"Die Ungehaltenen" im Gorki Studio: Wutbürger in Kreuzberg
Hakan Savaş Mican und Necati Öziri bringen Deniz Utlus Roman „Die Ungehaltenen“ im Gorki-Studio auf die Bühne.
Elyas hat die Schnauze voll von diesem Sozialzoo namens Kreuzberg, in dem er gefangen ist: „Ich stehe am Fenster, gucke auf die Straße und fühle mich wie ein Fisch in einem Aquarium. Diese ganzen Touristen und Zugezogenen mit Skinny Jeans, Jacketts, Seitenscheiteln und Vollbärten“, die erträgt der 27-Jährige nicht mehr, „diese ganzen Jutebeutel und Pseudopunks, die aber um zehn ihre Ruhe haben wollen“. Elyas, der angry young man, wünscht der ganzen Stadt die Pest an den Hals, genauer: den Krebs, der auch seinen Vater zerfressen hat. Das Problem ist nur, dass Berlin eigentlich gar nicht die Ursache seines Zorns ist, bloß die Zielscheibe. Woher diese Wut rührt, die ihn fast verrückt macht, weiß der Junge selbst nicht genau. Könnte mit diesem ewigen Transitzustand zu tun haben: niemals angekommen. Nirgends erwünscht.
Deniz Utlu beschreibt dieses Dazwischen-Gefühl einer ganzen postmigrantischen Generation in seinem Debütroman „Die Ungehaltenen“. Mal gallig komisch, mal kopfschüttelnd melancholisch, mal larmoyant verklärt. Aus dem Buch hat Regisseur Hakan Savaş Mican, zusammen mit Necati Öziri eine Bühnenfassung destilliert und im Studio des Gorki-Theaters zur Premiere gebracht (wieder am 13./ 14., 29./30. Juni, jeweils 20.30 Uhr). In Form eines poetischen Protestsongs, der vor allem eine große Suchbewegung beschreibt. Gekoppelt an eine spontane Liebesgeschichte und einen unbewältigten Vater-Sohn-Konflikt.
Regisseur Mican lauscht den Zwischentönen nach
Elyas (Mehmet Ateşçi), dessen Onkel Cemo (Mehmet Yılmaz) von der Zwangsräumung bedroht ist und dessen bester Freund Hekim (Volkan Türeli) Tauben mit Rappernamen züchtet, lernt die Anästhesistin Aylin (Elmira Bahrami) kennen – auf einer Jubiläumsfeier zum Anwerbeabkommen, auf der „Erfolgskanaken“ präsentiert werden. Entflammt folgt er der schönen Ärztin über Istanbul bis ans Schwarze Meer, wo auch sein Vater begraben liegt. Was Regisseur Mican vor wechselnden Videopanoramen und nicht zuletzt musikalisch nachverfolgt. Mit einem Ensemble, das auch Band ist, wie schon in seiner Inszenierung von Marianna Salzmanns „Schwimmen lernen – Ein Lovesong“. Mican, selbst als Kofferkind aufgewachsen, weiß ein Lied von der Entwurzelung zu singen. Das merkt man diesem Abend an, der selbst da, wo die Vorlage nur laut ist, nach Zwischentönen lauscht.
Patrick Wildermann
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