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Berlinale-Direktor Dieter Kosslick und Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU).
© picture alliance / Jörg Carstens

Zukunft der Berlinale: Wer folgt auf Dieter Kosslick?

Die Berlinale braucht bald eine neue Leitung. Wer wird Dieter Kosslicks Nachfolger? Und wer entscheidet darüber? Fragen und Antworten zum Thema.

Im Mai 2019 läuft der Vertrag von Berlinale-Chef Dieter Kosslick aus, nach dann 18 Jahren. Dessen Wirken ruft immer wieder Kritiker auf den Plan. Der Aufsichtsrat sprach Kosslick am Dienstag hingegen sein Vertrauen aus und distanzierte sich „von den kampagnenhaften Zügen der medialen Begleitung der Debatte“. Es geht jetzt vor allem um die Ausrichtung des neben Cannes und Venedig wichtigsten Filmfests. Kulturstaatsministerin Monika Grütters will eine Findungskommission für die künftige Berlinale-Leitung einsetzen.

Ist das der richtige Schritt?

Beobachter reiben sich ein wenig die Augen. Klar, der Schritt ist richtig – und in den Regularien vorgesehen. Grütters folgt also nicht nur dem Aufruf der Filmschaffenden, ein solches Gremium zu installieren. Es wird teils aus dem zwölfköpfigen Aufsichtsrat des KBB zusammengesetzt. Die GmbH ist für die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin zuständig, die Berliner Festspiele, das Haus der Kulturen der Welt (HKW), den Martin-Gropius-Bau und eben die Berlinale. Der zu je einem Drittel aus Grütters’ Behörde, der Landespolitik und der Kunst- und Kulturwelt besetzte Aufsichtsrat ist selbstredend kein Filmexpertengremium. Deshalb wird die Findungskommission durch externe Sachverständige ergänzt.

Allerdings staunt man darüber, dass Grütters all das nicht bereits Anfang des Jahres in die Wege geleitet hat. Die Zeit drängt. Hoffentlich sorgt die sich hinziehende Regierungsbildung nicht für zusätzliche Verzögerungen. Die Zeit drängt, der Schritt hätte längst erfolgen müssen. Hoffentlich sorgt die sich hinziehende Regierungsbildung nicht auch hier für Verzögerungen.

Wie ist das zeitliche Szenario?

Es kommt Bewegung in die Sache: Gewöhnlich tagt der Aufsichtsrat zweimal im Jahr, nun will er bereits wieder im Januar zu einer Sondersitzung zusammentreffen, um zu erfahren, welche Experten die Findungskommission gewinnen konnte, und um weitere Weichen zu stellen. Hochkarätige Kandidatinnen und Kandidaten, die für Dieter Kosslicks Nachfolge geeignet wären, sind rar, deshalb ist die Zeit knapp.

Zudem ist bei dem riesigen, hochkomplexen, empfindlichen Gebilde des weltgrößten Publikumsfestivals mit einem Arthouse-Wettbewerb im Zentrum ein einvernehmlicher Wechsel geboten. Schade, dass Kosslick bei der Berlinale 2018 nicht Hand in Hand mit der oder dem Neuen am roten Teppich stehen kann. Wenigstens in seinem letzten Festivaljahrgang 2019 sollte das klappen, wenn die Netzwerke mit der Branche oder den Sponsoren nicht beschädigt werden sollen. Und nicht nur Kosslicks Vertrag läuft in eineinhalb Jahren aus, sondern der von Dutzenden weiteren Mitarbeitern – in teils tragenden Funktionen. Die wollen beizeiten wissen, ob und mit wem es für sie weitergeht, sonst suchen sie sich andere Jobs.

Welche Qualifikation ist erforderlich und welche Namen werden bereits gehandelt?

Dem Vernehmen nach hat Grütters mit etlichen potenziellen Kandidaten gesprochen, bisher vergeblich. Und nein, es steht nicht fest, dass es eine deutsche Frau sein muss, zerstreute Grütters am Montagabend entsprechende Gerüchte um die Berlin-Brandenburger Medienboardchefin Kirsten Niehuus und NRW-Filmstiftungschefin Petra Müller. Die Suche ist offen: Es gebe keine Vorfestlegungen, so Grütters.

Falsch sei auch das Gerücht, wonach Kosslick für eine Schlüsselposition nach 2019 gesetzt sei. Namen werden noch nicht genannt. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin muss exzellente Filmkenntnis mitbringen, Festivalerfahrung, beste Kontakte zur Filmindustrie von Peking bis Hollywood und zur Weltkinoszene. Es muss kein Deutscher sein. Aber Berlin, das so speziell tickt und mit der Berlinale alljährlich im Februar die größte Kulturveranstaltung der Nation präsentiert, darf ihm oder ihr nicht fremd sein.

Wie soll die Findungskommission besetzt sein?

Es werden wohl acht oder neun Personen sein, davon drei Aufsichtsratsmitglieder: die Kulturstaatsministerin als Vorsitzende und oberste Dienstherrin, Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin von German Films – das Branchenunternehmen ist für die Promotion des deutschen Films im Ausland zuständig – und Senatskanzleichef Björn Böhning für Berlin. Es wäre gut, wenn sie als zusätzliche Experten Arthouse- und Festivalkenner hinzuziehen, Weltvertriebschefs, Verleiher, Produzentinnen, Filmschaffende – Menschen die hauptberuflich auf Festivals und in der internationalen Filmszene unterwegs sind. Diese Gruppe soll im Januar möglichst feststehen. Sie soll dann „Vorschläge zur künftigen Struktur und zu den damit verbundenen Personalentscheidungen“ erarbeiten, heißt es in einer Erklärung aus Grütters Behörde.

Soll sich auch die Organisationsstruktur der Berlinale künftig ändern?

Unbedingt. Die Gewaltenteilung in der Chefetage wird seit Jahren diskutiert, sie ist überfällig. Unter den großen A-Festivals hat die Berlinale ein Alleinstellungsmerkmal: Anders als Cannes und Venedig ist sie ein Publikumsfestival, anders als das Publikumsfestival Toronto hat sie einen Wettbewerb – und dazu noch einen boomenden Filmmarkt, den nach Cannes zweitgrößten der Welt.

Auch hier fragt sich, warum die Arbeitsteilung zwischen kaufmännischer und künstlerischer Leitung für die Zeit nach 2019 nicht längst beschlossene Sache ist. Zumal weitgehend Einvernehmen herrscht; sowohl Grütters als auch Kosslick und die Filmszene sprechen sich dafür aus. Der KBB-Aufsichtsrat hatte Dieter Kosslick um seine Expertise gebeten, auf der Sitzung am Dienstag wurde dessen Konzeptpapier diskutiert. Es wird wohl auf eine Trennung zwischen kuratorischer Arbeit und Verwaltungsaufgaben hinauslaufen. Strittig ist dem Vernehmen nach ein wenig die Reihenfolge der Entscheidungen: Erst Struktur inklusive Jobprofil, dann Personalsuche – oder sollten die Stellenprofile auf geeignete Kandidaten zugeschnitten werden?

Die Findungskommission muss jedenfalls nach zwei Personen Ausschau halten. Eventuell sogar nach drei. Nach einem künstlerischen Leiter und einem Intendanten fürs Organisatorische der Festival-GmbH einschließlich des Filmmarkts, mit Verantwortung für das Jahresbudget von gut 26 Millionen Euro. Der Aufsichtsrat wird klären müssen, ob diese Person dann auch Finanzen, Verwaltung und Personal organisiert und vor allem dafür sorgt, dass wie bisher zwei Drittel des Budgets selbst erwirtschaftet werden (über Ticketverkäufe, Drittmittel, Sponsoren, Merchandising). Der Job könnte auch von einem zusätzlichen Festivalmanager geleistet werde, wie es ihn unter Kosslick schon gibt – in Person von Johannes Wachs.

Welche besonderen Herausforderungen hat die künftige künstlerische Leitung der Berlinale zu erwarten?

Es gilt, das Hauptprogramm mit dem Wettbewerb im Zentrum zu stemmen, gemeinsam mit der Auswahlkommission. Einschließlich Galaprogramm und Ehrenbär. Auch sollten die übrigen Festivalsektionen (mit eigenen Leitungen) einer Revision unterzogen werden, um die Programmstruktur insgesamt eventuell schärfer oder neu zu profilieren. Der künstlerische Leiter ist der oberste Kurator der Berlinale, er oder sie sollte endlich genügend (Reise-)Zeit haben, damit weltweit die besten Regisseure und deren Wer- ke umworben werden können. Nur so lassen sich die strukturellen Nachteile gegenüber Cannes und Venedig ausgleichen.

Venedig ist Startrampe für die Oscar-Kandidaten. Die Berlinale bekommt diese Filme nicht, wegen des zu späten Termins: Die Filmemacher und Stars sind im Februar mit der Promotion ihrer Werke in den USA beschäftigt. Die Berlinale könnte vom Oscar-Rennen nur profitieren, wenn sie in den Dezember vorverlegt würde. Aber das wäre schlecht für den Markt: Ende des Jahres sind die Kassen der Filmeinkäufer leer.

Am schärfsten ist die Konkurrenz mit Cannes. Denn das Topfestival für die Filmkunst profitiert davon, dass Frankreich eine Filmnation ist – in der ein Gold-Bären-Gewinner wie „Nader und Simin“ fünfmal so viele Zuschauer anlockt wie in Deutschland. Auch sitzen die wichtigsten Weltvertriebe für Arthouse-Filme in Frankreich. Dieser Konkurrenz gilt es die Stirn zu bieten – im Namen des guten Films und des Berlinale-Publikums, das Deutschland einmal im Jahr eben doch zur Filmnation macht.

Was sagen die Filmemacher?

Dass das Festival „entschlackter“, also konzentrierter und kantiger werden soll, so wie einst das in den Sechzigern als „Anti-Berlinale“ gegründete Internationale Forum des jungen Films, die heutige Sektion Forum. Und dass der Weg in die Zukunft transparent sein möge, wie Regisseur und Filmpublizist Christoph Hochhäusler und der Dokumentarfilmer Thomas Heise sagen. Die beiden halten am Montagabend zu Beginn der Podiumsdiskussion als West-Ost-Duo ein provokativ formuliertes „Impulsreferat“ und lesen der Berlinale ungeachtet der Tatsache, dass dort regelmäßig Filme von Andreas Dresen oder Volker Koepp laufen, als „westlastig“ die Leviten. Die Auswahlentscheidungen des Festivals seien zu stark von „vernünftigen“ Entscheidungen geprägt. Zu sehr abhängig von den Interessenvertretern der Filmförderung, der Filmwirtschaft und des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. „Statt Filmvielfalt herrscht Einheitsbrei“, sagte Thomas Heise und adaptierte einen Satz von Voltaire: „Das Geheimnis der Langeweile ist es, alles zu zeigen.“

Konkrete Vorschläge, auf welche Sektion die Berlinale zukünftig verzichten solle, machte Diskutant Hochhäusler jedoch keine. Volker Schlöndorff betont den Unterschied zwischen dem bodenständigen „Volksfest“ Berlinale und der Konkurrenz in Cannes. „Die Franzosen haben einen elitären Kunstbegriff.“ Den will er der Berlinale ebenso wenig wie Hochhäusler überstülpen, obwohl dessen Forderung nach einer Verschlankung auf weniger, aber dafür künstlerisch profiliertere Filme durchaus danach klingt.

Wie reagiert die Filmwirtschaft?

Allein der Aufmarsch der Filmschaffenden im gut gefüllten und mit Zwischenrufen von „Buh“ bis „nun antworte doch mal konkret“ engagiert in die Diskussion funkenden Auditorium belegt die Bedeutung des Festivals als Flaggschiff der deutschen Filmszene – und damit auch der Filmwirtschaft. Neben zahlreichen Berlinale-Mitarbeitern sind Regisseurinnen und Regisseure wie Valeska Grisebach, Dietrich Brüggemann, Sebastian Schipper und Simon Verhoeven zu sehen. Auch zahlreiche Produzenten sind gekommen, darunter Stefan Arndt und Bettina Brokemper, außerdem aus Hamburg oder Leipzig angereiste Filmförderer und Festivalmacher. Die Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft vertritt Präsident Alfred Holighaus.

So wie alle Diskutanten spricht sich auch Produzent Thomas Kufus auf dem Podium für ein Tandem als Festivalleitung aus. Der künstlerische Leiter müsse Cinephilie und Netzwerk mitbringen und den Blick dafür, „wo gerade an der Ästhetik des Kinos gearbeitet wird“. Wobei die Berlinale, so die einhellige Meinung, inzwischen weniger als ökonomisches Sprungbrett für einen Film dient, sondern als Bühne für die internationale Gattung „Festivalfilm“, das heißt: den nur dort ein Publikum findenden Arthouse-Film.

Wird sich der Charakter der Berlinale als weltgrößtes Publikumsfestival verändern?
Dagegen, dass sich das Festival zu einem zweiten Cannes oder Venedig entwickelt, wo normale Kinogänger kaum Chancen auf Karten haben, sprechen sich sowohl die Diskutanten als auch Staatsministerin Grütters aus. Sie betont in ihrem Eingangsstatement die weltweite Strahlkraft der Berlinale. Das Filmfest ist nicht nur Plattform für Filmschaffende, Filmbusinessleute und Kritiker, sondern auch und vor allem ein Treff der Kinoverrückten. Der größte Teil des Berlinale-Publikums mit bis zu einer halben Million Kinobesuchen pro Festival dürfte sich für Personal- und Strukturfragen übrigens weniger interessieren.

Christiane Peitz, Gunda Bartels

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