Rassismus in Stein gemeißelt: Wie Bildhauer am deutschen Kolonialismus partizipierten
Das Kunsthaus Dahlem untersucht die Verflechtung von Kunst und kolonialem Denken. Die rassistischen Stereotypen von damals beweisen sich als langlebig.
Splitternackt hockt der junge Mann da. Trotz seiner in sich ruhenden Ausstrahlung wirkt er beweglich, fast sprungbereit. Gerhard Marcks hat die Bronzeskulptur 1956 nach einer Afrika-Reise modelliert: ein gespanntes Volumen, figurale Bildhauerkunst vom Feinsten. „Hockender N*“ steht auf dem Ausstellungsschildchen.
Dorothea Schöne vom Kunsthaus Dahlem erklärt den geschrumpften Titel. Das vom Künstler selbst arglos verwendete N-Wort für dunkelhäutige Menschen will sie nicht mehr verwenden. Es gilt, Denkgewohnheiten, alteingeschliffene Sichtweisen und Stereotype zu hinterfragen.
Die „Inspiration Afrika“, der die Ausstellung in plastischen Werken von zwölf Künstlern seit der Jahrhundertwende nachgeht, ist nicht ohne die koloniale Geschichte zu denken. Die beigesteuerten Hintergrundinformationen ermöglichen erst eine differenzierte Betrachtung der Arbeiten.
Gerhard Marcks, der das Gebiet der Herero auf Einladung der Südafrikanischen Kunstvereinigung bereiste, zeigte sich tief berührt von den Eindrücken: „Aber wie kann man das allzu Fremde sich zu eigen machen?“
Dass der Bildhauer nicht nur die Bildsprache der europäischen Moderne verinnerlicht, sondern auch die ikonische Nofretete im Hinterkopf hatte, zeigt seine „Hererofrau“, eine zarte, fast schwebende, königliche Erscheinung im bodenlangen Gewand.
Im Gleichschritt mit dem Nationalismus
Das Nackte und das Verhüllte, das weltentrückt Idealisierte oder im Gegenteil animalisch Naturhafte: Den Fallen stereotyper Wahrnehmungsmuster zu entgehen, fiel selbst Künstlern wie Marcks nicht leicht, die dem Kontinent Afrika ohne herablassende Überheblichkeit begegneten.
Auch ihr Blick war geprägt von jahrhundertelanger Kolonialrhetorik, von Weltausstellungen und Exotikimporten, die das Fremde ausgrenzten und zugleich vereinnahmten: als Verlockung und Bedrohung.
Man betritt den Ausstellungsraum quasi im Gleichschritt mit einem afrikanischen Soldaten der Kolonialtruppen. Wachsam hält der „Askari“ sein Gewehr mit Bajonett im Anschlag, naturalistisch in Bronze gegossen von den Wickelgamaschen bis zur Uniformmütze. Die um 1910 geschaffene Statuette erhielten deutsche Kolonialoffiziere als Auszeichnung.
Exotik und Erotik
Auch den Tierbildhauer Fritz Behn zog es nach Afrika. Voller nationalistischer Inbrunst verkündete er: „Die Deutschen sind geboren zum Kolonisieren.“ Ihn interessierte vor allem die exotische Tierwelt, deren Wildheit er in effektvoll komponierten Skulpturen auch erotisch ausschlachtete. Sein Panther packt das hüllenlose weibliche Opfer zielgenau am Busen, während die Raubtierzähne sich in die Hüfte graben.
Exotik und Erotik: ein bewährtes Rezept. Der nackte Männerkörper hingegen wird eher zum Gegenstand eines herabsetzenden, karikierenden Zugriffs. Behns „Tanzender Afrikaner“ macht sich mit seinen ungelenken Verrenkungen, übergroßen Füßen und grimassierend verzerrten Gesichtszügen ebenso zum Gespött wie Rudolf Maisons dunkelhäutiger „Eselsreiter“ von 1892/93 bei seinem verzweifelten Versuch, sich auf seinem bockigen Vierbeiner zu halten. So sieht keine Begegnung auf Augenhöhe aus, zwischen Künstler und Modell bleibt immer eine Hierarchie spürbar.
[Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig 12, „Inspiration Afrika“ bis Juni 2020, „Manga Bell“, bis 3.11.; Mi bis Mo 11–17 Uhr.]
Abstraktion bis zum Stereotyp
Als Kriegsfreiwilliger in Afrika 1914 schwer verwundet, ließ Walter von Ruckteschell im afrikanischen Lazarett eine einheimische Frau mit ihrem Säugling als Modell für seine wuchtige Holzskulptur „Rote Mutter“ posieren. Dass sie ausladenden Stammesschmuck trägt, ist dem stark stilisierten Werk nur noch im Vergleich zu einem Atelierfoto anzusehen. Abendländische Madonnentradition und indigene Schnitzkunst gehen eine eigentümliche Melange ein.
Später illustrierte Ruckteschell das kriegsverherrlichende Jugendbuch „Heia Safari! Deutschlands Kampf in Ostafrika“ des Schutztruppenkommandeurs Paul von Lettow-Vorbeck.
Die mit Käthe Kollwitz befreundete Bildhauerin Sophie Wolff begegnete Menschen afrikanischer Herkunft auf den Straßen von Paris.
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Den Kopf einer „Afrikanerin“ stilisierte sie zu einer maskenhaften Physiognomie, die bei aller avantgardistischen Formstrenge zugleich wie ein klischeehaftes Abziehbild rassistischer Stereotype wirkt: mit wulstigen Lippen und überbreiter Nase.
Dieselben Chiffren des Fremden begegnen einem bei Hans Wimmers „La belle Africaine“ oder Gustav Seitz ins zeitlos Schöne transzendiert. Mit solchen Positionen aus den 1960er Jahren endet der Parcours: als erstaunlich haltbar erweisen sich die Darstellungs- und Wahrnehmungsmuster.
Inspiration aus dem Naturkundemuseum
Als Korrektiv zu den historischen Bildhauerpositionen schaltet sich oben auf der Galerie Tina Borns aktuelle Installation „Manga Bell“ ein. Die Künstlerin stieß im Berliner Naturkundemuseum auf eine Sammlung von Elefantenschädeln, die vor über 100 Jahren hierher verschifft wurde. Einer trägt die Beschriftung „Manga Bell“, den Namen eines Duala-Königs, der 1914 von der deutschen Kolonialverwaltung hingerichtet wurde.
Das koloniale Strandgut naturkundlichen Sammeleifers kombiniert Tina Born mit Dokumentarfotos, historischem Kartenmaterial und einem riesigen monströsen Bastflechtobjekt im „afrikanischen“ Stil: Denkanstöße für einen differenzierten Blick auf das koloniale Beziehungsgeflecht und dessen Spuren in unseren Museen.