Kino: Total Remake
Irrsinnig teuer und ultrabrutal: Die Hollywood-Blockbuster dieses Sommers sprechen eine klare Sprache. Die Helden retten die Welt und morden ohne Skrupel.
Der Weckruf kommt von einem, der sich auskennt. Die Budgets für Blockbuster aus Hollywood seien „grotesk und beschämend hoch“, sagte Regisseur Jeffrey Jacob „J. J.“ Abrams vor wenigen Tagen der „Los Angeles Times“. Nun ist Abrams niemand, dessen Filme aus der Portokasse bezahlt würden: Mit jeweils 140 Millionen Dollar bewegten sich die Produktionskosten seines „Star Trek“-Neustarts und des vierten „Mission Impossible“-Teils im gängigen Rahmen. Allerdings hat er mit dem Monsterfilm „Cloverfield“ (25 Mio. Dollar) und dem Science-Fiction-Drama „Super 8“ (50 Mio. Dollar) bewiesen, dass teuer aussehen nicht unbedingt teuer sein muss. Abrams’ Herkunft aus dem Fernsehbetrieb dürfte für seine Sensibilität verantwortlich sein. Schließlich sind dort selbst bei den aufwendigen Serien des Bezahlsenders HBO wie „Game of Thrones“ geringere, im zweistelligen Millionenbereich anzusiedelnde Budgets üblich – für eine ganze Staffel mit zehn einstündigen Episoden wohlgemerkt.
Ganz andere Dimensionen erreichen die Filme der Blockbustersaison 2012. Hier haben die zehn teuersten Produktionen, sämtlich aus den USA, unglaubliche 1,9 Milliarden Dollar verschlungen, wobei das obere Ende sich bei routiniert verschleuderten 200 bis 250 Millionen pro Film eingependelt hat. Was kommt heraus, wenn Hollywood derartige Summen lockermacht, um die Massen ins Kino zu locken? Eins zumindest in diesem Sommer nicht: Originalität. Keine einzige der Großproduktionen kommt ohne literarische oder filmische Referenz aus, stets wird auf den Wiedererkennungswert der Marke, auf das Franchise, gesetzt.
Es gibt Comicverfilmungen, es gibt Sequels und Prequels, es gibt Reboots und Remakes, es gibt Adaptionen literarischer Vorlagen und sogar die Verfilmung eines Brettspiels. Was es nicht gibt: intelligente Autorenblockbuster wie Christopher Nolans „Inception“ oder eben J. J. Abrams „Super 8“. Und es fehlt auch ein singuläres Filmereignis wie James Camerons „Avatar“, dessen märchenhafte Einspielergebnisse wohl nicht nur auf der virtuosen 3-D-Technik beruhten, sondern auch damit zu tun hatten, dass hier ein manischer Regisseur ein visionäres Gesamtkunstwerk geschaffen hat.
Camerons Verstiegenheit am nächsten kommt Christopher Nolan – allerdings nicht in der erhofften Weise. „The Dark Knight Rises“, Abschluss seiner Batman- Trilogie, lädt das Schicksal des Helden mit einer behaupteten Bedeutung auf, unter deren Last das unterhaltende Element kollabiert. Sicher dockt Nolans Film als düstere Parabel auf die Auflösung staatlicher Strukturen an Entwicklungen in der Realität an. Doch so interessant „Dark Knight Rises“ als Thesenfilm ist, so enttäuschend bleibt er als Genrewerk. Auch ohne die dem Film nicht anzulastende Konnotation mit dem Amoklauf in einem Vorort von Denver ist DKR ein zweieinhalbstündiges Feel-Bad-Movie.
Das Gegenteil ist der Überraschungserfolg der Saison: „Marvel’s The Avengers“ funktioniert als reines Popcornkino, bei dem man vor lauter Staunen gar nicht dazu kommt, das Gesehene anzuzweifeln. Alles wird hier in einem Feuerwerk scharfzüngiger Dialoge und schwereloser Action aufgelöst. Die USA als Hort einer skrupellosen, staatlichen Geheimorganisation? Wen kümmert’s, solange ein Milliardär in fliegender Rüstung, ein grünhäutiger Riese, eine russische Amazone, ein nordischer Gott und ein aufgetauter Superpatriot den Möchtegernwelteroberern zeigen, wo der Hammer hängt.
Die Welt oder einen Ausschnitt von ihr retten, das müssen auch die Helden all der anderen Sommerblockbuster. Das geschieht mal mit jugendlicher Anmut wie in dem Reboot „The Amazing Spider- Man“ (mutierter Teenager rettet New York vor mutierten Riesenechsen) oder der erfolgreichen Jugendbuchadaption „Die Tribute von Panem“ (minderjährige Heroine rettet Altersgenossen vor Faschosystem); mal mit militaristischem Pathos wie in dem schaurigen Ballerspielreißer „Battleship“ (US-Marine rettet Hawaii vor Außerirdischen) oder mit einer grotesken Orgie an Spezialeffekten wie bei dem Fantasymummenschanz „Zorn der Titanen“ (Göttersohn rettet Hellas vor Monstergekröse).
Zimperlich sind die modernen Actionhelden bei ihrem Kampf für die gerechte Sache selten. Am ehesten wird bei den Comicsuperhelden darauf geachtet, das jugendliche Zielpublikum nicht dadurch zu verschrecken, dass seine Idole in Erfüllung ihrer Pflicht zu Massenmördern werden. Das Dilemma wird umgangen, indem man den Konflikt niederschwelliger ansetzt („Spider-Man“), die Bösen als Außerirdische zeichnet, deren Bekämpfung nun mal nicht mit den Regeln der Genfer Konvention („Avengers“) zu vereinbaren ist, oder eben die Moralität des Helden ins Zentrum stellt („Dark Knight“).
Die Protagonisten der an ein erwachsenes Publikum adressierten Agenten- oder Söldnerfilme haben genregemäß weniger Skrupel. So hinterlässt Colin Farrell als Doppelagent in der fragwürdigen Neuauflage der Philip-K.-Dick-Adaption „Total Recall“ (ab Donnerstag in den deutschen Kinos) nicht nur eine Schneise der Verwüstung, sondern auch einen Berg Leichen. Ins Irreale gesteigert wird das „gute“ Töten bei der Söldnerfilmfortsetzung „The Expendables 2“ (ab 30. 8.), der sich prompt an die Spitze der US-Kinocharts gesetzt hat. Darin mäht ein ein Ensemble gealterter Bahnhofskinoactionhelden (Stallone, Schwarzenegger, Lundgren, Norris) die Schergen eines von Jean-Claude van Damme verkörperten Terroristen im Akkord nieder. Die Choreografie der zerplatzenden Schädel und zerfetzten Körper ist bei Ballerspielen abgeschaut. Wie dort sind die Gemetzelten anonyme Manövriermasse in einem von zynischen Sprüchen untermalten Todesballett – frei für robuste Gemüter ab 18.
Bei aller moralischen Fragwürdigkeit bildet Stallones altmodisches und Authentizität heischendes Körperkino – gegen den Rat seines Leibarztes führte der 66-Jährige alle Stunts selbst aus – einen wohltuenden Kontrast zur konfliktscheuen Glätte vieler zeitgenössischer Blockbuster. Tatsächlich erkennt man bei den alten Säcken eine Freude am selbstironischen Spiel, die ihren jüngeren Nachfolgern meist abhandengekommen ist.
Das Fazit eines Sommers voller sinnfreien Geballers und mit erschreckend wenig bemerkenswerten Momenten ist ernüchternd: Man muss den Hollywoodstudios mangelnden Mut attestieren, aber sie wissen, was sie tun. Denn den exorbitanten Ausgaben stehen noch gewaltigere Einnahmen gegenüber. Fast fünf Milliarden sind durch die zehn teuersten Filme hereingekommen, wobei „Total Recall“ und „Expendables 2“ noch gar nicht enthalten sind. Allerdings ist der Grat zwischen Hit und Flop schmal: Während die „Avengers“ mit 1,4 Milliarden Dollar mehr als das Sechsfache ihrer Kosten eingespielt haben, wurde der Science-Fiction-Film „John Carter“ nach einer Vorlage von Edgar Rice Burroughs zum 250-Millionen-Dollar-Grab für das Disney-Filmstudio.
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