Der Künstler als Junkie: Willem Dafoe spielt in „Tommaso“ den getriebenen Regisseur
Regisseur Abel Ferrara verarbeitet in „Tommaso“ seinen Kampf mit der Vergangenheit. Willem Dafoe brilliert als Filmemacher, in dem es innerlich brodelt.
Abel Ferrara ist ein Getriebener. Auch mit 68 Jahren dreht der Regisseur in dichter Folge Filme, mal Dokumentarisches, mal Fiktion, manchmal beides auf einmal. In „Tommaso und der Tanz der Geister“ lässt er die Grenzen zwischen biografischen und fiktionalen Elementen wie in einem Fiebertraum verschwimmen.
Dafür hat er sich erneut mit Willem Dafoe zusammengetan. Sechs Filme haben die beiden bereits miteinander gedreht, ihre jüngste Zusammenarbeit „Siberia“ wird Ende Februar im Berlinale-Wettbewerb gezeigt. Kurz vor dem Festival kommt nun „Tommaso“ in die Kinos, in dem Dafoe einen amerikanischen Künstler im italienischen Exil spielt.
Sowohl Ferrara als auch Dafoe leben in Rom, der Ewigen Stadt. Ferrara nimmt sich die Zeit, Tommaso auf seinen Streifzügen die Straßen zu zeigen.
Der Film folgt ihm in die Geschäfte und Cafés, in Italienisch-Stunden und zum Schauspielunterricht, in dem er sich in Gespräche mit dem Nachwuchs begibt, bis man sich fragt, ob man tatsächlich einer Filmfigur zusieht oder Dafoe durch seinen Kiez begleitet.
Der Regisseur und sein Schauspieler haben ein Maß an Vertrautheit, dass sie sich einander ausliefern, Dafoe bekommt viel Freiraum. In teils improvisiert wirkenden Szenen kann er Tommaso diese Mischung aus Verletzlichkeit und Dämonie verleihen, die er wie kaum ein anderer ausstrahlt. Dafür lässt Dafoe die Handkamera von Peter Zeitlinger ganz nah an seinen sehnigen Körper und an das von Falten zerfurchte Gesicht heran.
Zeitlinger, der schon mit Werner Herzog gearbeitet hat, umkurvt Tommaso, wenn der mit Meditation versucht, seine angestauten Aggressionen in den Griff zu bekommen. Die Kamera lauert neben dem Sofa, als Tommaso mit seiner Frau schlafen will, die beiden aber von den Rufen der dreijährigen Tochter aus dem Nebenzimmer unterbrochen werden.
Die Pointe: Tommasos Familie ist in Wirklichkeit Ferraras Familie, die Schauspielerin Cristina Chiriac und ihre gemeinsame Tochter Anna. Der Regisseur zeigt, wie das Kind die Beziehung der Eltern belastet, wie Tommaso Verlustängste umtreiben, wie Eifersucht und Neid auf die Jugend seiner 29-jährigen Frau ihm zu schaffen machen. Ferrara, der auch das Drehbuch geschrieben hat, lässt es dabei bereitwillig zu, diese Regungen als seine eigenen zu deuten.
[In sieben Berliner Kinos (OmU und OmenglU)]
Es brodelt in seiner Hauptfigur, die eigentlich ihre wilden Zeiten hinter sich zu lassen versucht. Tommaso ist wie Ferrara ehemaliger Junkie und trockener Alkoholiker, aber seit sechs Jahren clean. Wenn er bei den Anonymen Alkoholikern über seine Drogeneskapaden spricht, scheinen dies auch Ferraras Erinnerungen zu sein.
Grenzen verschwimmen
Die Grenze zwischen Fakt und Fiktion bleibt durchlässig. Was ist Erinnerung, was Traum, was Angstvorstellung?
Einmal wird Tommaso als Aufwiegler verhaftet. Er müsse einen Tempel der Wahrheit errichten, erklärt er den Polizisten. Dann wieder tritt die Bedienung im Café nackt hinter dem Tresen hervor, um Tommaso seinen Espresso zu bringen. Am Ende bleibt man irritiert zurück: Wie viel von dem, was man gesehen hat, ist tatsächlich geschehen?
Der Regisseur liebt die Kontroverse
Eine Konstante in Ferraras Schaffen ist die Auseinandersetzung mit seiner katholischen Erziehung. Ferrara, inzwischen zum Buddhismus konvertiert, zeigt Tommaso in Demutsgeste zu Füßen einer nackten Schauspielschülerin, später sogar ans Kreuz gebunden.
Die Mischung aus christlicher Symbolik mit Sex und greller Gewalt hat seinen Filmen häufig den Beigeschmack des Anrüchigen verliehen, etwa in „Bad Lieutenant“. Ferrara liebte die Kontroverse, „Tommaso“ ist vergleichsweise altersmilde. Gewalt blitzt gelegentlich auf, Sex steht nur als Wunschbild und Versuchung im Raum.
Wenn ein 68-jähriger Filmemacher heute zeigt, wie sein Alter Ego von blutjungen Schauspielerinnen umschmeichelt wird, wie sie nackt mit ihm tanzen, während er seine Kleidung nie ablegt, ist das mindestens provokant. Ganz ohne geht es bei Ferrara nicht.