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Luftgeist. Mitsuko Uchida, Jahrgang 1948, lebt in Groß Britannien.
© Justin Pumfrey/Decca

Mitsuko Uchida in Berlin: Zögernd, leise

Musik des Verschwindens: Die Pianistin Mitsuko Uchida spielt Schubert-Sonaten im Kammermusiksaal.

Die Welt ist zu laut, Mitsuko Uchida hält dagegen. Am ersten Abend ihres neuen Schubert-Zyklus’, mit dem die Pianistin derzeit auf Tournee ist, lädt sie zur Gratwanderung zwischen Diesseits und Jenseits. Sie meditiert, philosophiert und schlägt derart intime Töne an, dass im Nu Hochspannung herrscht im Berliner Kammermusiksaal. Der schroffe Beethoven’sche Beginn der späten c-Moll-Sonate D 958, wenige Monate vor Schuberts Tod entstanden, weicht alsbald Mitsuko Uchidas perlenden Läufen: entmaterialisierten Klängen, wie man sie von ihrem Mozartspiel kennt. Verflüssigtes Legato, ein in seiner Schlichtheit minimalistisches Adagio mit höchst fragilen Pianissimo-Passagen, aparter Anschlag, feingestochene Konturen: Es ist, als wohne man einem Elfentanz bei, der von zuckenden Blitzen illuminiert wird.

Anmutiger, filigraner ist auch die im Sommer des „Forellequintetts“ entstandene „kleine“ A-Dur-Sonate D 664 kaum denkbar. Auf ihrer Schubert-Box mit acht CDs von 2004 rückte die Pianistin dem Werk noch mit mehr Tastendruck zuleibe. Wobei die 69-jährige Britin japanischer Herkunft die Schubertsche Heiterkeit mit einer Prise Ungeduld würzt; so kommt bei aller Introspektion keine Selbstverliebtheit auf. Aus der Coda mit der überraschenden Molleintrübung destilliert sie eine Miniatur-Metamorphose, einen zauberischen Moment des Staunens.

Die Kunst des Innehaltens ist schwer

Die zunächst auch als „Fantasie“ titulierte G-Dur-Sonate D 894 zelebriert Uchida schließlich als Musik des Verschwindens. Körper und Seele: Sie holt zum kräftigen Anschlag aus, um sich noch vor den ersten Tönen auszubremsen und ihre Ausdruckskraft in innere Intensität zu verwandeln. Die sanft gedehnten, punktierten Akkorde sind bei ihr Klang gewordene Kontemplation und Schuberts himmlische Längen ein Umspielen und Hinauszögern der Stille. Jedem Ton wohnt der Tod inne, wenn man so will.

Wobei die Stille es zunehmend schwer hat, sieht sie sich doch von einem permanent hustenden Publikum umgeben. „Ist doch kein Sanatorium hier“, ruft ein Besucher in den Saal. Am Ende des Menuetts steht Mitsuko Uchida der Unmut ins Gesicht geschrieben. Hier gilt’s dem Diminuendo, der Kunst des Innehaltens – und schon poltert der nächste Huster in den verklingenden Schlusston hinein. In irdischen Gefilden haben Luftgeister es manchmal nicht leicht.

Uchida kehrt Interpretationsstandards um

Schuberts Lust an der Wiederholung begegnet Uchida mit der Lust an der Umkehrung interpretatorischer Standards: Zunächst intoniert sie das verhaltene Echo, erst beim zweiten Mal dann ein manifestes Mezzoforte. Leer werden, offen werden, ohne Schuberts expressive Ausbrüche abzumildern (bei denen sie auch mal daneben greift): Die Pianistin unternimmt einen hochriskanten Drahtseilakt, wenn sie mit ihrem Leisespiel die Grenze zum Nichts streift und mit jeder Tonrepetition die Kunst der Versenkung probt, ohne jede Spur von Effekthascherei.

Als Zugabe spielt Mitsuko Uchida schließlich die Nummer Zwei aus Schönbergs „Sechs kleinen Klavierstücken“ op. 19. Eine hingetupfte Terz, zwei Mal, drei Mal, Pause, wieder die Terz, wieder eine Pause. Verweile doch. Es dauert nur eine Minute.

Am 16. März setzt Mitsuko Uchida ihren Schubert-Zyklus im Kammermusiksaal mit den Sonaten D 575, D 845 und D 850 fort, 20 Uhr. Karten: www.musikadler.de, Tel: 030/8264727.

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