Interview mit den Sleaford Mods: „Wir wurden belogen“
Wut trifft Beats: Jason Williamson vom britischen Electro-Punk-Duo Sleaford Mods über den Brexit, Theresa May und das neue Album „English Tapas“.
Mister Williamson, Ihr neues Album trägt den Titel „English Tapas“. Was bitte sind englische Tapas?
Mein Bandpartner Andrew Fearn sah in einem Pub ein Schild, auf dem das stand. Wir lachten darüber und fragten uns: Was soll das sein? In den Zeilen darunter wurde es erklärt: eine Portion Pommes, eine Essiggurke, solche Sachen. Die englische Gastronomie bedient sich gerne an wunderbaren Dingen anderer Kulturen, definiert sie neu und verhunzt sie.
Kann man nicht auch sagen, da wollte jemand Spaniens Kultur und damit auch ein wenig die EU würdigen?
Eher nicht. Wenn sie irgendwas Interessantes mit einer Kartoffel angestellt hätten, dann vielleicht. So war es aber nur Müll. Ich meine: Pommes, eine Essiggurke!
Sie sind sehr streng mit Ihren Landsleuten.
Die Tapas-Geschichte ist lustig, das gebe ich zu, gleichzeitig steht sie aber auch für etwas ziemlich Deprimierendes. Denn sie sagt etwas über das England von heute aus: Es macht nur Unsinn, ist ignorant, kriegt die Dinge nicht wirklich geregelt.
War es früher besser?
Schwer zu sagen. Vielleicht kommt meine Kritik auch nur daher, dass ich älter geworden bin, die Dinge heute anders betrachte und mehr über Politik nachdenke als früher. Aber wie dem auch sei: Es fühlt sich einfach gerade sehr einsam an in England. Selbst die Musik ist heute schlimm, viel Aufregendes passiert nicht.
Wenn der Brexit vollzogen ist, dürfte es noch einsamer werden in England.
Die englische Regierung versucht gerade ihr Bestes, uns wirklich dumm aussehen zu lassen, indem sie uns aus der EU herausführt. Das Aufrechnen der Vor- und Nachteile, in der EU zu sein, hat nichts damit zu tun, warum England die EU verlässt. Das passiert jetzt nur, weil die englischen Medien ununterbrochen an Nationalstolz und Vaterlandsliebe appelliert haben. Es wurde behauptet, ohne die EU würde es der englischen Arbeiterklasse besser gehen. Die Leute wurden einfach angelogen. Und als dann tatsächlich für den Brexit votiert wurde, hatte die Regierung überhaupt keine Ahnung, was nun zu tun ist. Es gab gar keinen Plan, den Ausstieg wirklich umzusetzen. Es ist verrückt. Wir wurden behandelt wie Idioten. Und wir haben gehandelt wie Idioten. Jetzt herrscht Chaos.
Auch in Nottingham, wo Sie leben, wurde mehrheitlich für den Brexit gestimmt. Denken Sie daran, nach London zu ziehen?
Ich mag es in Nottingham. Man wird da einfach in Ruhe gelassen. Ich habe deswegen nie einen Grund gesehen, woanders hinzuziehen. Auch nicht nach London. Wenn ich extrem reich wäre, würde ich das vielleicht tun, aber ich bin nicht extrem reich.
Musikalisch streben Sie ebenfalls nicht nach Veränderungen. Einfache Beats, ein paar dürre Bassläufe, Ihr Sprechgesang – „English Tapas“ ähnelt Ihren früheren Alben.
Es ist schwer für uns, wirklich etwas anderes auszuprobieren. Vielleicht weil die Idee hinter unserer Musik schon ziemlich originell ist und wir diese Idee nicht zu sehr verpfuschen möchten. Wir entwickeln uns zwar weiter, aber nur in sehr langsamen Schritten. Auf dem neuen Album gibt es etwas mehr Gesang als beim Vorgänger und die Beats sind trockener, kälter und vielleicht sogar poppiger. Aber letztlich bleiben wir einfach, wer wir sind. Die Bands, die ich liebe, haben alle ihren Sound über die Jahre kaum verändert.
Wie schon Ihr Bandname andeutet, beziehen Sie sich auf die Mods, eine englische Jugendkultur, deren Angehörige einen ganz besonderen Kleidungsstil pflegten. Von Theresa May sagt man, sie wolle ebenfalls mit ihrer Kleidung politische Signale aussenden. Ist Theresa May ein Mod?
Theresa May will vor allem ziemlich englisch wirken. Sie hat einen Stylisten und der sagt ihr, wie sie sich anziehen soll, um etwas Bestimmtes darzustellen. Es ist einfach nur peinlich. Mod ist die Abkürzung für Modernist, es geht darum, zeitgemäß zu sein. Theresa May jedoch transportiert eine Englishness, die von gestern ist.
Die Sleaford Mods sind sehr englisch und zugleich sehr beliebt in Deutschland. Hätten Sie gedacht, dass Sie mit Ihrem schwer verständlichem East-Midlands-Dialekt hier so gut ankommen?
Nein, niemals. Aber ich glaubte anfangs überhaupt nicht, mit meiner Musik irgendwo Erfolg haben zu können. Jetzt sind wir in England am erfolgreichsten, aber gleich danach kommt Deutschland.
Sie transportieren mit Ihren Songs, die aus einer prekären Perspektive geschrieben sind, vor allem eine große Wut.
Wir haben eben noch etwas zu sagen, und ich denke, das spüren die Leute. Den meisten Bands heute geht es doch um gar nichts mehr. Man muss nicht unbedingt die große Message transportieren wollen, denn Pop ist schließlich auch Unterhaltung. Ich selber liebe viele Musiker, die nur darüber singen, dass sie unglücklich verliebt sind. Reine Unterhaltung ist in Ordnung, aber man sollte dabei doch so etwas wie Integrität spüren können.
Integrität heißt bei Ihnen auch, dass Sie Musikerkollegen wie Brian Eno und Noel Gallagher öffentlich beschimpfen.
Alle sind heute vorsichtig und wollen niemanden vor den Kopf stoßen. Ich bin da anders. Es ist wichtig, ehrlich zu sein. Wenn du jemanden nicht magst, dann ist es doch nicht falsch, das auch zu sagen.
Wer verdient eine richtige Abreibung?
Fast alle. Ich nenne keine Namen mehr, aber die meisten sind einfach Mist. Und es kommen immer neue Idioten nach.
„English Tapas“ erscheint am 3.3. bei Rough Trade.