Von digitaler Wüste zur Internetoase: Wie Kuba sich trotz US-Sanktionen modernisiert
Kuba hat ehrgeizige Reformvorhaben bei der Digitalisierung oder der Umstellung auf erneuerbare Energien. Doch die US-Sanktionen erschweren das. Ein Gastbeitrag.
Michael Thoss leitet seit 2018 das Verbindungsbüro des Goethe-Instituts auf Kuba.
Nach dem Jubiläumsmarathon im letzten Jahr herrscht auf der Karibikinsel jetzt Katerstimmung. Zwar sind die Festlichkeiten zum 60. Jahr des „Triumphes der Revolution“ und der Gründung Havannas vor 500 Jahren noch in lebendiger Erinnerung. Doch die Auswirkungen der verschärften US-Sanktionen machen sich im kubanischen Alltag immer stärker bemerkbar und lähmen notwendige Reformen.
Obwohl die Uno und die Europäische Union dieses längste Handelsembargo der Weltgeschichte regelmäßig als klaren Völkerrechtsbruch verurteilen, verstärkt die Trump-Administration dessen ungeachtet ihre Wirtschaftsblockade gegenüber Kuba.
Dabei treffen die jüngsten Maßnahmen, die den Reiseverkehr und die Geldüberweisungen auf die Karibikinsel drastisch einschränken, unsinnigerweise gerade jene 15 Prozent der Bevölkerung besonders stark, die mittlerweile im privaten Sektor arbeiten.
Kubas Jungunternehmer- und Start-up-Szene werden damit wichtige Kontakte und Ressourcen gekappt. Für Exilkubaner wiederum verteuert und verkompliziert sich jede Reise zu ihren Verwandten in die kubanische Provinz, seitdem neun von zehn Flughäfen von den USA nicht mehr angeflogen werden dürfen.
So schränkt die US-Regierung die Reisefreiheit ihrer eigenen Bürger ein und kündigte nun für 2020 die komplette Schließung ihrer Botschaft in Havanna an, die schon seit geraumer Zeit keine Visa mehr für Kubaner ausstellt. Diese müssen bis nach Mexiko, Panama oder in die Dominikanische Republik fliegen, um eine Einreise in die USA überhaupt beantragen zu können.
Trotz Rückgang von Tourismus werden Hotels gebaut
Dass kurz vor Weihnachten Kubas Nationalversammlung den bisherigen Tourismusminister und ausgebildeten Architekten Manuel Marrero Cruz zum ersten Ministerpräsidenten des Landes seit 1976 wählte – als Fidel Castro dieses Amt niederlegte –, sehen politische Beobachter als eine programmatische Entscheidung.
Der 56-jährige Ministerpräsident und früherer Generaldirektor der dem Militär unterstehenden Hotelkette Gaviota pflegt exzellente Beziehungen zu ausländischen Investoren. Mit seinen sechs Vizepremierministern will er den Fremdenverkehr als wirtschaftlichen Kernbereich weiter ausbauen.
Trotz eines 20-prozentigen Rückgangs der Touristenzahlen befinden sich inselweit rund 20 Hotels der Luxuskategorie im Bau oder in Planung. Schon jetzt wirbt Kuba verstärkt um asiatische Touristen und erhielt gerade in Schanghai die Stars Awards als „Reiseziel mit dem größten Potenzial“ verliehen.
Internet als Grundrecht aller Kubaner
Eine weitere Priorität der neuen Regierung stellt die Digitalisierung dar. Galt Kuba noch vor zwei Jahren als digitale Wüste, verfügen mittlerweile rund zweieinhalb der 11 Millionen Kubaner über einen eigenen Internetzugang.
Dank chinesischer Spitzentechnologie ist die flächendeckende Umstellung vom G3- auf den G4-Standard bei mobilen Daten gerade in vollem Gange. Die vor Kurzem noch hohen Preise für Vielsurfer wurden nahezu halbiert und laut einem Ranking der Firma Speedtest besitzt Kuba seit Ende 2019 das zweitschnellste mobile Internet in Lateinamerika.
Damit erfüllt Präsident Díaz-Canel Bermúdez ein Versprechen, das er schon als Präsidentschaftskandidat gab, als er den Zugang zum Internet als ein Grundrecht aller Kubaner bezeichnete.
Kubas digitaler Sprung in die Zukunft ermöglicht auch Projekte in der interkulturellen Zusammenarbeit, die vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wären. Ein Beispiel dafür ist die Gründung des Centro Humboldt für digitale Kulturerbeforschung durch die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) und die Casa Museo Humboldt.
Dieser ehemalige Stadtpalast in Havannas Altstadt öffnete nach einer langen Restaurierungsphase anlässlich des 250. Geburtstags von Alexander von Humboldt 2019 wieder seine Pforten. Das Humboldthaus wurde zum Sitz für ein mehrjähriges deutsch-kubanisches Pionierprojekt auserkoren, das der Erforschung und Digitalisierung des schriftlichen Kulturerbes des 18. und 19. Jahrhunderts dienen soll.
Humboldt beliebter als Marx
Der Universalgelehrte und Reiseabenteurer Humboldt gilt in Kuba bis heute als beliebtester Deutscher. Übrigens weit vor Karl Marx, dessen 200-jähriger Geburtstag auf der sozialistischen Karibikinsel sehr viel diskreter gefeiert wurde als das Jubiläum des „zweiten Entdeckers Kubas“, wie ihn die Kubaner nennen.
Mit Humboldt gab es viele Veranstaltungen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und des Goethe-Instituts. Die Universität Havanna und die Berliner Humboldt–Universität agierten als langjähriges Tandem, die kubanische Nationalbibliothek gründete eine Humboldt-Kommission gemeinsam mit der Akademie der Wissenschaften von Havanna, der ältesten außerhalb Europas. Das Staatsfernsehen offerierte eine Talkshow zur Aktualität des preußischen Naturforschers.
Neben Humboldts Geburtstag wurden 2019 auch das 100-jährige Jubiläum des Bauhauses, dessen Curriculum im kubanischen Architekturstudium fest verankert ist, und das 70-jährige Bestehen des Berliner Ensembles mit dem ersten Gastspiel des BE auf Kuba gefeiert.
„Der Kaukasische Kreidekreis“ in der Regie von Michael Thalheimer wurde von einer kubanischen Kritikerjury mit dem Preis Villanueva für die beste ausländische Inszenierung prämiert.
Russland und China investieren in das Land
Kubas ehrgeizige Reformvorhaben wie die Digitalisierung oder die angestrebte Umstellung auf erneuerbare Energien bei der Stromerzeugung, die auf der Karibikinsel noch größtenteils durch Ölkraftwerke sichergestellt wird, benötigen in großem Stil ausländische Investitionen.
Diese werden heute vor allem von China und zunehmend auch wieder von Russland getätigt. Die russische Regierung will Kuba dabei helfen, sein Schienennetz zu erneuern, und dafür einen modernen Zugpark mit 90 Lokomotiven zur Verfügung stellen, nachdem ein französisches Konsortium sein Angebot zurückgezogen hatte.
Überhaupt muss man beobachten, wie sich europäische, vermehrt auch deutsche Unternehmen aus dem Kuba-Geschäft zurückziehen, um ihre Position auf dem US-amerikanischen Markt nicht zu gefährden. Eine solche Overcompliance hatte schon die scheidende EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bei ihrem Abschiedsbesuch auf Kuba beklagt.
Große Abhängigkeit von Importen
Die große Abhängigkeit der kubanischen Volkswirtschaft von Importen und Devisen führte vor einigen Wochen zu der Einrichtung von Elektro- und Medienmärkten, in denen nur mit Dollars oder neun anderen ausländischen Währungen bezahlt werden kann.
Damit sollen Kubaner künftig davon abgehalten werden, ihre Klimaanlagen, Kühlschranke und anderen Haushaltsgeräte wie bisher in Panama oder Mexiko einzukaufen. In diesem Jahr ist die Eröffnung von landesweit mehr als 70 dieser sogenannten Dollarläden geplant. Allerdings kann man darin nur mit einer Geldkarte bezahlen, für die zuvor ein Devisenkonto eingerichtet werden muss.
Währungstausch auf Schwarzmärkten
Mit der faktischen Wiedereinführung des US-Dollars droht dem 1994 als Zweitwährung inthronisierten konvertiblen Peso (CUC) ein schleichender Wertverlust. Einige Ökonomen sagen seine Abschaffung bereits für 2020 voraus.
Die Folgen könnten sich allerdings als Bumerang erweisen, denn schon jetzt tauschen Kubaner ihre angesparten CUC zu Schwarzmarktkursen gegen US-Dollar ein. Dies zu verhindern, ist eine der vielen Herausforderungen, mit denen sich die neu berufene Präsidentin der staatlichen Zentralbank Wilson González konfrontiert sieht. Die erste Afrokubanerin auf diesem Ministerposten steht wie viele ihrer Kollegen vor einer Mammutaufgabe.
Michael Thoss