheit. Sie fühle sich, sagt Regisseurin Ullmann, hier viel freier als in ihrer Muttersprache. Zudem gebe es Ähnlichkeiten im irischen und norwegischen Satzbau – „vielleicht, weil wir Wikinger damals dort waren“.
Sie zerwühlen das Bett im Kammerdienerzimmer
Und so neckt Julie ihren Diener John in der Sprache einer irischen Adligen, will ihn verführen, der standesbewusste Mann dagegen versucht, sich zurückzuhalten, sieht die drohenden Komplikationen deutlicher als die freidenkende und auch manipulative junge Frau. Schließlich aber wird die Leidenschaft übermächtig, und das Paar zerwühlt das Bett im Kammerdienerzimmer.
Ullmann verzichtet auf eine explizite Sexszene, inszeniert das Danach jedoch sorgfältig und eindrücklich: wie auf die Leidenschaft das Entsetzen folgt, wie John sich fast panisch in einer Schüssel den Unterleib wäscht. Und wie Julie sich erstaunt zwischen die Beine fasst: „Blut ist ein starkes Symbol für Frauen“, sagt Ullmann. Später gibt es darum noch eine Szene, ein Zerrspiegel zur Intimität des Liebesnests – da bringt John Julies Kanarienvogel um, hackt ihm den Kopf ab, und Julie schmiert sich voller Verzweiflung Tierblut ins Gesicht. John setzt sich in dem Gefühlsduell durch, und Julie begreift, dass ihr Mut und ihre Neugier sie alles gekostet haben und die Rollen nun vertauscht sind: Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die krähen, soll man beizeiten die Hälse umdrehen. Das gilt erst recht für Julie und den Kanari.
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Das Schreckliche ist: Ich stecke genauso in diesen Gendergrenzen fest“, sagt die 76-jährige Regisseurin. „Wenn ich im Flugzeug die Stimme einer Pilotin höre, kommt sogar bei mir dieses eingebläute Vorurteil hoch.“ Auch am Set erlebe sie, dass Kollegen Probleme damit haben, sich von einer Regisseurin etwas sagen zu lassen. „Ich bin eine ältere Frau und dann auch noch Schauspielerin. Mir ist einerseits klar, wie privilegiert ich bin, andererseits weiß ich genau, was es heißt, in der Minderheit zu sein. Es ist schwer, sich zu streiten, wenn man immer gelernt hat, nett zu sein.“
Vielleicht hat sich Liv Ullmann auch darum nicht getraut, mehr als eine sehr gut gespielte, jedoch nie aus den festgesteckten Stückgrenzen ausbrechende Adaption des Strindberg’schen Materials anzusteuern. „Fräulein Julie“ ist ein fraglos solides Stück Arbeit. Die Chance aber, den Stoff inszenatorisch zu modernisieren, ihn auch jenen Zuschauern nahe zu bringen, die keine Strindberg- oder Kammerspiel-Fans sind, hat sie leider verstreichen lassen.
Eva, Filmkunst 66, Kulturbrauerei und Moviemento (jeweils auch OmU)
Zur Person: Liv Ullmann, 76, wurde seit „Persona“ (1966) durch zahlreiche Rollen in Filmen Ingmar Bergmans berühmt. Mitunter inszeniert sie selbst. Ihr Regiedebüt war „Sophie“ (1992).
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