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"Gott ist Liebe": Maximilian Lenz alias DJ Westbam
© Imago

Techno-DJ präsentiert Autobiografie: Westbam: Rave zum 50. Geburtstag

Westbam ist gerade 50 geworden und erzählt in „Die Macht der Nacht“ von seiner DJ-Karriere. Eine Begegnung am Kollwitzplatz, bevor er am 14. März zum Geburtstagsrave einlädt.

Es ist Dienstagabend, halb sechs. Am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg sind gerade viele Eltern mit ihren Kindern zugange, auf dem Spielplatz, in den Cafés, unterwegs nach Hause. Ein Wochentag wie jeder andere in dieser Gegend – allerdings nicht für Westbam, der eigentlich Maximilian Lenz heißt und hier am Kollwitzplatz wohnt. Einen Tag zuvor ist William Röttger gestorben, sein Freund, Ziehvater, Manager, Karrierebegünstiger und -begleiter. Einen Tag später wird der Techno-DJ seinen 50. Geburtstag feiern. Zudem erscheint dieser Tage seine Autobiografie „Die Macht der Nacht“, und einer wie Westbam ist eben nicht nur an den Plattentellern ein Kämpfer, sondern auch als Vermarkter. Als er das Café Kolberg betritt, stöhnt er zwar ein wenig, es ist bereits sein dritter Termin an diesem Tag. Aber angesprochen auf Röttgers Tod und ob er deshalb die Werbeaktivitäten nicht unterbrechen wolle, sagt er gleich, dass er vorbereitet gewesen sei und schon länger damit gerechnet habe. Außerdem verstehe er das Reden über das Buch auch als eine Art Trauerarbeit: Röttger ist darin eine der Hauptfiguren, „über ihn bin ich zum Punk und zum New Wave gekommen, Fad Gadget, Throbbing Gristle, Liaisons Dangereuses, das kannte ich alles von Will, er hat mir meinen ersten Synthie geschenkt, bei ihm war ich die erste Zeit in Berlin, er gehört zu der Geschichte, die ich hier erzähle.“

Und praktisch ohne Übergang, ohne zielführende Eingangsfragen zu benötigen ist er schon drin in seinem Buch und Leben. Besonders dem als Musiker, als einer der ersten DJ- und Technosuperstars, der sein Initiationserlebnis in den frühen achtziger Jahren im Berliner Metropol hat und hier nach Anfängen in Münster und seinem endgültigen Umzug nach Berlin 1984 den ersten DJ-Job bekommt und mit House-Produktionen wie „Disco Deutschland“ und „Monkey Say, Monkey Do“ auf sich aufmerksam macht.

„Ich wollte immer die Musikgeschichte eines Lebens schreiben“

Es ist dann gar nicht so leicht, den stämmigen Mann zu bremsen, wie er einem da mit Käppi, Dreißig-Tage-Bart und T-Shirt gegenübersitzt, vom Gesprächsduktus an Herbert Grönemeyer erinnernd, vom Gestischen an Rainald Goetz. „Ich wollte immer die Musikgeschichte eines Lebens schreiben“, sagt er, „von Kind an, wie man sich da als Kind so reintastet in die musikalische Welt und sich dann emanzipiert. Und das alles im Sinne der Wahrhaftigkeit, das soll authentisch sein!“

Tatsächlich hat er bereits zu Rave-Zeiten Anekdoten aus dem Nachtleben geschrieben. Oder besser: diktiert und schreiben lassen. Von Jürgen Laarmann nämlich, auch so eine Neunziger-Techno- Rave-und-Berlin-Mitte-Figur: „Frontpage“-Chef, Mayday-Gesellschafter und „Raving-Society“-Erfinder, „der saß immer bei mir im Büro herum, der hatte quasi eine Vollzeitstelle. So viel zu tun gab es aber auch nicht, und JL konnte halt schnell tippen.“

Vor zwei Jahren schließlich, als Westbam in Interviews zu seinem Album „Götterstraße“ Prosa-Ambitionen durchblicken ließ, sprach ihn eine Freundin seiner Schwester an, die als Lektorin bei Ullstein arbeitet. Sie machte „ein amtliches Angebot“, wie er das nennt. „Ich hatte das Gefühl, als Autor ernst genommen zu werden, als jemand, der eine Geschichte zu erzählen hat.“

Westbam hat seine Autobiografie selbst geschrieben: „Texte schreiben ist etwas Beglückendes“. Und das Buch liest sich wirklich anständig. Trotz vieler Pop-Zitate und Anglizismen sowie eines lexikalischen Musikwissens im Bereich der Hip-Hop-, Techno- und Dance-Sounds ist „Die Macht der Nacht“ nicht nur ein Buch für Auskenner und Rave-Melancholiker. Westbam erzählt von seiner Kindheit, vom Punk-Erwachen in Münster, den Anfängen in Berlin, vom Dschungel, Ex ’n’Pop und dem Chez Konrad, von der Gründung des Low-Spirit-Labels, der ersten Love Parade, des ersten Maydays.

Dabei geht er streng chronologisch vor, und seine Nacht-, DJ- und Drogengeschichten sind auch nicht übermäßig dicht oder ausgeschmückt. Die Nähe zu den Ereignissen, zu seinem (Musiker)-Leben, macht dieses Buch aus, nicht die Qualität oder Außergewöhnlichkeit der Anekdoten, dazu die Konzentration auf die großen Techno- und Rave-Jahre, deren Ende hier effektvoll mit 9/11 gleichgesetzt wird. Dieser Verweis aber bleibt die Ausnahme: Westbam verzichtet sonst darauf, Zeit und Gesellschaft, Popkultur und Techno auch nur ansatzweise kurzzuschließen.

Sven Väth ist "the Charismatiker, the Programmatiker and the Rampensau"

Das ist ein wenig schade. Denn im Gespräch erweist sich Westbam tatsächlich als der „organische Intellektuelle“, wie ihn ein Kollege einmal bezeichnet hat. Man kann sich mit ihm auch hier im Kolberg genauso gut über seine damals zu einem Buch führende Zusammenarbeit mit Rainald Goetz unterhalten („literarisch ist das ein künstlerisches Werk von Rainald“) wie über den Ukraine-Krieg. Oder über Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner, der für ihn etwas „mephistoartiges“ hat, „so wie Klaus Mann damals den Gründgens porträtiert hat.“

Was ebenfalls auffällt: Westbam ist sich seiner Größe, seiner Verdienste sehr bewusst – und auch der Anfeindungen, denen er ausgesetzt war. „Von den Grassroots bis zu Platz 1 der Popcharts, davon kann kaum jemand erzählen“. Oder: „Wir haben Geschichte geschrieben – und plötzlich hat man alle gegen sich, wollen alle, dass du ins Bodenlose fällst“. Solche Ambivalenzen in seiner Karriere deutet er auch dezent in seiner Autobiografie an, Abrechnungs- oder Rechtfertigungscharakter aber hat sie nicht. Ihm genügen da wenige Sätze, wie etwa über seinen Underground-Widerpart Wolle Neugebauer: „Mayday fand er aber zu groß und zu kommerziell. Wir hätten alles kaputtgemacht. Er stellte seine Tekknozid-Serie sofort ein und ärgert sich noch heute. No tears für Wolle Neugebauer“.

Für einen Gegen- und Mitspieler aus seiner Liga wiederum hat er viel Respekt: „Hard Trance war überhaupt noch kein Begriff. Aber dieser Set hatte etwas von einem Manifest. Sven Väth definierte den Stil der nahen Zukunft. Sven Väth – the Charismatiker, the Programmatiker and the Rampensau.“ Auch bei Tim Renner hält er sich zurück. Renner nahm ihn und Low Spirit erst begeistert unter die Fittiche von Motor und Polydor (und verdiente damit eine Menge Geld), scheint sich später aber bei Verhandlungen für einen weiteren Deal von einer wenig vornehmen Seite gezeigt zu haben. Mit der Folge, dass Röttger, Westbam und Co zu einem anderen großen Label wechselten, wo der Überhit „Sonic Empire“ erschien. Westbam kommentiert das im Buch mit den Worten: „Iss dein Herz auf, Renner! (...) Und ihr Hater: Fickt euch alle, ihr Arschlöcher!“, erklärt aber nun, dass das nur der Groll von damals sei: „Ich habe richtig gelacht beim Schreiben dieser Zeilen. Das ist ein Zitat von damals!“.

Er freut sich auch jetzt wieder, verweist auf seine Erschöpfung und macht noch einen Witz: „Der Punkrock-Millionär muss jetzt mal die Rechnung klarmachen!“ Draußen jedoch erinnert er sich abermals an Röttger und wie dieser die Neubauten 1981 nach Münster holte, „zu Freunden, die Rechtsanwälte waren und in einem Neubau wohnten. Ein Wahnsinn!“ Dann schüttelt er einem die Hand und verschwindet im spätabendlichen, bürgerlichen Kollwitzplatz-Treiben. Es muss schließlich immer weitergehen.

Westbam: Die Macht der Nacht. Ullstein Verlag, Berlin 2015. 320 S., 18 €. , MaxRave,
14. März Columbiahalle mit Takkyu Ishino, Moguai, Moonbootica, Hardy Hard, Woody. Westbams DJ Dick gibt ein Comeback, dazu live Mr. X and Mr. Y und Gabi Delgado.

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