„On My Way Home“ im Ballhaus Naunynstraße: Kinder in der Fremde
In seinem Stück „On My Way Home“ im Ballhaus Naunynstraße erzählt Regisseur Hakan Savas Mican von den Menschen, die als Kofferkinder aufgewachsen sind - hochpersönlich, ohne sentimental zu werden.
Wie es ist, wenn aus Eltern entfernte Verwandte werden, davon gibt dieser Brief ein Gefühl. Der türkische Junge schreibt darin an seinen Vater in Deutschland. Er verliert ein paar Sätze über ein zurückliegendes Unwetter, die bezahlte Fernsehgebühr, Ausflüge mit den Pfadfindern. Und er bedankt sich für den Zehnmarkschein, den der Vater geschickt hat. Ein Hähnchen haben sie davon gekauft und mit großem Appetit verzehrt. Der Tonfall ist so förmlich, steif und zugleich unausgesprochen nähebedürftig, dass es keine psychologischen Erklärungen mehr braucht, was so eine Trennung anrichtet. Ein Grundvertrauen wird zerstört.
In seinem Stück „On My Way Home“ im Ballhaus Naunynstraße erzählt Regisseur Hakan Savas Mican von den Menschen, die als Kofferkinder, Pendlerkinder, Sommerkinder aufgewachsen sind. Welche Bezeichnung man auch wählt – ihre Geschichten gleichen sich. Ihre Eltern sind als Arbeitsmigranten der ersten Generation nach Deutschland gegangen, um Geld zu verdienen. Die Töchter und Söhne ließen sie dafür bei Verwandten zurück. In der Türkei, in Italien, Griechenland, Jugoslawien. Wenn die Kinder dann in den Sommerferien die Eltern besuchen durften, standen sich Fremde gegenüber.
Hochpersönliche, aber nicht sentimental
Mican ist selbst so aufgewachsen, das Thema hat ihn nie losgelassen. Für sein Projekt im Ballhaus hat er eine Recherchereise über Tuzla, Belgrad und Thessaloniki bis zur Schwarzmeerküste unternommen, wo seine Eltern heute eine Haselnussplantage haben. Mican hat unterwegs andere Kofferkinder interviewt. Und schließlich das eigene Familienalbum aufgeblättert. „On My Way Home“ ist ein hoch persönlicher Abend, aber kein sentimental privater. Mican verdichtet seine Begegnungen zu einem so assoziativen wie meditativen Trip.
Impressionen seiner Reise scheinen als 360-Grad-Projektion auf den Ballhaus-Wänden auf, der Künstler Enik spielt am Klavier melancholische Songs („Robot is dreaming of Love“), die Schauspieler Eva Bay und Dejan Bucin geben Teile der Interviews wieder, die sich zu einem Mosaik der verschiedenen Bewältigungsstrategien fügen: vom Achselzucken über die Kindheitswunden bis zur nie verrauchten Wut. Man lernt auch die Eltern verstehen. Für die Kinder in die Fremde zu gehen war ein Weg, Liebe zu zeigen.
Nächste Vorstellungen Do 4. und Fr 5.9., So 7.–Di 9.9., jeweils 20 Uhr
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