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Amos Oz, 2014 bei der Verleihung des Siegfried-Unseld-Preises
© dpa

Internationaler Literaturpreis für Amos Oz: Verräter können Veränderer sein

Allzu naheliegende Wahl: Amos Oz und Mirjam Pressler erhalten für den Roman "Judas" den Internationalen Literaturpreis Berlin.

Ach, das ist jetzt eine sehr naheliegende, aber keine richtig gute Entscheidung: Amos Oz bekommt mit seiner Übersetzerin Mirjam Pressler für den Roman „Judas“ den Internationalen Literaturpreis Berlin, den es seit 2009 gibt und der ein literarisches Werk wie dessen Übersetzung gleichermaßen auszeichnet. Nicht, dass Amos Oz und Mirjam Pressler diesen Preis nicht verdient hätten, beiden kann man eigentlich nicht genug Preise verleihen. Und „Judas“ ist ein bemerkenswerter Roman, dem es im Großen und Ganzen überzeugend gelingt, „die großen Fragen und Konflikte der Religions- und Zeitgeschichte im Nahen Osten zu erzählen“, wie es in der Jury-Begründung heißt. „Judas“ ist ein kluger Thesen- und Ideen-Roman, der in Jerusalem im Winter 1959/60 angesiedelt ist und fast kammerspielartig auf mehreren Ebenen das Thema des Verrats erörtert – ein Lebensthema des Schriftstellers Amos Oz, der sich als Friedensaktivist, Zwei-Staaten-Lösung-Befürworter und Palästinenser-Versteher in seiner israelischen Heimat immer mal wieder selbst dem Vorwurf ausgesetzt sieht, ein Verräter zu sein.

Jeder Andere der Shortlist-Kandidaten wäre stimmiger gewesen

Aber weil dieser Preis die Aufmerksamkeit auf außergewöhnliche internationale, hierzulande und womöglich anderswo noch unbeachtete Literatur lenken möchte, was ihm in den vergangenen Jahren mit der Wahl von Dany Leferrière, Teju Cole, Marie N’ Diaye oder Daniel Alarcón gut gelang, dann ist Oz doch die falscheste Wahl: „Judas“ steht seit Erscheinen im Frühjahr in den hiesigen Bestsellerlisten, Pressler hat dieses Jahr schon den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung gewonnen, und sowieso scheint das Jahr nicht mehr so fern, in dem Oz für sein Werk auch der Literaturnobelpreis verliehen wird.

Insofern wäre jeder der anderen fünf Shortlist-Kandidaten stimmiger gewesen: von Gilbert Gatores Roman „Das lärmende Schweigen“ über den Völkermord in Ruanda und Daša Drndićs „Sonnenschein", der den Holocaust in Kroatien behandelt, über die beiden Kindheitsromane der aus Zimbabwe stammenden Autorin NoViolet Bulawayo („Wir brauchen neue Namen“) und der Ungarin Krisztina Tóth („Aquarium“) bis hin zu Patrick Chamoiseau und seiner modernen Robinsonade „Die Spur der Anderen“. Drei dieser Romane sind Debüts, und anders als Oz ist keiner der anderen Autoren und Autorinnen einem größeren Lesepublikum ein Begriff.

Nun denn, also Amos Oz. Dessen Roman ist, wie gesagt, unbedingt lesenswert, er schlägt stellenweise virtuos einen Bogen von der Religionsgeschichte in die politische Gegenwart und jüngeren Vergangenheit Israels. „Judas“ weist aber auch, wenn man kleinlich sein will, mitunter handwerkliche Nachlässigkeiten auf und neigt zur Redundanz, etwa wenn das Schicksals des toten Vaters einer der drei Hauptfiuren mehrmals fast wortgleich dargestellt wird. Wie es Mirjam Pressler da wohl beim Übersetzen gegangen sein mag? Am Mittwoch, den 8. Juli, wird der mit 35 000 Euro dotierte Preis an Oz und Pressler im Haus der Kulturen der Welt verliehen, und zwar, was wiederum höchst begrüßenswert ist, im Rahmen einer Langen Nacht der Shortlist, bei der alle anderen Nominierten dabei sein und aus ihren Büchern lesen werden.

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