„Da war mal was…“: Die Mauer als Muse
Tagesspiegel-Zeichner Flix hat die erste Comicserie zum Thema deutsche Teilung und Wiedervereinigung geschaffen. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls gibt es die Zeitungsepisoden jetzt als Buch und Ausstellung
Neulich Abend im „Kookaburra“ in der Schönhauser Allee. Drei junge, erfolgreiche Cartoonzeichner zeigen eine Videoshow mit Witzbildern. Sie erzählen absurde Anekdoten und machen Scherze, die die Leute zum Lachen bringen. Doch plötzlich gefriert die ausgelassene Stimmung im Comedy-Club. Der Zeichner Felix Görmann, Künstlername Flix, hat eine Bildgeschichte auf die Leinwand geworfen, die er für eine Sonntagsausgabe des Tagesspiegels gezeichnet hat: Zwei junge Männer sind drauf zu sehen, die Szene spielt in den 1970er Jahren.
Die knuffig gezeichneten Figuren mit den eckigen Knautschnasen nähern sich der innerdeutschen Grenze von der Ostseite her. Auf einem Bild kriechen sie im Schutz der Dunkelheit unterm Stacheldraht hindurch, auf dem nächsten überqueren sie flink den Todesstreifen und erklimmen die Mauer. Da platzen Sprechblasen in die pink-graue Comic-Szene: „Halt! Stehnbleim!“ Hunde bellen, es fallen Schüsse, die einem der beiden den Oberkörper zerfetzen. Tödlich getroffen fällt er auf der Ostseite zu Boden, der andere lässt sich auf der Westseite der Mauer zu Boden fallen und stammelt fassungslos: „Scheiße, Scheiße, Scheiße.“
Das ist die Geschichte von Frank, wie Flix sie in seiner Comic-Serie „Da war mal was…“ aufgeschrieben und gezeichnet hat. Eine von inzwischen 34 Episoden, in denen der seit fünf Jahren in Berlin lebende, für seine Bücher vielfach mit renommierten Comicpreisen bedachte Autor Erinnerungen von Freunden, Bekannten und Zufallsbegegnungen an die deutsche Teilung und die Mauer mit den Mitteln der Bildgeschichte verarbeitet hat.
In seinem südhessischen Dorf schien die DDR so nah wie der Mond
Seit gut zweieinhalb Jahren präsentiert der heute 32-Jährige alle vier Wochen eine Episode im der Sonntagsausgabe des Tagesspiegels, jetzt sind 26 der von Flix gesammelten und verarbeiteten Erinnerungen im renommierten Carlsen-Verlag als Buch erschienen:
Passend zum 48. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August - und noch passender zum 20. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November.
An diesem Mittwoch, dem 5. August, stellt Flix sein Buch und eine daraus entstandene Plakatausstellung mit großformatigen Mauer-Geschichten an der Gedenkstätte Bernauer Straße im Rahmen einer öffentlichen Comiclesung vor, unterstützt von der Stiftung Berliner Mauer und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Mittwoch 20 Uhr, Eintritt frei, Bernauer Straße 111, 13355 Berlin).
Die Idee, aus der heraus sich der erste Comic zum Thema deutsche Teilung und Wiederverereinigung entwickelte, kam Flix einst eher zufällig, wie er beim Gespräch im Café „103“ an der Kastanienallee in Prenzlauer Berg erzählt. Hier um die Ecke wohnt er, das Café hat er auch in einer Eingangsszene des Buches verewigt. Als der Tagesspiegel ihn vor zweieinhalb Jahren fragte, ob er regelmäßig einen Comic für die Sonntagsbeilage zeichnen mag, erinnerte sich Felix an seine eigene Kindheit in einem südhessischen Dorf, in dem der andere deutsche Staat ihm ungefähr so nahe schien wie der Mond.
Flix zeichnete dann eine hübsche erste Episode in dem ihm eigenen halb ironischen, halb ernsthaften Ton. Sie handelt davon, wie er als Junge einst davon träumte, ob man wohl einen Spielzeugpanzer in die DDR schmuggeln könnte – unterhaltsam, pointiert und bei aller jugendlichen Leichtigkeit doch mit Sinn für die tiefergehende Bedeutung des Themas.
„Entschuldigen?“, sagte der einstige Stasi-Vernehmer. „Wofür?“
Nach dieser Episode kam etwas ins Rollen. Flix unterhielt sich in den nächsten Wochen öfter mit Freunden und Bekannten über das Thema deutsche Teilung und merkte, dass jeder seine eigene Geschichte zu erzählen hatte – und dass etliche dieser Geschichten der Generation der heute 20- bis 40-Jährigen, von denen viele die DDR von außen oder von innen nur als Kind erlebt hatten, bisher noch nie jemand aufgeschrieben hatte.
Wie die von Anja, die als kleines Mädchen in Leipzig einen Wellensittich hatte, dem sie das Sprechen beibringen wollte – und der fatalerweise dann für alle Nachbarn gut vernehmlich auf dem Balkon der Neubausiedlung die Begrüßungsworte der (West-)Tagesschau krächzte.
Oder die von Mario, die für Flix selbst eine der bewegendsten Erfahrungen ist, die er in den vergangenen Jahren erzählt bekommen hat: Der Ost-Berliner verliebte sich 1986 in Gottfried aus West-Berlin. Die beiden trafen sich immer öfter, was nicht unbeobachtet blieb. Irgendwann wurde Mario bedroht, er verlor seinen Job, wollte flüchten, wurde geschnappt und nach sechs grausamen Monaten im Gefängnis von der Bundesrepublik freigekauft. Im Westen angekommen, lässt sein einstiger Geliebter Gottfried ihn abblitzen. Vor kurzem traf Mario dann seinen Vernehmer aus dem Stasi-Gefängnis wieder. Ob der sich nicht entschuldigen wolle, fragte Mario den Mann. „Entschuldigen?“, antwortete der. „Wofür?“
Episoden wie diese wirken bei Flix wie eine bittere Medizin, die man auf einem Zuckerwürfel verabreicht bekommt. Sein von frankobelgischen Vorbildern geprägter, cartoonhafter und bis zum letzten Strich hochprofessioneller Stil wirkt leicht und gefällig. Die Geschichten aus der Zeit um und vor 1989 aber, die er stets mit einem einführenden Bild und einer Schlussbemerkung der jeweiligen Hauptfigur mit der Gegenwart verbindet, sind alles andere als leichte Kost. Sie handeln von deutsch-deutscher Fremdheit, vom Alltag als Junger Pionier oder den Phantasien von West-Kindern beim Stichwort „DDR“, sie erzählen von der Stasi, von Verwandtenbesuchen und Fluchtversuchen und oft einfach vom ganz normalen Alltag junger Menschen in Ost oder West - und von den Hoffnungen, Verwirrungen und gelegentlichen Enttäuschungen, die vor allem für gelernte DDR-Bürger mit der Wiedervereinigung einhergingen. Geschichten, die auch jüngeren Lesern ein Gefühl dafür vermitteln, was in Deutschland vor 1989 anders war.
Mario lernte er im einstigen Stasi-Gefängnis kennen
Flix erzählt aus denkbar unterschiedlichen Perspektiven – Ost, West, alt, jung, reflektiert, naiv, systemkritisch, systemtreu – wie Deutsche auf beiden Seiten der Mauer jene Jahre ganz individuell erlebt haben und wie sie heute auf die Zeit zurückschauen. Die meisten Personen, die zu Wort kommen, gibt es so wirklich, manchmal hat Flix auch mehrere Erinnerungen und Episoden aus unterschiedlichen Quellen in einer fiktiven Figur verdichtet. Meistens jedoch hat der Zeichner sich lange mit den Erzählern der jeweiligen Erinnerungen unterhalten und ihre ganz eigene Geschichte aufgearbeitet. Manchmal dauerte es drei Stunden, bis er eine passende Episode gefunden hatte, manchmal drei Wochen.
Er verdichtet das Gehörte zu einer knappen, in wenigen Bildern und Worten vermittelbaren Geschichte, zeichnet den Entwurf mit Bleistift und legt ihn dann dem jeweiligen Erzähler noch einmal vor.
Manche Menschen sind für Flix so fast zu Freunden geworden, wie der ehemalige Stasi-Häftling Mario, den Flix bei einer Führung durch das ehemalige Gefängnis Hohenschönhausen kennenlernte und mit dem er sich bis heute hin und wieder trifft.
Da der Zeichner sich bei seinen Geschichten auf die eigene, jüngere Generation konzentriert, deren Angehörige oft genauso viele Jahre im geteilten wie im vereinten Deutschland erlebt haben, erzählen die bunten Strips weit mehr als nur von „damals“. Sie geben ein Gefühl dafür, wie subtil und lang anhaltend jene längst vergangen wirkende Epoche bis heute im Alltag vieler Menschen nachwirkt, die ihre prägenden Jugenderfahrungen vor 1989 gesammelt haben.
Na so was: Auch seine Familie hat eine Geschichte zu erzählen
Und es ist auch eine Art nachholende Auseinandersetzung des Autors mit einem Thema, dessen Tragweite er sich einst selbst erst im Nachhinein bewusst wurde. Am 9. November 1989 war Flix 13 Jahre alt, die Maueröffnung hat er verschlafen. Erst nach und nach hat er mitbekommen, dass da im fernen Berlin irgend etwas Wichtiges passiert sein muss.
Heute wohnt er nur wenige Minuten vom einstigen Todesstreifen entfernt, auf dem sich jetzt die Berliner Mauergedenkstätte befindet. Erst durch die Beschäftigung mit dem Thema fiel Flix übrigens auch auf, dass seine eigene Familie mehr mit der DDR verband, als ihm als Kind bewusst war: Seine Mutter war einst im Alter von fünf Jahren mit den Eltern aus Ost- nach Westdeutschland geflüchtet. „Das ist erst durch das Buch wieder hochgekommen“, sagt Flix. Als hätte es noch eines weiteren Belegs für die dank Flix mit neuem Leben gefüllte Erkenntnis bedurft, dass auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch längst nicht alle Geschichten zum Thema erzählt sind.
"Da war mal was...": Ausstellung mit gezeichneten Erinnerungen an den Osten und den Westen Deutschlands - Eröffnung am Mittwoch, dem 5. August um 20 Uhr auf dem Gelände der Stiftung Berliner Mauer in der Bernauer Straße in Berlin. Das Buch ist bei Carlsen erschienen (104 Seiten, 14,90 Euro). Mehr unter www.dawarmalwas.de.
(In kürzerer Fassung erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 4. August 2009)
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