Neues Kunstwerk auf der Humboldt-Forum-Baustelle: Leerstelle für die deutsche Kolonialgeschichte
Die Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum, die 2020 eröffnen soll, bezieht Stellung in der Kolonialismusdebatte. Nicht alle Akteure sind damit einverstanden.
Seit Jahren wird kontrovers über den Umgang mit Berlins kolonialer Geschichte im neu errichteten Berliner Schloss, dem Humboldt-Forum, diskutiert. Jetzt befindet sich ein erster künstlerischer Beitrag zum Thema Kolonialismus an dem Ort, an dem sich die Debatte entzündet hatte: die Skulptur „SORRYFORNOTHING“ des deutsch-ghanaischen Konzeptkünstlers Philip Kojo Metz.
Sie soll Teil der Berlin-Ausstellung in der ersten Etage des Humboldt-Forums werden, die 4000 der insgesamt 41.000 Quadratmeter Nutzfläche belegen wird. In der ersten Etage des Schlosses erzählt sie die Geschichte von Berlin und die der Rolle Berlins in der Welt. Am Donnerstagabend wurde das Kunstwerk im Humboldt-Forum erstmals der Öffentlichkeit präsentiert
Vor rund sechs Jahren hatte die Initiative „No Humboldt 21!“ den sofortigen Baustopp des Stadtschlosses gefordert, in das das Humboldt-Forum einziehen wird. Die Diskussion entzündete sich anhand der Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, die zu den Staatlichen Museen zu Berlin gehören und damit Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind. Die Kritik: Viele der Exponate, die künftig im Schloss gezeigt werden sollen, seien kein „Preußischer Kulturbesitz“, sondern Beutekunst, die im Zeitalter des Kolonialismus gewaltsam ihren ehemaligen Eigentümern abgepresst worden seien.
Seitdem wird das Riesenprojekt von Diskussionen um die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit (oder um die Weigerung, genau das zu tun) sowie um die Restitution von Raubgut begleitet. Zuletzt standen Bronzen aus Benin im Fokus. Und auch das aktuelle Kunstwerk provoziert Kritik.
Das Kunstwerk ist eine großer, leerer Raum
In den Räumen des Humboldt-Forums wolle der Konzeptkünstler jetzt den kolonialen Elefanten zum Thema machen, der im Raum steht, wenn es um das Humboldt-Forum geht, sagte er am Donnerstag. „Die Skulptur räumt dem Thema Platz ein und macht auf die Unsichtbarkeit des Themas in der deutschen Erinnerungsgeschichte aufmerksam“, sagt Metz.
Das Kunstwerk ist ein leerer umzäunter Bereich, etwa zwei mal drei Meter groß. Die Größe, die er für die Leerstelle gewählt hat, ist die Fläche, die ihm die Kuratoren als Maximalgröße genannt hatten. An der Wand hinter dieser unsichtbaren Skulptur sollen vier Fotos angebracht werden, die die Entstehung dokumentieren. Nach der Tür des einstigen Nachtclubs „Tresor“ ist „SORRYFORNOTHING“ das zweite Objekt, das in Form einer Preview in die Berlin-Ausstellung gebracht wird, und das sechzehnte Objekt im Humboldt-Forum, das ab September 2020 schrittweise eröffnet werden soll.
Metz wuchs in Sasbachwalden im Schwarzwald auf, sein Vater ist Ghanaer, seine Mutter Deutsche. Der deutsche Kolonialismus ist eines der Hauptthemen seines Schaffens. Er war vom kuratorischen Team der Berlin Ausstellung eingeladen worden, ein Werk beizutragen. Dass es ein leerer umzäunter Bereich werden sollte, stand nicht von Anfang an fest: „Die Kuratoren dachten am Anfang, das wäre ein Witz. Und ich dachte das auch,“ sagte er. Das Kunstwerk, das jetzt eine etwa zwei mal drei Meter große Fläche in der Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum einnimmt, markiert die Leerstelle im öffentlichen Gedenken an die Kolonialkriege und seine Opfer.
„Legitimierung des (post)kolonialen Prestigeprojekts“
Nicht alle sind damit einverstanden, dass die Auseinandersetzung mit Kolonialismus auf diese Weise im Stadtschloss selbst präsent ist. Berlin Postkolonial, der Verein, der die Initiative „No Humboldt 21“ mit ins Leben gerufen hatte, sagte dem Tagesspiegel im Vorfeld zu der Veranstaltung: „Das nach wie vor bestehende Hauptproblem des Humboldt-Forums ist die Zurschaustellung von kolonialem Raubgut im rekonstruierten Palast der preußischen Sklavenhändler und Kolonialherrscher. Solange die Stiftung Preußischer Kulturbesitz an diesem Vorhaben festhält, stehen wir selbst kolonialismuskritischen Ausstellungen und Kunstprojekten im Humboldt-Forum äußerst skeptisch gegenüber.“ Gewollt oder nicht würden auch Kunstprojekte wie das von Metz „zur Legitimierung dieses (post)kolonialen Prestigeprojekts beitragen“, sagt Mnyaka Sururu Mboro, der tansanische Sprecher von Berlin Postkolonial. „Wir bedauern, dass Philip Kojo Metz eine andere Entscheidung getroffen hat.“
Metz sagt dem Tagesspiegel, er findet die Position von Berlin Postkolonial gut, sei aber anderer Meinung. Er verstehe beide Positionen als notwendige Beiträge zu der wichtigen Diskussion. Für ihn sei sein Kunstwerk eine Gelegenheit, einen Kontrapunkt zu setzen und daran mitzuwirken, die deutsche Kolonialgeschichte in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Zudem appelliert er, den Ort nicht aufzugeben: „Es wäre schlimm, wenn alle aus einem bestimmten Kontext diesen kontroversen Ort meiden würde. Dann würde er umso mächtiger.“
Wem gehört die Kultur?
Unter der vom Bund gegründeten gemeinnützigen „Stiftung Humboldt-Forum im Berliner Schloss“ sind fünf Akteure tätig: Die Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Bund), die Humboldt-Universität zu Berlin und Kulturprojekte Berlin sowie die Stiftung Stadtmuseum Berlin – vom Land getragen –, die die Berlin Ausstellung umsetzen. Ob und wie es sich niederschlagen wird, dass verschiedene Akteure am Werk sind, wird sich erst bei der Eröffnung des Forums zeigen. In der Berlin-Ausstellung wird das Thema Kolonialismus jetzt jedenfalls erstmals prominent platziert: in einer ihrer zwei Objektenthüllungen.
Nicht nur innerhalb der Berlin-Ausstellung, sondern auch um die Ausstellungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz herum wurde inzwischen begonnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Vor einem Monat fand eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „To Whom Does Culture Belong?“ statt, seit Anfang 2018 werden die Provenienzen einiger Objekte in einem Kooperationsprojekt mit Namibia erforscht. Kolonialismus soll auch in den ethnologischen Ausstellungen thematisiert werden. Ob dem Humboldt-Forum eine Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte gelingt, die den Ansprüchen der Kritiker genügt, und welchen Beitrag Metz' Kunstwerk dazu leistet, wird sich erst nach der für September 2020 geplanten Eröffnung zeigen. Noch ist das Stadtschloss vor allem eine große Baustelle, auch Metz' Installation wird erst nach Eröffnung wieder zu sehen sein.
Erstmals Nicht-Weiße als offizielle Mitgestalter
Was jedoch gelungen ist: Am Donnerstagabend traten erstmals Nicht-Weiße als offizielle Mitgestalter des Forums auf den Plan. Passenderweise ging es auch in der Eröffnungszeremonie um Kolonialismus. Während Männer in Overalls sich an der großformatigen leeren Holzkiste zu schaffen machten, war eine Soundcollage aus Pressereaktionen zur Debatte um das koloniale Erbe des Humboldt-Forums zu hören. Nach und nach traten die Stimmen in den Hintergrund, in den Vordergrund traten die der Sängerin und Schauspielern Lara-Sophie Milagro und die der Komponistin Miriel Cutiño Torres. Dann wurde es plötzlich – bis auf die Verschlussgeräusche von ein paar Kameras – still: Das Kunstwerk war jetzt enthüllt. Erst etwa 15 Sekunden später begann das Publikum zu klatschen und vereinzelt zu lachen.
Nach der Enthüllung wurde die Skulptur eingeweiht. Gemeinsam mit Metz traten zwei Würdenträger des westafrikanischen Akan-Völker auf die Bühne. Nana Atta Ansu, Sprecher aller Königssprecher der Akan in Berlin, und Nana Owusu Fordjour, Stellvertreter des Königs der Akan in Berlin. In Twi, einer der Amtssprachen von Ghana, segnen sie das Kunstwerk von Metz. Dafür rufen sie Ahnen auf. Eine davon ist May Ayim – sie war eine der wichtigsten Vertreterinnen der afrodeutschen Bewegung in Deutschland. Metz hatte sich gewünscht, dass sie genannt wird.
Nina Breher