Festival „Styriarte“ in Graz: Zerreißproben der Gegenwart
Heiter bergab: Beim Grazer Festival „Styriarte“ geht es nicht nur um klassische Musik, sondern auch um den Rechtsruck in Österreich.
Graz, sagt man, sei die italienischste unter der österreichischen Städten. Tatsächlich atmet der barocke Stadtkern mediterranes Flair. Mitten im Zentrum aber prangen seit 2003 – damals war Graz Kulturhauptstadt Europas – mit dem sich bizarr wie ein Oktopus blähenden Kunsthaus und dem kühnen Glas-Kringel der „Murinsel“ auch Perlen futuristischer Architektur. Und bereits seit 1985 gibt es das Festival „Styriarte“. Der vor zwei Jahren verstorbene Nikolaus Harnoncourt war die prägende Figur des Festivals: Der Pionier der historischen Aufführungspraxis betrachtete es als sein Versuchslabor.
Der berühmteste Sohn der Stadt ist Arnold Schwarzenegger. Nach ihm sollte sogar das Sportstadion benannt werden. Als der kalifornische Gouverneur jedoch 2005 eine Hinrichtung vollziehen ließ, schlugen die Wellen hoch. Schwarzenegger zog seinen Namen zurück. Das sagt viel über den Grazer Bürgerstolz.
Vor 100 Jahren zerfiel das Habsburger Reich
In diesem Jahr verblüfft das Motto „Felix Austria“. Denn es bezieht sich einerseits auf den „World Happiness Report 2017“ der Vereinten Nationen, in dem Österreich ziemlich weit oben rangiert. Und andererseits auf den alten Vers des Habsburgerreichs „Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate“. Vor genau 100 Jahren zerfiel dieses Reich und die Republik Österreich gründete sich. Noch ein Grund für das übergreifende Motto.
Aber verschließt das Festival mit diesem nostalgischen Blick nicht die Augen vor den aktuellen Problemen, der Diskussion um die Schließung der Grenzen, dem Rechtsruck im Land? Gewiss, es gibt Programmpunkte wie das Kammerkonzert „Verklärte Nacht“, bei dem das tschechischen Zemlinsky-Quartett mit Brahms, Zemlinsky und Schönberg den Reichtum des kulturellen Erbes feiert. Oder den Abend „Hundert Jahre Österreich“, an dem der Wiener Essayist Franz Schuh Texte von Karl Kraus, Joseph Roth und eigene, messerscharfe Zeitanalysen und Befindlichkeitsdiagnosen mit beißendem Ingrimm verliest. Dazu steuert Robert Preinfalk mit seinem Ensemble „MASX“ furiose Saxophon-Arrangements bei, die im Höllentempo durch die österreichische Musikgeschichte jagen, vom Kärntner-Lied über Heubergers Operettenseligkeit bis hin zu Georg Friedrich Haas’ Mikrotönen und Peter Alexanders, Udo Jürgens' und Falcos Schlager- und Pop-Untiefen. „Warum liebt der Österreicher das Skifahren? Weil's bergab geht!“ höhnt Schuh scheppernd ins Mikro und das Publikum amüsiert sich.
Intendant Hubert macht sich für den Komponisten Fux stark
Auch das Programm „Schönberg im Weißen Rössl“ mit dem Wiener Armacord Ensemble und der Mezzosopranistin Iris Vermillion erinnert mit feinen Arrangements von Mahler bis Weill daran, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele Künstler das zu gemütlich gewordene Wien verließen, um im Hotspot Berlin ihr Heil zu suchen.
Es gibt natürlich auch große Opernproduktionen, wie etwa Johann Joseph Fux' „Julo Ascanio, Re d'Alba“. Mathis Huber, seit 1985 im Team von Styriarte und seit 1990 Intendant, wirbt für den vergessenen Tonsetzer: „Fux ist der bedeutendste österreichische Barock-Komponist, und es ärgert mich, dass der Arme so einen schlechten Ruf hat. Weil man ihm unterstellt, ein Theoretiker zu sein, eine blutleere musikalische Gestalt, und das entspricht einfach nicht dem Befund.“
Huber bevorzugt politische Festival- Themen: „Sie liegen ja in der Luft.“ Vor zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung, ging es um „Gastfreundschaft“. Von Überlegenheitsgesten und Belehrung hält Huber wenig: „Ich denke, dass wir als Kulturmacher gut beraten sind, unsere Gäste nicht mit Moral zu verprügeln, sondern dass wir sie zunächst mal gut unterhalten sollen und damit machen wir sie offen für das Nachdenken über die Themen, die wichtig sind. Das Felix Austria-Thema ist nicht zufällig, sondern absichtlich optimistisch, weil wir erzählen wollen: Liebe Freunde, Mitbürger, Europäer – Austria steht nicht für Österreich, sondern für die freie europäische Gesellschaft –, Ihr seid Euch hoffentlich bewusst, dass unser paradiesischer Zustand, in Freiheit zu leben, kein Naturgesetz ist, sondern gemacht ist und dass wir auf diesen Zustand aufpassen müssen, weil er in Gefahr ist.“
"Österreich ist keine Insel der Seligen."
Das zentrale Projekt dieser „Erzählung“ ist Beethovens „Fidelio“. Bei der Premiere am 13. Juli steht Andrés Orozco-Estrada am Pult, die Dialoge werden ersetzt durch Videos, die Interviews mit Flüchtlingen zeigen. Die eisiger werdende Stimmung in Europa registriert Huber besorgt: „Es ist nichts unvorstellbar, auch in Österreich, das ist ja keine Insel der Seligen. Wir nehmen mit Schaudern wahr, was in Budapest in den Theatern passiert. Wir sind aber momentan davor gefeit, dass die Rechte unsere Spielpläne übernimmt, weil sie einfach nicht das Personal dazu haben.“
Das Festival läuft bis zum 22. Juli. Weitere Infos unter: www.styriarte.com
Regine Müller
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