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Venus im Pelz. Alexander Ekmans Staats-Ballettstück „LIB“.
© Jubal Battisti

Nach dem Abschied von Sasha Waltz: Wie das Berliner Staatsballett aus der Krise tanzt

Erst warf Sasha Waltz das Handtuch. Und dann kam Corona: Die lange Rückkehr des Staatsballetts in die Normalität.

Es ist ein ungewohnter Anblick. Nur sieben Tänzer und Tänzerinnen stehen an der Stange und führen konzentriert ihre Exercises aus. In Corona-Zeiten sind sechs Meter Abstand vorgeschrieben. Einer desinfiziert noch schnell den Barren mit einem Tuch.

Am 13. Mai, nach zwei Monaten Hometraining, durften die Tänzer des Staatsballett Berlin erstmals wieder in die Ballettstudios in der Deutschen Oper zurückkehren.
In diesem Jahr kam es dick für das Staatsballett. Ende Januar warfen die beiden Intendanten Sasha Waltz und Johannes Öhman hin. Und dann kam Corona. Christiane Theobald, die stellvertretende Intendantin, wird in der nächsten Spielzeit das Staatsballett interimistisch leiten.

Um allen 91 Ensemblemitglieder ein tägliches Training anbieten zu können, wurde ein minutiöser Hygieneplan ausgearbeitet. Zwischen 10 und 18 Uhr findet in allen drei Studios zeitversetzt ein Training für kleine Klassen von 6 bis 9 Tänzern statt – mit Ballettmeister und Pianist.

„Es fühlt sich alles noch nicht normal an“, meint die Erste Solotänzerin Ksenia Ovsyanick, denn normalerweise würden sie sechs bis acht Stunden pro Tag mit Training und Proben verbringen. „Aber es ist schön, Raum zu haben und die anderen zu sehen.“

Tänzer haben eine kurze Laufbahn

Während des Lockdowns habe sie eine Achterbahnfahrt der Gefühle durchgemacht, erzählt sie. „Unsere Karriere ist sehr kurz. Es kommt auf jeden Tag, auf jede Vorstellung an. Je länger die Pause dauert, desto mehr hast du das Gefühl, etwas zu verlieren.“ Balletttänzer sind besonders betroffen von den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Sie wissen nicht, wann sie wieder auftreten dürfen und sind zudem besorgt um ihre körperliche Fitness.

„Ich musste lernen zu akzeptieren, dass ich meine Vor-Corona-Form nicht aufrecht erhalten kann, und dass es okay ist, etwas runterzuschalten“, sagt Ovsyanick. „Ich werde eben extra hart arbeiten, wenn es wieder losgeht.“

Johannes Öhman und Sasha Waltz, Tanzregisseurin bei der Pressekonferenz, auf der sie das Ende ihrer Zusammenarbeit am Staatsballett erklärten.
Johannes Öhman und Sasha Waltz, Tanzregisseurin bei der Pressekonferenz, auf der sie das Ende ihrer Zusammenarbeit am Staatsballett erklärten.
© imago images/Mauersberger

Für sie war es wichtig, weiterhin kreativ zu bleiben. Schon im März kam ihr die Idee zu dem Video „From Berlin With Love“ – aus der häuslichen Isolation senden 45 Tänzer Liebesgrüße aus Berlin.

Jeder greift die Bewegung des Vorgängers auf und spinnt sie weiter zu einer kollektiven Choreografie. So entsteht der Eindruck, dass alle miteinander verbunden sind trotz der Distanz. Schon mehr als 47 000 Mal wurde das Video bisher aufgerufen. Sogar die Kunstszene wurde aufmerksam auf Ovsyanick.

Ähnlich gelassen wie seine Kollegin begegnet auch der Erste Solotänzer Daniil Simkin der Pandemie.

Vor dem Lockdown hatte er noch Gastauftritte in China,den USA und Italien absolviert. Die Zwangspause kam ihm zunächst ganz gelegen, erzählt er; sein Körper könne sich nun etwas regenerieren.

„Ich habe versucht, meine Energie in eine andere Richtung zu lenken und meine kreativen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.“ Natürlich gab es eine gewisse Unruhe im Ensemble, erzählt er: „Aber wir schätzen uns privilegiert, dass wir während der Corona-Krise in Deutschland sind.“ Von Freunden in New York hat Simkin erfahren, wie dramatisch die Lage dort war.

Ruhig bleiben und durchatmen

Kurz nach dem Lockdown lieh sich Christiane Theobald einen Caddy aus und lieferte jedem Tänzer ein 1,50 mal 2 Meter großes Stück Tanzteppich nach Hause. Jeden Morgen hielt dann ein Ballettmeister ein digitales Zoom-Training ab, auch ein Cardio-Programm wurde angeboten. Das hat super geklappt", berichtet Theobald.

Sie hielt die ganz Zeit über die Stellung in der Deutschen Oper. „Für mich stellte sich die Frage: Wie kann ich so ein großes Ensemble, das sich normalerweise jeden Tag sieht und aus so vielen Nationalitäten besteht, zusammenhalten?“ Wichtig war ihr, dass die Tänzer nicht nur untereinander vernetzt sind, sondern dass auch der Austausch mit der Direktion funktioniert. Auch das Health Department, die Abteilung für Gesundheitsberatung, habe die Tänzer nach Kräften unterstützt.

Getreu dem Motto „Keep calm and breathe“ wurden auch Techniken vermittelt, um das mentale Gleichgewicht zu bewahren. Die Tänzer sind körperlich und mental in einer guten Verfassun. Das lässt sich am letzten Trainingstag vor den Ferien feststellen.Und glücklicherweise hat sich bisher keiner mit Covid-19 infiziert.

Von Krise könne keine Rede sein, versichert Christiane Theobald: „Ich habe mir schon früh gedacht: Wir sind doch flexibel. Wir können die Abstandregeln einhalten, wir sitzen nicht zusammen in einem Orchestergraben. Gut, wir können jetzt keinen ,Schwanensee' tanzen.“

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Als erstes hat sie das Projekt „LAB_WORKS COVID_19“ initiiert. Die Produktion, die am 3. September in der Komischen Oper uraufgeführt wird, versammelt Choreografien von neun Tänzern des Ensembles, die während der Zeit der Isolation entstanden sind. Außerdem hat sie eine Gala zusammengestellt, die den Titel „From Berlin with Love“ trägt.

In der Deutschen Oper und der Staatsoper werden im August jeweils verschiedene Programme gezeigt: Unter den Linden sind es Ausschnitte aus den großen Klassikern, ein Adagio aus „Schwanensee“ und der Tanz der beiden Solo-Wilis aus „Giselle“. Einen Pas de deux dürfen derzeit nur Paare tanzen, die zusammenleben.

Die Corona-Regeln befördern die Monogamie; Seitensprünge sind jetzt gar nicht erlaubt. Zwischendurch haben wir uns gedacht: Es wäre so schön, wenn jetzt mal ein bisschen Partnertausch möglich wäre“, sagt Theobald lachend. Im September können die Ensemble-Proben eventuell wieder beginnen.

Der schnelle Abschied der Sasha Waltz

Eigentlich wollte sich Sasha Waltz mit einem neuen Stück verabschieden. Doch einen Monat vor der geplanten Premiere musste sie die Proben zu „Symphonie 2020“ einstellen. „Mit einem langsamen Auseinandergehen und Stille dazwischen beendete ich meinen ersten und letzten Durchlauf am 13. März, um zum Schluss in einer kollektiven Umarmung im Kreis zusammenzukommen“, sagt sie am Telefon.

Sie hofft, dass sie die Choreografie im Mai 2021 aufführen kann und dass noch alle Tänzer dabei sein werden.

Die Planungen für die nächste Spielzeit wurden durch Corona über den Haufen geworfen. "Abwarten, hoffen, verschieben und dann schließlich Absagen kommunizieren. Künstlern, die mit jeder Absage in ihrer Existenz getroffen sind, ein Gefühl vermitteln, dass es irgendwann weitergeht" - so bringt sie die Arbeit der letzten drei Monate auf den Punkt.

Nicht nur Neuproduktion mussten entfallen, auch das Repertoire kann unter Corona-Bedingungen nicht aufgeführt werden. Das Staatsballett stehe jetzt vor einer riesigen Herausforderung: "Das Ballett ist ja ein Kollektiv und arbeitet mit Berührung“, sagt Waltz: „Große Gruppen sind zentral in allen Werken, ob klassisch oder zeitgenössisch. Wie radiert man das weg? Wie bleibt ein kollektiver Organismus noch funktionsfähig?“ Im Ensemble und Team gebe es aber eine große Zuversicht und eine zwingende Disziplin.

Sasha Waltz hat sich am vergangenen Freitag vom Ensemble als Intendantin verabschiedet: „Es war eine sehr schwierige Zeit. Ich habe viel gelernt. Jetzt kehre ich zu meiner Company Sasha Waltz & Guests zurück.“

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