Westbam: „Berlin verdankt den Schwaben viel“
Techno-Veteran Westbam hat gerade sein neues Album „Götterstraße“ herausgebracht. Ein Gespräch über Geld, Konkurrenz und Prenzlauer Berg.
Herr Westbam, im Video zu Ihrer Single „You Need The Drugs“ erinnern Sie an das alte West-Berlin. Haben Sie sich mit David Bowie abgesprochen?
Genau, wir sind beide im selben Freimaurerorden und haben das im Hinterzimmer ausgeküngelt. Nein, das ist einfach eine Koinzidenz. Ich denke aber, das Bowie-Stück „Where Are We Now?“ hätte auch wunderbar auf mein Album gepasst. Zumindest vom Text her. Bowie blickt zurück auf seine Zeit in Berlin, genau wie ich, weil für mich die frühen Jahre hier sehr prägend waren: die Genialen Dilletanten, Läden wie das Risiko, Ex’n’Pop, Café M und die ganze Gay-Underground-Dance-Szene.
Wollten Sie vielleicht auch zeigen, wie es in Berlin aussah, bevor es von den Schwaben gentrifiziert wurde?
An dem Schwaben-Bashing werde ich mich nicht beteiligen. Das sind doch fleißige und gut organisierte Leute, die im Länderfinanzausgleich immer nur gegeben haben und denen auch Berlin viel zu verdanken hat. Und Berlin ist doch immer noch sehr Bon-vivant-mäßig. Ich komme ja viel herum und muss sagen: Was die Mieten angeht, ist das in Berlin Klagen auf relativ niedrigem Niveau. Wenn man sieht, dass in London irgendwelche Anwälte im Tag-und- Nacht-Wechsel zu exorbitanten Mieten in einem kakerlakenverseuchten Zimmer wohnen, da muss man sagen, dass es hier immer noch relativ günstig ist.
Wo wohnen Sie selbst denn?
Bei den Schwaben im Prenzlauer Berg.
Schieben Sie dort auch den Kinderwagen durch die Gegend?
Meine Kinder sind jetzt gerade so alt, dass ich sie nicht mehr mit dem Kinderwagen herumfahren muss. Aber man wird dort einfach angenehm in Ruhe gelassen. Wenn Angelina Jolie ihren Kinderwagen über den Helmholtzplatz schieben kann, ohne dass sie jemand anquatscht, dann kann man sich vorstellen, dass auch mir nicht hinterhergeschrieen wird.
Man nimmt Sie ohnehin nicht mehr so richtig wahr in der Stadt. Sie legen kaum noch hier auf, gehören zu keiner Szene. Sie wirken wie ein Guru, der über den Dingen schwebt.
Ich fand es immer toll, im Club herumzustehen, habe mich aber schon früher nie als Teil von irgendwas gesehen. Ich bin wahrscheinlich nur DJ geworden, damit ich im Club etwas zu tun habe, damit ich da nicht so dumm herumstehen muss mit den Händen in der Tasche. Ich habe einfach nicht das Gefühl, zu einer Gruppe gehören zu müssen.
Bekommen Sie denn noch etwas mit von der Szene in Berlin? Was halten Sie beispielsweise von Paul Kalkbrenner, in gewisser Weise Ihrem Nachfolger in Sachen Ruhm und Erfolg?
Ich kenne Paul Kalkbrenner schon länger und habe ihn früher immer gelobt. Aber damals war es auch noch spannender, ihn zu loben. Jetzt tut das ja die ganze Welt.
Techno-Stars wie Paul Kalkbrenner sind keine DJs mehr, sondern eher Live-Musiker. Sie haben die klassische Kunst des Auflegens, das Überblenden zweier Platten, einmal als „Record Art“ bezeichnet. Stirbt die nicht langsam aus?
Na ja, der Kalki ist auch nicht der Erste, der das so macht. Aber ich verstehe schon den Hintergedanken Ihrer Frage: Der alte Mann soll gesagt bekommen, wie er überwunden wurde. Aber ich würde das, was ich in den Achtzigern begonnen habe, schon etwas weiter fassen und sehe Kalkbrenner durchaus in dieser Tradition. Natürlich ist „Record Art“ das Zusammensetzen von Musik, von Stücken anderer Leute, aber es ist einfach auch das Zusammensetzen verschiedener Sequenzen. Somit sehe ich derartige Live-Sets eher als Weiterentwicklung und nicht als Entmachtung.
Der Techno hat sich also in Ihrem Sinne entwickelt.
Die Musik von heute entspricht absolut den Standards und Ideen, die wir damals zu entwickeln begonnen hatten. Das hat zu meiner Überraschung aber nicht dazu geführt, dass alles besser geworden ist. Damals fand ich 99 Prozent der Musik Mist. Das hat sich heute leider nicht geändert.
Sie sind jetzt 48. Am Freitag auflegen in Istanbul und am nächsten Abend in Moskau, ist das immer noch so?
Das Herumfliegen ermüdet über die Jahrzehnte. Ich sage nicht: Ich spiele nicht mehr in Istanbul oder in Moskau, aber ich spiele bestimmt nicht mehr an einem Wochenende in beiden Städten. Mich langweilt das Reisen. Ich spiele lieber an Orten, die ich verkehrstechnisch einfach erreichen kann. Ich muss nicht wie die Rolling Stones wie ein riesiges Museum durch die Lande ziehen. Seit ich 14 bin, habe ich um die 3000 bis 4000 Partys hinter mich gebracht. Da ist es Zeit, auch mal anderen die Chance zu geben, an den Rekordhalter heranzukommen.
Sie als Veteran der Berliner Techno-Szene sind immer noch weltweit gefragt, andere Helden von früher kriegen heute kaum noch ein Booking – ist das nicht ungerecht?
Also ungerecht ist in dem Gewerbe gar nichts. Wenn einer in einem Stadion auflegt und dafür 200 000 bis 300 000 Euro kriegt, ist das in höchstem Maße gerecht. Wer gar keine Bookings mehr bekommt, weil sich niemand mehr für ihn interessiert, sollte dafür nicht die ungerechte Welt verantwortlich machen, sondern sich fragen, was er falsch gemacht hat.
Apropos Geld: Wie leistet man sich denn Gastsänger wie Kanye West, Lil Wayne oder Bernard Sumner, die auf Ihrem neuen Album zu hören sind?
Wir haben nicht mit Geld um uns geschmissen. Es gibt durchaus noch Leute, die Sachen machen, weil sie sie gut finden. Wir haben sie nicht mit Geld, sondern mit der Musik gelockt. Ich war selbst überrascht, wie idealistisch die teilweise sind.
Bei dem Song „You Need The Drugs“ ist nicht ganz klar, ob er für oder gegen Drogen ist. Jetzt mal ehrlich: Was stimmt?
Weder noch. Es ist einfach ein Lied über eine Drogenszene. Ich habe schon immer versucht, Musik nicht für, sondern über den Club, über das Nachtleben zu machen. Dazu gehören eben auch Drogen. Dabei sehe ich mich selbst gar nicht als Nachtmensch. Von meiner Natur her stehe ich gerne früh auf und gehe früh ins Bett.
Westbam: „Götterstraße“ ist bei Universal erschienen. Das Gespräch führte Andreas Hartmann.
Andreas Hartmann
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