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Die Ausstellung "The Black Image Corporation" im Martin-Gropius-Bau.
© dpa

Identität und Kultur: Wider die Eindeutigkeit

Wenn Weiße schwarze Kunst zeigen: Kunstfreiheit bedeutet auch, sich nicht von Identitäten einengen zu lassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Bernhard Schulz

Schöne Frauen zeigen schöne Kleider, Rock-Stars und Sporthelden zieren Titelseiten von Zeitschriften. Zu sehen sind die Modefotos und Zeitschriftenstapel in einer Ausstellung im Berliner Gropius-Bau. So weit, so harmlos.

Nun handelt es sich aber um Fotos schwarzer Frauen, die Zeitschriften heißen „Ebony“ und „Jet“ und wurden von Schwarzen für Schwarze produziert. Da könnte das Ganze schon nicht mehr harmlos sein. Der Künstler aber, der die Ausstellung arrangiert hat, ist selbst ein Schwarzer. Und die Fotosammlung zeugt vom Selbstbewusstsein der Macher und Modelle, genau das soll auch demonstriert werden. Nur weil Theaster Gates, ein derzeit weltweit gefragter Künstler, selbst schwarz ist, kann ein Vorwurf an ihm abprallen, der jüngst immer öfter erhoben wird: dass sich da jemand eines Gegenstandes und einer Ikonografie bemächtigt, die nicht die seinen sind.

Was wäre, wenn ein weißer Künstler die Bilder entdeckt und ausgestellt hätte, wie Gates es tut? Was wäre, wenn die Fotos nicht Selbstbewusstsein feierten, sondern Schmerz und Leid zeigten, Benachteiligung und Unterdrückung? Wer dürfte derlei zeigen, und mit welchem Ziel?

Kunst muss Spannungen aushalten

Diese Fragen sind nicht länger hypothetisch: In den USA wurde eine weiße Künstlerin aufs Heftigste kritisiert, die das Foto eines ermordeten schwarzen Jugendlichen als Vorlage für ein Gemälde verwendet hatte. Ihr wurde der Vorwurf gemacht, sie beute das Leid der Schwarzen aus. Kein Weißer könne das Leid darstellen, das er selbst nie habe erfahren müssen.

Die amerikanische Debatte, bisweilen schrill geführt, wird in Deutschland zwar kaum geführt. Dabei reichen die aufgeworfenen Fragen über die Aneignung schwarzer Geschichte durch Weiße weit hinaus. Künstlerische Aneignung, gar Ausbeutung, lassen sich entlang jeder beliebigen Grenze ausmachen, die Menschen in getrennte Gruppen sortieren, ob ethnische, sexuelle, religiöse. Oder, als Klassengesellschaften noch sichtbarer waren als heute, auch sozioökonomische.

Dürfen weiße Schauspieler schwarze Charaktere spielen? Etwa Shakespeares Othello? Darf ein Nicht-Jude den ergreifenden Monolog Shylocks vortragen? Eine nicht-asiatische Sängerin die Arien der Turandot?

Es ist egal, wer die Geschichten erzählt

Die Kunst, wie immer Seismograf für gesellschaftliche Verwerfungen, muss Spannungen aushalten und aushandeln, die die Gesellschaft als Ganzes betreffen. Der faire Umgang miteinander wird zum Problem in Zeiten der Globalisierung. Immer mehr wird auf Eindeutigkeit und Unterscheidbarkeit gesetzt. Die Menschen sind auf Eigenes aus, auf Identität als unveräußerlichen und unteilbaren Besitz. Genau das wird in der Kunst symbolisch verhandelt.

Die Freiheit der Kunst ist eine noch junge Errungenschaft. Sie mag im Westen entstanden sein, aber sie beansprucht universelle Geltung. Kunst kann selbstverständlich kritisiert und abgelehnt werden. Aber dafür muss sie zunächst einmal geschaffen werden können, von wem auch immer, mit gleich welchem Thema.

Die Fotos und Zeitschriften im Gropius-Bau, so positiv sie wirken, verbergen auch andere, weniger positive Geschichten. Auch sie müssen erzählt werden dürfen, und zwar egal von wem. Nicht jeder Einzelne muss das aushalten, wohl aber die Gesellschaft als Ganzes. Je offener sie sein will, desto weniger verträgt sie Ausgrenzung und Selbstabschottung in kastenartigen Gruppen. Das, auch das, ist der Preis der Freiheit.

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