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Hülle und Fülle. Christo, geb. 1935 in Bulgarien, bereitet für Abu Dhabi das Projekt „The Mastaba“ vor.
© Wolfgang Volz/André Grossmann Christo

Christo im Interview: „Wenn die Arbeit gut ist, ist sie politisch“

Größer als die Cheops-Pyramide: ein Gespräch mit Christo über Kunst und Protest, Inspiration und Ausdauer – und sein Projekt in der Wüste.

Herr Christo, Sie haben auf der Berlinale vor jungen Filmemachern gesprochen, um ihnen Mut zu machen. Woher beziehen Sie selbst Ihre Energie und Zuversicht?

Ich befinde mich in einem permanenten Prozess: andauernd Diskussionen, Treffen, wieder neue Planungen. Für alle unsere Projekte müssen wir zunächst diskutieren, ob wir die Erlaubnis bekommen und vor allem wie. Wir reden mit vielen verschiedenen Menschen, Kindern, Politikern. Es ist Teil jedes Projekts, über unsere Arbeit zu informieren.

Welche Gefühle erwachen in Ihnen, wenn Sie heute am Reichstag vorbeikommen, den Sie 1995 verpackten und damit für immer verwandelten?

Wir haben den Reichstag genauso zurückgelassen, wie wir ihn vor der Verhüllung vorgefunden haben. Und doch ist es, als würde man zu seinem Kind zurückkehren. Der „Wrapped Reichstag“ steht für eine bestimmte Zeit in unserem Leben. Natürlich berührt es mich, wenn ich an einen solchen Ort zurückkehre, ebenso bei den Kliffs in Australien, die wir Ende der 60er Jahren verhüllt haben. Damals habe ich mir die Schulter ausgekugelt, daran erinnere ich mich dann ebenfalls. Das war absolut verrückt, wir waren so naiv. Jedes Projekt ist einmalig, sie wiederholen sich niemals.

Das Projekt „Over the River“ entlang des Arkansas River in Colorado wird allerdings keine Fortsetzung finden – wegen des Regierungswechsels in den USA. Warum warten Sie nicht vier Jahre bis zur nächsten Präsidentenwahl?

Wir haben schon viele Projekte aufgegeben. Es gibt mehrere Gründe, warum wir „Over the River“ nicht mehr weiterverfolgen, nicht nur politische. Der wichtigste: Die Chemie stimmte nicht mehr. Warum sollte ich so tun als ob? Ich bin nicht mehr so jung. Meine Projekte sind alle politisch, das ist richtige Politik, nicht nur eine Demonstration von Politik. Jedes Gespräch mit einem öffentlichen Vertreter, jeder Genehmigungsantrag, den wir stellen, hat eine politische Dimension. Wir bauen eine Verbindung auf zur Region, zu den Menschen, die dort leben. Auch das ist politisch. Sonst geht es nicht. Während der Bush-Ära gerieten die Verhandlungen ins Stocken, die Demokraten unterstützten unser Projekt, die Republikaner nicht, dann ging es weiter, und jetzt stecken wir wieder fest.

Ihre Absage ist auch deshalb schade, weil „Over the River“ zu einer Kundgebung für die Kunst, die Schönheit hätte werden können. Bedauern Sie es nicht?

Aber wenn ich mit dem Herzen nicht mehr dabei bin, warum sollte ich es dann noch weiter verfolgen? Okay, ich habe die Absage zu einem Zeitpunkt verkündet, der politisch aufgeladen war, kurz nach der Amtseinführung von Trump. Wie jeder Maler, der einen inneren Wunsch verspüren muss, um ein Bild zu malen, brauche auch ich dieses besondere Gefühl, muss ich den inneren Wunsch verspüren. Es muss einfach diesen zauberischen Moment geben, in dem alles plötzlich zusammenpasst, wie damals beim Reichstag, als Rita Süssmuth, die Bundestagspräsidentin, uns ihre Unterstützung zugesagt hatte. Alle unsere Projekte funktionieren am Ende nur, wenn wir eine harmonische Situation mit den Entscheidungsträgern hergestellt haben. Und, ehrlich gesagt, wie sähe das aus, wenn sich Trump vor „Over the River“ präsentieren würde. Nein Danke!

Die Absage wurde als Akt des Protestes gegen Trump wahrgenommen.

Ich bin nicht dafür da, den Menschen gute Gefühle zu verschaffen oder ihnen zu helfen. Das sehe ich nicht als meine Aufgabe an. Das Projekt ist absolut autonom, es ist freie, irrationale Kunst. Es ist mein Geld, meine Idee, meine Entscheidung.

In Ihrer Arbeit gibt es aber dieses Element von Freude und Glück für den Besucher.

Das stimmt, aber daran bin ich nicht wirklich interessiert. Es geht zunächst nicht um kollektives Erleben, sondern um eine singuläre abstrakte Idee, die weder in der Politik noch im normalen Leben existiert. Aber wenn diese beiden Sphären zusammenkommen, dann passiert es.

Worin besteht die politische Dimension Ihrer Arbeit?

Meine Kunst ist sehr politisch. Das sieht doch jeder, nur die Kunsthistoriker nicht. Die wollen das nur in gemalten Bildern erkennen. Aber damit habe ich nichts zu tun, mit dieser Illustration von Politik. Die Kunst ist voll davon: Videos, Filme. Ich arbeite aber mit realer Politik, ich habe mit richtigen Menschen, richtigem Wasser zu tun, Wind, Sand, the real thing. Die anderen Künstler bleiben in schönen, warmen Galerieräumen. Das hat nichts mit der Realität zu tun. Ich muss dagegen so arbeiten, als würde ich eine Autobahn oder eine Brücke bauen wollen, mit der ganzen Logistik und den Auseinandersetzungen mit den Kommunen. Darin besteht die besondere Dialektik meiner Arbeit. Die Kunsthistoriker sind dafür blind, sie schauen sich meine Projekte an, als wären sie ein Gemälde, eine Skulptur oder eine Installation.

Was raten Sie jungen Künstlern heute, zumal in den Vereinigten Staaten?

Die Situation ist nicht nur in den USA schwierig. Die Krise betrifft die ganze Welt. Ich rate, nicht vordergründig Politik darzustellen; das wäre Illustration. Ich sage: Macht Eure Arbeit, dann wird sie politisch sein, wenn sie gut ist.

Wenn wir uns die Bilder von den „Floating Piers“ auf dem Lago d’Iseo anschauen – war diese Schönheit nicht auch für Sie ein auslösendes Moment?

Die Entwürfe werden zwar immer für bestimmte Gegenden gemacht, sei es bei den „Gates“ im Central Park in New York, sei es beim Reichstag in Berlin. Aber zuerst braucht es diese Idee, diese Vision, und dann beginnt der komplizierte Genehmigungsprozess. Das funktioniert eben nicht immer. Die „Floating Piers“ wollten wir zunächst auf dem Rio de la Plata in Argentinien und dann in der Bucht von Tokio realisieren. Dort hatten wir es fast geschafft, die Behörden kamen uns entgegen, aber nicht so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Ich habe mir gedacht, warum nicht Italien? Da haben Jeanne-Claude und ich schon so viel gemacht. Dort würde man uns verstehen, und es ginge schneller. So war es dann auch.

Diese Hartnäckigkeit zeichnet alle Ihre Arbeiten aus, insbesondere das „Mastaba“- Projekt in Abu Dhabi.

Seit 1979 sind wir da dran. Ich habe schon sehr viel früher Skulpturen aus Ölfässern gemacht, erstmals 1961 in Köln im Rheinau-Hafen. „Mastaba“ wird die größte Skulptur sein, die jemals entstand. Es braucht drei Jahre, um sie zu errichten. Die Grundfläche ist größer als der Petersplatz in Rom. „Mastaba“ wird größer als die Pyramide von Cheops sein: 400 000 Ölfässer, bis zu 150 Meter hoch aufeinander gestapelt. Es wird wunderschön aussehen, die Wüste dort ist umwerfend, ganz in der Nähe gibt es eine Oase. Und jetzt haben wir die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright in unserem Team. Mit ihr schaffen wir es.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Rüdiger Schaper.

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