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In den USA stand der Roman auf der Bestsellerliste.
© cbt

Jugendroman: Wir sind die, die sie am meisten fürchten

Blutiger Rassismus: In „The Hate U Give“ von Angie Thomas wird ein schwarzer Jugendlicher von der Polizei erschossen

Für Afroamerikaner gibt es ein paar Regeln, an die sie sich halten müssen, wenn sie überleben wollen. Ein paar davon betreffen den Umgang mit der Polizei. Die Eltern von Starr, der 16-jährigen Heldin von Angie Thomas’ Roman „The Hate U Give“, fassen sie so zusammen: „Du machst alles, was sie sagen. Halt deine Hände so, dass man sie sieht. Mach keine plötzlichen Bewegungen. Red nur, wenn du gefragt wirst.“ Wer die falsche Hautfarbe, die schwarze, hat, ist sowieso verdächtig, und wenn er es im Gespräch mit dem Beamten, der ihn kontrolliert, an Respekt fehlen lässt, dann kann für ihn eine solche Begegnung schnell lebensgefährlich werden.

Starr kennt Khalil, seit sie drei Jahre alt war und seine Großmutter auf sie aufgepasst hat. Jetzt findet sie ihn „heiß“, also irgendwie cool. Wenn er sagt, dass er „etwas zu tun hat“, dann weiß sie, dass es um Drogen geht. Schließlich trägt er „brandneue Jordans, ein strahlend weißes T-Shirt und Diamanten in seinen Ohren“. Insignien eines plötzlichen Reichtums. „What’s up, Girl?“, fragt Khalil, als er Starr bei einer Spring-Break-Party aufgabelt, und wenn er sie dann in seinem Chevrolet Impala nach Hause fährt, könnte die Romanze beginnen. Doch dann heult hinter ihnen die Sirene eines Polizeiwagens auf, und aus der Liebesgeschichte wird ein Thriller.

Khalil macht alles richtig, er steigt mit erhobenen Händen aus dem Auto, lässt sich abtasten und gibt knappe, stets höfliche Antworten. Doch dann bleibt er nicht stehen, als der Polizist zum Streifenwagen zurückgeht, stattdessen öffnet er die Fahrertür, um zu fragen: „Starr, bist du okay?“ „Peng! – Khalils Körper zuckt. Peng! Khalil keucht auf. Peng! Khalil sieht mich erstaunt an. Er stürzt zu Boden.“ Drei Schüsse auf einen jungen Mann, der unbewaffnet ist. Drei Schüsse, die auch seiner Hautfarbe gelten. Drei Schüsse, in denen sich der Rassismus der amerikanischen Polizei zeigt. Eine Exekution am Straßenrand.

Der Roman, der den ersten Platz der „New York Times“-Bestsellerliste erobert hat, spielt in einem schwarzen Großstadtghetto, das von Straßengangs beherrscht wird. Seine Geschichte ist fiktional, aber eng angelehnt an Vorfälle in Florida, Ferguson und New York, bei denen Afroamerikaner zu Opfern von Polizeigewalt wurden. Seither kämpft die Black-Lives-Matter-Bewegung gegen Diskriminierung und Gewalt. „Es ist cool, schwarz zu sein, bis es schwer wird, schwarz zu sein“, weiß Starr. Die Tochter eines Ladenbesitzers, der im Gefängnis gesessen hat, weil er zu einer Straßenbande gehört hatte, steht kurz davor, die Fesseln ihrer Herkunft abzustreifen. Den Sprung auf eine Eliteschule, in der fast nur Weiße unterrichtet werden und niemand Slang spricht, hat sie schon geschafft. Doch dann stirbt Khalil, und sie will seinen Mörder, einen Polizisten mit der Dienstnummer 115, nicht einfach so davonkommen lassen.

Irgendwann muss man sich entscheiden, wo man steht

Starr möchte Khalils Stimme sein, denn sie weiß: „Die einzige Möglichkeit, den Leuten seine Seite der Geschichte zu zeigen, besteht darin, dass ich mich zu Wort melde.“ Also spricht sie mit ihrer Familie, mit der Polizei, mit Fernsehjournalisten, mit den Aktivisten einer Bürgerinitiative, die vor einer Jury für die Anklageerhebung gegen den Polizisten kämpft. Sie glaubt an die Gerechtigkeit, doch die Justiz stellt diesen Glauben auf eine lange Probe. Nach Khalils Beerdigung kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, nachts wird geschossen, gepanzerte Mannschaftswagen fahren vor, das Viertel verwandelt sich in ein Kriegsgebiet.

„The Hate U Give“, von der ehemaligen Rapperin Angie Thomas in atemlos knapper Sprache geschrieben, handelt davon, dass man sich irgendwann entscheiden muss, auf welcher Seite man stehen möchte. Der Titel stammt von Tupac Shakur, dem Hip-Hop-Superstar, der 1996 bei einem Drive-By-Shooting erschossen wurde. Er übersetzte den Slogan „Thug Life“ (Verbrecherleben) mit „The Hate U Give Little Infants F-s Everybody“. Was eine Gesellschaft den Kindern antut, das wird sie später zurückbekommen. „Wir sind diejenigen, die den Kürzeren ziehen, aber wir sind auch diejenigen, die sie am meisten fürchten“, sagt Starr. Ihre Wut klingt optimistisch. Im nächsten Jahr soll die Verfilmung von „The Hate U Give“ ins Kino kommen.

Angie Thomas: The Hate U Give. Aus dem Amerikanischen von Henriette Zeltner. cbt, Verlagsgruppe Random House München 2017. 512 Seiten. 17,99 €. Ab 16 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

Christian Schröder

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