Amtswechsel als Comeback: Wir brauchen mehr von diesem Mut!
Ob Kramp-Karrenbauer, von der Leyen oder Merkel: Entscheidungsfreude wie die ihre ist eine viel zu seltene Tugend in der Politik. Ein Kommentar.
Manchmal, wusste Friedrich Hebbel, gehört mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben. Das kann man wohl sagen. Ob sich das auch Annegret Kramp-Karrenbauer gesagt hat? Die CDU-Vorsitzende hat nämlich ihre Meinung geändert, und das hat sie nun davon: Schelte, Häme, Unverständnis, dass sie, die nicht Bundesministerin werden wollte, es nun doch wird. Auch noch Verteidigungsministerin, was ein Amt ist, das eher seine Inhaber beherrscht, als dass es sich beherrschen lässt. Wie man ja an der Amtsvorgängerin sehen kann. Aber zu der später.
Annegret Kramp-Karrenbauer also. „Die Saarländerin“, so wird sie apostrophiert, dass es abschätzig klingt. Und so ist es auch gemeint. Kleines Land, geringe Bedeutung. Was soll die schon von Sicherheitspolitik, Bundeswehr und all dem verstehen, oder? Abgesehen davon, dass das Saarland durchaus Soldaten kennt, dass die Regierungschefin eines Bundeslandes, gleich ob groß oder klein, der Bundeswehr begegnet, und das nicht nur auf Empfängen; dass das Saarland im Grunde eine eigene sicherheitspolitische Geschichte hat und ist; dass Saarländer überproportional in der sogenannten großen Politik vertreten waren und sind, man denke aktuell bloß an Peter Altmaier oder immer noch Oskar Lafontaine – mal abgesehen davon: Glaubt irgendjemand, dass AKK nicht (mehr) lernfähig wäre? So lernfähig und mutig wie, sagen wir, Angela Merkel, nachdem sie 2005 Bundeskanzlerin geworden war? Von der hieß es vorher, die könne das nicht, und es war beileibe nicht allein Gerhard Schröders testosterongesteuertes Urteil nach der Bundestagswahl. In der CDU dachten viele ganz genauso. Schauen wir, wo die heute sind: alle weg. Merkel ist immer noch da, 14 Jahre im Amt.
Das wiederum rührt an Grundsätzlichem der Politik. Alle, die sich ihr verschreiben, müssten sich stets aufs Neue vor Augen führen: Sie hält Ämter nur auf Zeit bereit. Sie ist oft nicht gerecht, verschlingt manchmal die Besten. Auch die mit den besten Absichten. Denn das reicht nicht. Ein großer General braucht auch Fortüne, wusste der Alte Fritz. Das Glück der Gelegenheit, auch der, zu zeigen, was in einem, einer steckt – diese Gelegenheit zu erhalten, ist das eine, sie zu erkennen, das andere. AKK hat sie erkannt, und jetzt ist sie da, wo sie ist.
Das hätte auch Platon gefallen
AKK, die Mutige? Wenn es ein Mut der Verzweiflung gewesen wäre, der sie treibt, dann hätte sie abgelehnt. Wenn es der Mut war, sich selbst notfalls zur Disposition zu stellen – dann könnte man es doch auch einen Mut zur Freiheit nennen. Sie ist so frei, diese Herausforderung anzunehmen und daran scheitern zu können. Mit dem Willen, die Situation zu bestehen, aber im Wissen um die Fallstricke und die Leiden, die es verursachen kann, wenn man sich in den Dienst stellt oder stellen lässt. Hier ist die Tugend der Tapferkeit nicht mehr weit entfernt.
Das hätte auch Platon gefallen, für den doch Tapferkeit zu den Grundtugenden zählte. In der Politik. Zumal er in „Politeia“, seiner Vorstellung vom Idealstaat, fast schon als Befürworter der Emanzipation erscheint, wollte der Philosoph doch Frauen den Zugang zu allen Ämtern öffnen. Wohlgemerkt allen. Und das im alten Athen! Wenn es dort gelten sollte, dann auch in Spreeathen und Brüssel, oder? Wo Platon schon so früh dran war. Und Merkel erst 2005.
Ja, Merkel: Die hat wirklich Mut von AKK verlangt. Sich in dieses Amt zu begeben, erfordert genau das: Beherztheit, Bereitschaft zum Wagnis, sich in eine unsichere Lage zu begeben, eine voller Gefahren. Das Scheitern lauert überall, die Frontverläufe, um es so auszudrücken, sind unübersichtlich. Heer, Luftwaffe, Marine, Rüstung, Zivilangestellte, abertausende insgesamt, Unzufriedenheit hier und da und dort, Mangelwirtschaft, Vetternwirtschaft – wenn das keine Herausforderung ist. Und wenn das unter den obwaltenden Umständen nicht die größtmögliche aller beruflichen Prüfungen ist. Nach der für die Kanzlerin, versteht sich.
Aber Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich die erste militärische, oder besser: soldatische, Entscheidung abgerungen. Beurteilung der Lage und Entschluss, so wird es von denen verlangt, die die Truppe führen wollen. Und in der Politik. Sie hat, mit Merkel, abgewogen und sich entschlossen, das Unangenehme und Gefahrvolle nicht zu verweigern. Was sie hätte tun können, gut begründet sogar. AKK ist auf Posten bei der CDU, und die ist – bei genauem Hinschauen – in ihrem Zustand der Bundeswehr gar nicht so unähnlich. Da ist auch Jahre nicht investiert worden, politisch gesehen. Es wurde umgesetzt, was verlangt war. Zurück bleibt eine besondere Form von Mangelwirtschaft.
Viel für eine, zu viel? Zunächst einmal sind es noch zwei, die Kanzlerin und die neue Verteidigungsministerin, die sich dem stellen können, ja müssen, was erforderlich ist. Auch von Merkel ist – später – Mut verlangt, einen Neuanfang zu ermöglichen. Denn die Entscheidung von Annegret Kramp-Karrenbauer, nunmehr in jeder Hinsicht Generalin (nachdem sie es zunächst in der CDU war) hat sich mit ihrer Entscheidung zugleich ja zum Handeln entschlossen. Nicht zum Erdulden, zum Gestalten, nicht zum Erleiden. Das zeigt Charakter, sagte man früher, zeigt gewiss aber ihren Charakter: Stärke, Durchsetzungswillen – und Loyalität. Kaum vorstellbar, dass die Kanzlerin sie nicht auch mit diesem Wert konfrontiert hat. Immerhin hatte Merkel mehr als einmal erklärt, keine größeren Umbauten im Kabinett vornehmen zu wollen, um keine zusätzliche Unruhe in die Koalition zu tragen; und eine Unwucht in ihrem mutmaßlich letzten Kabinett sollte auch unbedingt vermieden werden, weshalb sie eine Frau suchte und die einem Mann vorzog. Dass das alles zugleich den Ambitionen der möglichen Nachfolgerin entgegenkommt, könnte, wie Merkel ist so ist, sogar mit eingerechnet worden sein.
Wer frei ist, zu scheitern, ist frei, das Richtige zu tun. Umso besser für die Politik, wer den Mut aufbringt, sich dem zu stellen. Womit wir bei ihrer Vorgängerin wären, bei Ursula von der Leyen. Sie, die dienstälteste Ministerin der Bundeskanzlerin Merkel, über all ihre Jahre dabei, hat sich befreit vom bisherigen Amt, was in jedem Fall richtig war. Von der Leyen war dem Scheitern nahe. Ungeachtet ihrer geradezu soldatischen Art, Herausforderungen nicht aus dem Weg zu gehen, ihnen mit Wagemut zu begegnen. Aber genauso ist es ihre Begabung, Chancen zu sehen, wo sie sich bieten, Gelegenheiten sogar zu schaffen, die sie nutzen kann.
Mut hat von der Leyen ins Amt gebracht
Es erforderte, so gesehen, allein schon Mut, sich der Herausforderung zu stellen, im Europäischen Parlament gewählt werden zu wollen. Nachdem das Parlament sich übergangen sah bei der Auswahl des künftigen Kommissionspräsidenten der EU, das sogenannte Spitzenkandidatenmodell keines mehr war, sondern die altbekannte Auswahl durch den Europäischen Rat vorgenommen wurde. Und dann erforderte es Mut, sich im Plenum am Dienstag so zu äußern, wie sie es tat: Von der Leyen führte vor, was sie verändern will, wohin sie die EU führen will. Das ist ein Wagnis gewesen. Mag sein ein kalkuliertes, aber die Rechnung – weil bei Weitem nicht alles ihren Parteigängern gefiel – hätte auch fehlgehen können. Was wäre gewesen? Sie wäre durchgefallen und, weil sie so frei war, auch zu scheitern, nicht mehr Ministerin gewesen, einzig noch Abgeordnete. Nun ist auch von der Leyen da, wo sie ist. Mut hat sie dorthin gebracht.
Dass die SPD nicht den Mut aufbrachte, ihrer eigenen Erkenntnis zu folgen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, ist die Ironie dieser kleinen Geschichte vom Mut. Die Sozialdemokraten nämlich meinten, dass in der EU mit deutscher Hilfe ein Demokratieprinzip verletzt worden sei – aber den großen Schluss daraus mochte sie nicht ziehen, dass deswegen Schluss sein muss in der Koalition. Das war: gewiss nicht mutig. Dass die Grünen, nicht in der Koalition, wie die SPD gegen von der Leyen stimmten, war es dagegen schon. Sie hatten den Mut, ihre Meinung nicht zu ändern, selbst wenn es ihnen vielleicht in der deutschen Öffentlichkeit mehr genutzt hätte.
Zu guter Letzt zu diesem Phänomen: Vom amerikanischen Psychologen Martin Seligman stammt der Satz "Wer nie scheitert, entwickelt sich nicht und kann auch nicht glücklich werden, denn ihm fehlt die Erfahrung der eigenen Stärke". Das unterscheidet die deutsche von der amerikanischen Öffentlichkeit, ja Gesellschaft. Sich in die Politik zu begeben, ist auch dort ein Wagnis. Aber das mögliche Scheitern ist, sagen wir, ein Teil der Freiheit, zu wachsen - und, warum auch nicht, wiederzukehren. Um es wieder zu versuchen, sei es dann woanders. Das Comeback als Sittenbild. Auch in der Hinsicht gilt hierzulande: nur Mut!