Poetikvorlesung in Frankfurt: Wörter im Stakkato
Ein Provokateur als Professor: Clemens Meyer hält im Sommersemester die Poetikvorlesung an der Goethe-Universität. Doch es bleibt niemals konventionell. Das zeigt schon die erste Vorlesung zum "Untergang der Äkschn GmbH".
„Literatur muss wehtun“, sagt der Autor Clemens Meyer. Besonders sein vor zwei Jahren veröffentlichter Roman „Im Stein“ löst diesen Anspruch ein: explizit und drastisch darin die Bilder einer brutalen, auf käuflichen Sex und Gewalt begründeten Welt, entfaltet in nahezu unerträglicher Lakonie. Meyer ist in diesem Sommersemester Dozent der traditionsreichen Frankfurter Poetikvorlesungen. Und gleich der Auftakt seiner Vorlesungen „Der Untergang der Äkschn GmbH“ macht unmissverständlich klar: Clemens Meyer hat nicht vor, (bildungsbürgerliche) Erwartungen zu erfüllen – außer eben die Erwartung, dass er liebend gern mit Konventionen bricht.
Den 1977 in Halle an der Saale geborenen und in Leipzig lebenden Schriftsteller ein „enfant terrible“ der deutschen Gegenwartsliteratur zu nennen, ist längst Klischee. Wer will sich ernsthaft davon provozieren lassen, dass er mal einen Jugendarrest verbüßte und reichlich Alkohol und Drogen konsumiert hat? Viel ist darüber gesprochen und geschrieben worden, dass er das Punk- und Anarcho-Milieu seines Debütromans „Als wir träumten“ – dieses Jahr verfilmt worden von Andreas Dresen – aus der Innenperspektive kennt. Figuren am Gesellschaftsrand, Gestrandete, Verzweifelte, Mörder, Zuhälter, Prostituierte sowie Alkohol-, Drogen- und Gewaltexzesse bestimmen all seine Texte.
Dass Meyer noch dazu am ganzen Körper tätowiert ist, sieht an diesem Abend im Audimax der Frankfurter Goethe-Universität aber niemand. Denn Anzug und Hemd sind, beides in Schwarz, ordentlich zugeknöpft. Hier provoziert allein der Text, vorgetragen mit einer durchdringenden Lesestimme. In einem Moment leise und sanft, schießt sie gleich darauf laut und aufgeladen mit größter Aggressivität die Wörter im Stakkato in den Saal.
Zeitgeist und Tradition zu Gast in der Äkschn GmbH
Aber wer oder was ist die im Titel benannte Äkschn GmbH? Irgendetwas, soviel verrät Meyers Prolog , hat sie wohl mit Hitler, Brecht, Nietzsche, Jesus, Mohammed, Altkanzler Kohl, der norwegischen Popgruppe a-ha, Heino und Wagners „Parsifal“ zu tun. In dichter Folge webt Meyer unterschiedlichste Texte, Handlungsstränge, Figuren, Orte und Zeiten ineinander. Ein Offenbacher Tatort- Kommissar namens Murrot taucht auf, dazu bereits bekannte Figuren aus Meyers literarischem Kosmos, er selbst in Jugenderinnerungen, außerdem Tagesaktuelles unter Schlagworten wie Lügenpresse, IS, NSA, Europa und – immer wieder – NSU und Beate Zschäpe.
Doch damit nicht genug: Meyer hat sich offensichtlich vorgenommen, seine sämtlichen literarischen Vorbilder zu benennen: von Joseph Conrad bis Hans Henny Jahn, von Hemingway und Dos Passos bis zu Hubert Fichte und Uwe Johnson, Lewis Carrol, Joseph Roth und viele mehr – so unterschiedlich diese Autoren, so umstandslos stehen sie bei Meyer nebeneinander. Besonderes Augenmerk richtet er in dieser ersten Vorlesung auf die für ihn „Großen der DDR-Literatur“: Werner Heiduczek, Wolfgang Hilbig, Erik Neutsch, Brigitte Reimann. Doch auch Trash und Banales finden ihren Platz. Ausführliche Reflexionen widmet Clemens Meyer dem Pornofilm „Die Stoßburg“, seinem Bericht zufolge Anfang der neunziger Jahre auf einer VHS- Kassette erstanden und unzählige Male gesehen.
Das Zuhören tut manchmal weh
Collage, Kontrastierung, unvermittelte, scharfe Schnitte – das ist des Autors Methode. Und allmählich dämmert es: Die Äkschn Gmbh benennt das Konglomerat der Einflüsse auf den Text, umreißt den Kontext des literarischen Schaffens, ist die Poetik selbst. Sie prägt, korrigiert, selektiert. Sie ist, so Meyer, ganz „Beobachtungsinstitution“, doch niemals „Moralinstitution“.
Diese erste der fünf Vorlesungen hat manchmal wehgetan. Doch eingenommen von der Wortgewalt, von der geballten Intellektualität und Traditionskenntnis, präsentiert in einer Form, die sich jeder (Erzähl-)Konvention verweigert, wird man sich diesem Schmerz begierig wieder aussetzen.
Sabrina Wagner
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