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Charakterkopf. Willem Dafoe, 1955 in Wisconsin geboren, ist in der Hommage in zehn Filmen zu sehen. Zum Ehrenbär am 20.2. läuft das Outback-Drama „The Hunter“.
© Gabriel Olsen/GETTY IMAGES NORTH AMERICA

Berlinale-Ehrenbär für Willem Dafoe: „Ich wäre gern wieder Laie“

Der US-Schauspieler Willem Dafoe erhält auf der Berlinale den Goldenen Ehrenbären. Im Interview spricht er über seine Anfänge in Hollywood und seine Liebe zum Independentkino.

Diese Zähne sind unverwechselbar, und seinem stechenden Blick verdankt er manche Rolle als Bösewicht. Willem Dafoe ist eines der markantesten Gesichter in Hollywood. Ein Star, der uneitel genug ist, um im Ensemble in die zweite Reihe zurückzutreten und dessen stille Präsenz dennoch einen ganzen Film tragen kann. Das brachte ihm bisher drei Oscar-Nominierungen für die beste Nebenrolle ein, für Oliver Stones Vietnamdrama „Platoon“ (1986), die Nosferatu-Phantasmagorie „Shadow of the Vampire“ (2000) und aktuell für den Independentfilm „The Florida Project“ – der am 15. März in die deutschen Kinos kommt. Bei der Oscar-Gala am 4. März hat Dafoe gute Chancen, endlich seinen ersten Oscar zu gewinnen. Zuvor wird Dafoe, der 2007 Mitglied der Berlinale-Jury war, am 20. Februar im Berlinale-Palast mit dem Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk ausgezeichnet. In der Hommage des Festivals laufen zehn seiner Filme.

Mister Dafoe, kürzlich sah ich wieder „Leben und Sterben in L.A.“ von William Friedkin, der Film ist inzwischen 30 Jahre alt. Sie haben seitdem in über 100 Filmen gespielt: Denken Sie manchmal an die Anfänge Ihrer Karriere zurück?

Ja, bestimmte Filme sind mir bis heute sehr nah. Mit Billy Friedkin bin ich all die Jahre in Kontakt geblieben, „Leben und Sterben in L.A.“ war ja meine erste große Rolle. Erinnern Sie sich an Darlanne Fluegel?

Sie spielt die Informantin Ihres Widersachers William Peterson.

Ich habe kürzlich durch Zufall erfahren, dass Darlanne im Dezember gestorben ist. Sie war an Alzheimer erkrankt. Das war ein Schock, wir waren etwa im selben Alter. Meine Filme erinnern mich an diese Phasen meines Lebens: was mich beschäftigt hat, in wen ich gerade verliebt war, welche Kleidung ich getragen hab. Ich sehe mir meine alten Filme an, um mich zu erinnern.

Und welche Erinnerungen verbinden Sie mit „Leben und Sterben in L.A.“?

Ich habe damals jeden Tag mit der Wooster Group gearbeitet, der experimentellen Theater-Company in New York, deren Gründungsmitglied ich ja bin. Meine Filmkarriere hatte noch gar nicht richtig begonnen, ich sah mich in erster Linie als Theaterschauspieler. Friedkin kam damals auf mich zu und sagte: Ich möchte einen Film mit Darstellern machen, deren Gesichter niemand kennt. Auf diese Weise können sich die Zuschauer ohne Vorbehalt auf die Charaktere einlassen. Diese Haltung habe ich seitdem verinnerlicht. Als Betrachter finde ich den Umstand, nichts über die Darsteller zu wissen, sehr reizvoll. Natürlich ist es eine absurde Vorstellung, mich heute nach so vielen Filmen als „Nicht-Darsteller“ ausgeben zu wollen. Aber diesen Anspruch habe ich an mich selbst – und in meinem neuen Film, Sean Bakers „Florida Project“, konnte ich ihn sogar einlösen. Ich bin von jungen, nicht professionell ausgebildeten Darstellern umgeben: wunderbare Menschen, aber eben keine Schauspieler. Es war unglaublich inspirierend, in diese Gruppe einzutauchen und all die Manierismen abzulegen, die man sich über die Jahre angeeignet hat.

Sie sind für „The Florida Project“ zum dritten Mal für den Oscar nominiert. Sie spielen den Hausmeister eines Motels unweit von Disney World, in dem junge Familien ohne Wohnsitz leben. Hatten Sie nie Sorge, dass Ihr Name die Aufmerksamkeit von den unbekannten Hauptdarstellern ablenkt?

Überhaupt nicht. Sean Baker hat eine treue Anhängerschaft, deshalb habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Ich habe in so vielen Filmen mitgespielt, bei denen mein Name ganz oben in den Credits stand – und auch das hat ihnen kein breiteres Publikum verschafft, leider.

Wussten Sie vor „The Florida Project“, dass Sie so gut mit Kindern können?

Ich liebe die Arbeit mit Kindern, schon früher am Theater. Technisch sind sie natürlich limitiert, aber sie sind dabei sehr frei. Sie fangen einfach an zu spielen, wenn man sie anleitet. Man kann Szenen mit ihnen zwar nicht unendlich oft wiederholen, aber wenn die Kamera läuft, sind sie bei der Sache. Dann sind sie in ihrer eigenen Welt. Sie bringen ein hinreißendes Chaos in die Arbeit, dem man sich einfach nicht entziehen kann.

"Ich mag es, wie Filme die Weltsicht verändern"

Charakterkopf. Willem Dafoe, 1955 in Wisconsin geboren, ist in der Hommage in zehn Filmen zu sehen. Zum Ehrenbär am 20.2. läuft das Outback-Drama „The Hunter“.
Charakterkopf. Willem Dafoe, 1955 in Wisconsin geboren, ist in der Hommage in zehn Filmen zu sehen. Zum Ehrenbär am 20.2. läuft das Outback-Drama „The Hunter“.
© Gabriel Olsen/GETTY IMAGES NORTH AMERICA

Sie sind ein sehr körperlicher Schauspieler. Konnten Sie mit der schier unerschöpflichen Energie der Kids mithalten?

Das Schöne an „The Florida Project“ ist, dass meine Rolle in gewisser Hinsicht die Umstände der Dreharbeiten reflektiert. Sie besteht darin, für Ordnung zu sorgen, mein Ansatz war also sehr pragmatisch. Manchmal waren die Kids halt außer Rand und Band, wenn sie wieder zu viel Zucker in der Limonade hatten und wie Flummis durch die Gegend sprangen. Sie haben sich wie normale Kinder verhalten.

Sean Baker erzählte, dass er Sie den Kinder als den Grünen Goblin aus „Spiderman“ vorstellte. Hat Ihnen das Respekt verschafft?

Die Autorität eines Filmstars nutzt sich bei Kindern schnell ab. Sie dürfen nicht vergessen, dass Brooklynn Prince und Christopher Rivera bei den Dreharbeiten sieben waren, sie sind nicht mit Sam Raimis „Spiderman“-Filmen aufgewachsen. Ich bezweifle, dass die Begegnung mit mir ihre Fantasie beflügelt hat.

Sie haben vor Drehbeginn eine Weile in Motels in Florida gelebt. Bereiten Sie sich immer so akribisch vor?

Es kommt auf den Film an. Es hinterlässt oft einen bitteren Beigeschmack, wenn Leute aus der Filmbranche bestimmte Aspekte der Gesellschaft wie Armut oder Menschen aus der Arbeiterklasse zu porträtieren versuchen. Auch ich habe da früher Fehler gemacht. Die Haltung gegenüber diesen Milieus wirkt sehr schnell herablassend. Nicht unbedingt, weil man glaubt, überlegen zu sein, sondern – was genauso schlimm ist – aus unangemessener Sympathie oder gar Mitleid. Darum war es mir wichtig, eine Weile mit den Menschen zu leben, um ihre Geschichte besser zu verstehen.

Auf der Leinwand hat man immer das Gefühl, dass Sie am Schauspielen nicht die Filmkunst interessiert, sondern der Ausdruck, die Physis ihrer Figuren.

Ich stehe mit einem Bein in Hollywood. Natürlich verfolge ich, was aktuell im Kino passiert. Gleichzeitig bin ich sehr naiv, was bestimmte Aspekte des Kinos angeht – obwohl ich schon so viele Filme gemacht habe. Ich mag es als Zuschauer, wie Filme die eigene Sicht auf die Welt verändern können. Und als Schauspieler fasziniert mich die Vorstellung, ein Abenteuer zu erleben, das von der Kamera festgehalten wird. Ich will zum Beispiel schon länger mit dem mexikanischen Regisseur Carlos Reygadas arbeiten. Ich habe das ihm gegenüber auch mal erwähnt, als ich ihn zufällig auf einem Festival traf. Er hat jedoch dankend abgelehnt, da er prinzipiell nicht mit professionellen Schauspielern dreht. Worauf ich meinte: Perfekt, ich bin ein Schauspieler, der gerne wieder ein Laie wäre.

Die Liste Ihrer Regisseure ist lang, kaum ein wichtiger Name fehlt: Martin Scorsese, Oliver Stone, Kathryn Bigelow, Kenneth Branagh, David Lynch, Wim Wenders, Spike Lee. Demnächst sieht man Sie in der Comic-Verfilmung „Aquaman“. Zu einigen Filmemachern wie Wes Anderson, Paul Schrader, Abel Ferrara oder Lars von Trier kehren Sie immer wieder zurück.

Es gefällt mir einfach, zu bestimmten Regisseuren eine tiefere Beziehung zu entwickeln. Man schafft gemeinsam viel mehr, wenn man dem anderen vertraut und sich auf dessen Vision einlassen kann. Die Sprache des anderen zu kennen, bedeutet auch, dass die Zusammenarbeit viel artikulierter und letztlich effizienter abläuft. Ich habe oft erlebt, dass Schauspieler selbst am Ende der Dreharbeiten ihrem Regisseur nicht vertrauen. Das sorgt am Set nur für Unzufriedenheit.

Sie wechseln zwischen Studioproduktionen und Independentfilmen. Geht diese Rechnung auf?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Da ich zwischen Rom und New York pendele, kann ich gar nicht sagen, wie Hollywood tickt. Mir geht es vor allem darum, mir meine Möglichkeiten offenzuhalten. Meine Visitenkarte sind die Filme, die ich mache. So lange sie zu sehen sind – was weiß Gott nicht immer der Fall ist –, werde ich nicht arbeitslos sein.

Die amerikanische Filmlandschaft verändert sich gerade rapide. Kleine Filme sind immer schwieriger zu finanzieren, und Hollywood wird von Franchises dominiert. Spüren Sie die Folgen dieses Wandels?

Ich lebe mit den Folgen. Aber ich werde gar nicht erst versuchen, diese Frage zu beantworten. Es gibt immer weniger Studios, die meisten US-Filme werden inzwischen von Leuten produziert, die das Kino nicht verstehen. Und was den Vertrieb betrifft, geht es heute zu wie im Wilden Westen, mit all den Streamingplattformen und Produktionsfirmen wie Amazon und Netflix. Wo das hinführt, lässt sich schwer sagen. Aber es verändert ganz bestimmt unser Verhältnis zum Kino.

Das Gespräch führte Andreas Busche.

Andreas Busche

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