US-amerikanischer Historiker: Wie Timothy Snyder Rechtspopulisten stoppen will
Er glaubt an die Geschichte als Lehrmeisterin und an die Macht der Fakten. Gegen US-Präsident Trump hat er einen vielbeachteten 20-Punkte-Plan aufgestellt.
Es gibt kein Zurück. Denn die Vergangenheit ist ein Mythos. Wenn Marine Le Pen, Geert Wilders, Frauke Petry und andere Rechtspopulisten den Austritt ihrer Länder aus der Europäischen Union und die Rückkehr zum Nationalstaat fordern, dann bewegen sie sich, historisch betrachtet, auf postfaktischem Terrain. Denn Nationalstaaten hat es in Europa nur kurz gegeben, „bloß in den 20er und 30er Jahren, und dahin will niemand zurück, schließlich wurden diese Länder dann von den Nationalsozialisten oder den Kommunisten erobert“, wie der amerikanische Historiker Timothy Snyder gerade bei einem Vortrag im Königlichen Tropen-Institut in Amsterdam feststellte.
Bis zum Ersten Weltkrieg wurde der Kontinent von imperialen Großmächten beherrscht, die gleichzeitig Vielvölkerstaaten waren. Das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, das russische Zarenreich sowie Großbritannien und Frankreich, die große Kolonialreiche besaßen, agierten global und multinational. Nach zwei Weltkriegen begann 1957 mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein Zeitalter der Grenzöffnung und des Zusammenschlusses, das für 60 Jahre Frieden zwischen einstigen Erz- und Erbfeinden sorgte. Das ist der Status, der auf dem Spiel steht, wenn am 15. März in den Niederlanden und am 23. April in Frankreich gewählt wird.
„Kann die Geschichte uns vor uns selber retten?“, fragt der Vortrag des Yale-Professors im Titel. Die Antwort: hoffentlich. Wir durchleben derzeit die Krise der zweiten Globalisierung, diagnostiziert Snyder. Die erste Globalisierung begann um 1870, die zweite 1970. Die Symptome – Niedergang alter Industrien, Aufstieg radikaler Weltanschauungen, Abschottung – ähneln einander. Doch die Krise muss diesmal nicht in Krieg und Völkermord münden. „Geschichte dreht sich nicht wie ein Zirkel im Kreis, gerade wenn wir die Vergangenheit kennen, werden wir neue Wege finden“, sagt Snyder.
Was folgt, wenn die offene Gesellschaft vor ihren Feinden kapituliert? Despotie, Faschismus, Diktatur? Snyder hat einen viel beachteten 20-Punkte-Plan veröffentlicht, wie Trump zu stoppen sei. Er reicht von Ratschlägen wie „Glaubt an die Wahrheit“ und „Recherchiert, überprüft“ bis zur überaus amerikanischen Schlussformel „Seid Patrioten“. Der demokratisch gewählte Präsident hält nicht viel vom Prinzip der Volksherrschaft. „Er hat nie etwas Gutes über die Demokratie gesagt“, stellt Snyder fest. „Die Leute, die er bewundert, sind Autokraten, auch von Bürgerrechten spricht er nie.“ Um Trumps Ideologie und die seiner Anhänger zu charakterisieren, benutzt Snyder ein Wort, das in die Vorkriegszeit zurückweist. Die Vorstellung, es müsse eine Vision geben und der Anführer sei ein Visionär, ist für den Historiker „faschistisch“. Donald Trump sollte, hätte Helmut Schmidt wohl empfohlen, mit seinen Visionen lieber zum Arzt gehen.