Zum Tod von Amos Oz: Wir sind nicht allein in diesem Land
Romancier und Kämpfer für den Frieden: Zum Tod des großen israelischen Schriftstellers Amos Oz.
Als Amos Oz Anfang der nuller Jahre Poetik-Dozent in Tübingen war, bezeichnete er sich in einer seiner Vorlesungen als „Spezialisten für vergleichenden Fanatismus“. Was bei seiner Herkunft nicht verwundert, die Spannungen in seinem Heimatland haben tiefe Spuren in seiner Biografie und seinem literarischen Werk hinterlassen. Doch Oz wollte es zeit seines Lebens nie nur dabei belassen, Spezialist zu sein, sondern dem Fanatismus in seiner Heimat begegnen, ihn bekämpfen, jenen auf Seiten der Israelis wie den auf Seiten der Palästinenser. „Gegenseitiges Verständnis“ sei eines dieser Bekämpfungsmittel, offerierte er seinerzeit in Tübingen, „Offenheit“ ein anderes, letztere aber setze „eine Verankerung beider Seiten in einem sozialen und politischen System“ voraus.
Und als drittes Mittel nannte Oz „Humor“, wohl wissend, dass das von der rein politischen Seite her ein frommer Wunsch war, eine Utopie ohne jede reale Aussicht. Aber die Rolle der Literatur, insbesondere die soziale Rolle, die zumindest wollte er auch so verstehen, dass sie die Fähigkeit des Menschen zu mehr Humor befördere und damit zur Einnahme von anderen Blickwinkeln.
Amos Oz verstand sich gleichermaßen als Realist wie als Träumer. Und er war ein großartiger, oft als Favorit für den Literaturnobelpreis gehandelter Schriftsteller, der zum palästinensisch-israelischen Konflikt stets das Wort ergriff, wenn es angebracht war – und das war es natürlich häufig –, der aber auch genau zu trennen wusste zwischen Politik und Literatur. Wenn er mit sich im Reinen sei, bekannte er einmal, „gleichgültig, um was es sich dabei handelt, um einen Teil des Lebens oder den Aufbau des Landes, dann schreibe ich einen Artikel. Wenn ich jedoch auch nur ein bisschen ambivalent bin, wenn ich mehr als eine Stimme in mir habe, (...), dann kann diese Widersprüchlichkeit, die Verschiedenheit der Stimmen, zum Embryo einer Geschichte werden.“
So gelang es ihm, ein großes, fast unüberschaubares Werk zu schaffen aus Romanen, Erzählbänden, Kinderbüchern und Essays, angefangen mit seinem 1966 veröffentlichten Debütroman „Ein anderer Ort“, der detailliert und etwas sentimental die kleine Welt eines Kibbuz porträtiert, bis zu seinem letzten Essayband „Liebe Fanatiker“. Darin zeigt er sich erneut als Fanatismusexperte und untersucht den Fanatismus in seinen allgemeinen, religiösen und nationalistischen Ausprägungen.
In seinem Roman „Judas“ behandelte er das Thema des Verrats
Es ist das Besondere von Oz’ Büchern, dass sich in ihnen nur selten Spuren von einer politischen Dokumentarliteratur finden und sie trotzdem metaphern- und facettenreich ein authentisches Bild der israelischen Wirklichkeit vermitteln, der Spannungen, denen dieses besondere und ewig gefährdete Land und seine Gesellschaft ausgesetzt sind, immer unter besonderer Berücksichtigung des israelisch-palästinensischen Verhältnisses.
Das ist so in seinem wunderbaren Jerusalem- und Liebes-Roman „Mein Michael“, der zwei Jahre nach seinem Debüt erschien und auch die Geschichte einer gescheiterten Ehe erzählt; das ist so in seinem noch wunderbareren, schönsten und gewaltigsten, in den nuller Jahren veröffentlichten Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“, mit dem er gleichermaßen Israel und seiner 1933 vor der russischen Revolution in Odessa nach Palästina geflüchteten Familie ein Denkmal gesetzt hat. Und in dem er zudem die beklemmende und gescheiterte Ehe-Geschichte seiner Eltern schildert, mündend in dem Selbstmord der Mutter, die ihren Sohn verzweifelt zurücklässt.
Und das ist so in seinem letzten, religionshistorischen Ideen- und Thesen-Roman „Judas“. Dieser behandelt vor allem ein Thema: das des Verrats, ein ganz persönliches Lebensthema von Oz. „Judas“ ist aber auch eine Verbeugung vor seinem Großonkel Joseph Klausner. Der war ein aus Litauen stammender Religions- und Literaturwissenschaftler und wurde mit seinen Büchern „Jesus von Nazareth“ und „Von Jesus zu Paulus“ in den zwanziger Jahren bekannt. Klausner behauptete darin, Jesus sei ein jüdischer Reformer gewesen und als überzeugter Jude gestorben, was ihm von allen Seiten viele Anfeindungen einbrachte.
1939 in dem hauptsächlich von osteuropäischen Einwanderern bevölkerten Jerusalemer Stadtviertel Kerem Avraham geboren, sagte sich Amos Oz nach dem mütterlichen Suizid von seinem Vater los, einem Bibliothekar, der lieber Wissenschaftler geworden wäre, und entschied sich im Alter von 14 Jahren für ein Leben im Kibbuz. Dort änderte er seinen Namen von Klausner in Oz, was auf hebräisch Kraft und Stärke bedeutet. Auch nach einem Literatur- und Philosophiestudium in den frühen sechziger Jahren in Jerusalem blieb Oz der Kibbuzim-Bewegung treu, um dann 1967 als Mitglied einer Panzer-Einheit am Sechstage-Krieg auf dem Sinai teilzunehmen. 1973 kämpfte er im Jom-Kippur-Krieg auf den Golan-Höhen, begründete zu der Zeit aber auch die Friedensbewegung „Peace Now“. Sein politisches Credo war demnach nie ein rein pazifistisches. Amos Oz verstand sich als Kämpfer für den Frieden, der immer bereit ist, eine Waffe in die Hand zu nehmen und der auch schon mal israelische Kriegseinsätze im Libanon oder gegen die Hamas im Gaza-Streifen guthieß.
Das aber hatten ihn nicht nur die eigenen Kriegseinsätze gelehrt, sondern auch der Holocaust. So sagte er in seiner Dankesrede 2005 für den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt, es seien keine Friedensdemonstranten gewesen, keine „pazifistischen Idealisten“, die die überlebenden Juden in den Konzentrationslagern befreit hätten, sondern bewaffnete Soldaten: „Diese Tatsache vergessen wir israelischen Friedensaktivisten niemals, auch wenn wir gegen die Haltung unseres Landes gegenüber den Palästinensern kämpfen, auch wenn wir für einen lebbaren, friedlichen Kompromiss zwischen Israel und Palästina arbeiten.“.
Unermüdlich setzte sich Oz für die sogenannte Zweistaatenlösung ein
Dieser lebbare Kompromiss, das war für Oz immer die sogenannte Zweistaatenlösung. Für diese setzte er sich unermüdlich ein, auch wenn er um die Schwere der Umsetzbarkeit wusste. Und trotzdem: „Mein zionistischer Ansatz ist schon seit Jahren ganz einfach: Wir sind nicht allein in diesem Land. Wir sind nicht allein in Jerusalem. Das sage ich auch zu meinen palästinensischen Freunden. Ihr seid nicht allein in diesem Land. Es gibt keinen anderen Weg, als dieses kleine Haus in zwei noch kleinere Wohnungen aufzuteilen.“
Seine Kompromissbereitschaft, sein Realitätssinn aber, deshalb der „Judas“-Stoff, brachte ihm oft den Vorwurf ein, Verrat zu begehen – letztendlich schon seit seiner Kindheit, wie er vor einigen Jahren in Hamburg in seiner Dankesrede für den Siegfried-Lenz-Preis erläuterte. Weil er sich noch vor der Staatsgründung Israels 1948 mit einem britischen Soldaten angefreundet hatte, der ihm als kleinem Jungen Englisch beibrachte und er diesem im Gegenzug ein wenig Hebräisch, fragten ihn viele seiner Freunde erbost: „Wie kannst du dich mit unseren Besatzern anfreunden?“ Und, so schlussfolgerte Oz damals in eigener Sache: „Manchmal ist der Verräter auch einfach jemand, der den Mut hat, sich zu verändern – in den Augen derer, die sich nicht verändern wollen, die Angst davor haben, die Veränderung hassen.“
Oz war stets bereit, sich zu verändern, bereit, seine Feinde, seine Gegner zu mögen, für den Frieden zu kämpfen – und auch zu träumen. Wie sagte er es in einem seiner letzten Interviews auf die Frage nach einem Friedensschluss von Israelis und Arabern, vor dem Hintergrund der langen und blutigen europäischen Geschichte: „Ich bin sicher, wir werden es schneller schaffen als die Europäer. Wir brauchen dafür nicht 2000 Jahre, sondern sehr viel weniger.“ Am Freitag ist Amos Oz im Alter von 79 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung in Jerusalem gestorben.
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