Fotografien von Edward Burtynsky: Wundmale der Naturzerstörung
Total planierte Welt: Die Berliner Galerie Springer zeigt neue Industrie-Fotografien von Edward Burtynsky.
Als ob die Erde zu einer Welle werden wollte, hat sich die Bodenschicht des Tagebaus am Rand gewölbt, und fast scheint es, als wäre sie blutig gefärbt. Seitlich fällt Sonnenlicht auf den frisch aufgerissenen, rotbraunen Boden. Ein grüner Streifen Vegetation rahmt die Szene an ihrem oberen Rand, nicht lange mehr vermutlich, denn der Bagger wird sein gewaltiges Schaufelrad auch in diesen Rest Natur schlagen. In diesem Moment verharrt der Riese, der von Weitem so spielzeughaft klein aussieht, in weiter Ferne und wartet auf den nächsten Einsatz.
Das große und großartige Bild aus dem nordrheinischen Braunkohlenrevier – fast könnte man angesichts seiner fokussierten Farbabstufungen von einer Fotografik sprechen – kommt wie gerufen, um der hitzigen Debatte hierzulande um den Kohleausstieg neue Nahrung zu geben. Die schon durch ihre schiere Größe fesselnde Arbeit des mittlerweile berühmten kanadischen Fotografen Edward Burtynsky entstand allerdings bereits 2015 und gehört zu dessen jüngstem Projekt „Anthropocene“, aus dem die Galerie Springer insgesamt elf ausdrucksstarke Arbeiten anbietet (Einzelpreis: 22 500 Euro). In jedem davon tritt die Ambivalenz des menschlichen Eingriffs in die Naturressourcen schmerzend deutlich zutage. Was Entsetzen auslösen müsste, fasziniert durch den ästhetischen Reiz, den der Blick auf Fördergruben und andere Abbaustätten bietet, etwa der auf die Förderung von wertvollem Lithium für Smartphones und anderes elektronisches Gerät in der chilenischen Atacama-Wüste. Der Fotograf und mit ihm der Betrachter stoßen auf eine total planierte Welt mit Abbaugeräten wie Großflugzeuge.
Arbeiter sind nicht zu sehen
Ein besonders schönes Sinnbild für den Stempel, den die Industrie der Erde aufdrückt, gelang Burtynsky in einem auf den Gewinn von Pottasche spezialisierten Bergwerk im Ural: Statt der Maschine sieht man in Nahaufnahme ein rätselhaftes, von roten Strahlen durchzogenes Zeichen, das der Förderkopf hinterlassen hat. Es könnte eine Botschaft der Erde selbst sein. Weniger rätselhaft sieht dagegen der Abbau von Carrara-Marmor in Norditalien aus, der schon Michelangelo das Material für Skulpturen wie den „David“ oder „Moses“ lieferte. Arbeiter sind hier ebenso wenig wie auf den anderen Fotografien zu sehen, doch immerhin schmale, aus der Ferne zerbrechlich wirkende Leitern von Ebene zu Ebene.
Anders als der Brasilianer Sebastião Salgado thematisiert der elf Jahre jüngere Kanadier, 1955 als Sohn ukrainischer Einwanderer geboren, nicht die Fronarbeit rechtloser Arbeitssklaven. Stattdessen reist er mit seiner – um das Aufnahmeteam für den gleichnamigen Dokumentarfilm erweiterten – Crew rund um den Erdball; überall dahin, wo die Wundmale der Naturzerstörung offen zutage liegen. Aber statt bloß abzuschrecken oder an das Gewissen zu appellieren, graben sich Burtynskys Fotografien gerade durch ihre Schönheit verstörend in unsere Erinnerung ein.
Galerie Springer, Fasanenstr. 13; bis 18. 4., Di–Fr 12–18 Uhr, Sa 12–15 Uhr