Unesco-Generaldirektorin Bokova zu Syrien: Was wir der syrischen Bevölkerung schulden
Die Unesco bringt vom 2. bis 4. Juni 2016 syrische archäologische Teams sowie Experten aus aller Welt in Berlin zusammen. Generaldirektorin Irina Bokova äußert sich exklusiv zum Ziel der Konferenz.
Das Kulturerbe der Menschheit erfährt heute im Irak und in Syrien Zerstörung in bis dato unbekanntem Ausmaß.
Die gezielte Zerstörung von Kulturerbe ist ein Kriegsverbrechen – und sie ist zu Kriegstaktik und Propagandawerkzeug geworden.
In Syrien sind zwei Drittel der Altstadt von Aleppo zerbombt und niedergebrannt. Die archäologischen Stätten Dura-Europos und Apamea sind durch den kriminellen Handel mit Kulturgütern in industriellem Ausmaß ausgebeutet worden. Archäologische Stätten stehen im Kreuzfeuer von Bodentruppen und Luftwaffe, und werden als Militärbasen missbraucht. Palmyra, das seit langem unzureichend geschützt war, hat über ein Jahr lang unbeschreiblichen Horror und Zerstörung erfahren.
Für dieses kulturelle und menschliche Chaos sind sehr viele verantwortlich; die Unesco verurteilt jegliche Zerstörung, egal wer sie zu verantworten hat. Das erste Opfer ist die syrische Bevölkerung. Aber inmitten breiter Machtlosigkeit ist es die syrische Bevölkerung, die Würde zeigt und die die durch das Kulturerbe getragenen universellen Werte verkörpert.
Ich denke an die Arbeit des syrischen Generaldirektorats für Antiquitäten und Museen, das tausende Objekte in Sicherheit gebracht hat und dieses Kulturerbe als Bastion gegen den Zerfall schützt.
Ich denke an die Bemühungen der syrischen Zivilbevölkerung, Mitglieder Organisationen wie der Association for the Protection of Syrian Archaeology (APSA), ASOR, Shirīn International, das Syrian Heritage Project, Heritage for Peace und viele mehr, die ihr Leben riskieren, um das Vermächtnis und die Zukunft des Landes zu dokumentieren und zu schützen.
Die UNESCO ist unendlich dankbar, und steht ihnen bei.
Das bedeutet mehr, als nur Steine zu retten.
Syrer, wie der in den Ruinen von Palmyra ermordete Archäologe Khaled Al Assad, erinnern uns daran, dass wir nicht nur aus Fleisch und Blut sind – wir verkörpern auch Werte, die es gilt weiterzuvermitteln, und viele sind gestorben, um diese zu verteidigen.
Kulturerbe steht für Grundwerte der Zivilisation, ohne die es keine menschliche Gesellschaft gäbe. Syrien ist ein kultureller Knotenpunkt reich an assyrischem, griechischem, römischem, persischem und islamischem Erbe, der verdeutlicht, dass Kulturen sich durch gegenseitige Einflüsse erweitern. Sie sind keine „Museumsstücke“, sondern der lebende Beweis für die Freiheit und Würde eines Volkes.
Die weltweite Mobilisierung belegt, dass Kultur, über politische Differenzen hinaus, ein gemeinsamer Nenner für Dialog und Frieden sein kann. Dutzende Länder, die Vereinigten Staaten, Deutschland, die Schweiz, China, haben ihre Grenzkontrollen für Antiquitäten, die zur Finanzierung von Terrorismus gehandelt werden, verstärkt. Britische, schwedische und türkische Zollbeamte haben verdächtige Objekte beschlagnahmt. Frankreich und Japan stellen ihre Expertise zur Verfügung und unterstützen junge Forscher. Die Europäische Union, Österreich, Flandern und andere leisten finanzielle Unterstützung. Italien hat eine Sondereinheit mit Experten und Carabinieri gebildet. Die Russische Föderation, deren Einsatz entscheidend dazu beigetragen hat, Extremisten aus Palmyra zurückzudrängen, unterstützt die Bergung des zerstörten Museums. Die jüngste Entscheidung des Exekutivrats der Unesco zum Schutz des syrischen Kulturerbes wurde einstimmig verabschiedet.
Trotz Verzögerungen und fehlender Ressourcen bereitet diese Mobilisierung Hoffnung, die auf der Grundlage klarer Prinzipien weiter wachsen kann.
Syriens Kulturerbe ist unteilbar
Erstens ist die Zerstörung von Kulturerbe Teil der humanitären Krise, und die Bewahrung dieses Erbes ist untrennbar vom Schutz von Menschenleben.
Zweitens ist Syriens Kulturerbe unteilbar: wir können Palmyra nicht versuchen zu retten und Aleppo dem Verfall preisgeben; wir können uns nicht um den Crac des Chevaliers sorgen und Mari vergessen.
Dieses Welterbe ist das Erbe aller Syrer ohne Unterschied, und niemand kann darüber beliebig verfügen.
Aus diesem Grund weist die Unesco übereilte und unilaterale Restaurierungsprojekte zurück, und mahnt zu Vorsicht, Verantwortung und Respekt für Prioritäten, in einem Land in dem ein Konflikt wütet.
Es ist jetzt am dringendsten ohne Verzögerung zu dokumentieren und zu retten, was zu retten ist, wo immer möglich, wie es bereits seit über fünf Jahren durch die verschiedensten Maßnahmen geschehen ist – zum Beispiel Notfallmaßnahmen, Training, oder Material, das tonnenweise vor Ort geliefert wurde, sowie die Mission zur Schadensevaluierung am vergangenen 25. April.
Das wir mehr tun und besser handeln müssen ist klar. Niemand, auch nicht die Unesco, kann Lektionen erteilen. Alles was zählt, ist die Bereitschaft mit jedermann zusammenzuarbeiten, sich auf das Kulturerbe zu konzentrieren, und zu verhindern, dass es ausgeschlachtet wird. In diesem Sinne bringt die Unesco vom 2. bis 4. Juni 2016 syrische archäologische Teams sowie Experten aus Syrien und dem Rest der Welt in Berlin zusammen.
Diesen konstruktiven Dialog herzustellen, ist in sich selbst eine Herausforderung. Und trotzdem ist das eine der unabdingbaren Voraussetzungen, um sicherzustellen, dass sich die Kultur in Syrien bald wieder erholt, wie sie es in Timbuktu, im Tal der Buddhas in Bamiyan, in Mostar in Bosnien und Herzegowina und in Warschau nach 1945 getan hat. Wann immer Kultur wiedergeboren wird, steht mit ihr ein ganzes Volk wieder auf.
Irina Bokova ist Generaldirektorin der Unesco. Sie hat zu der internationalen Expertenkonferenz zum syrischen Kulturerbe in Berlin eingeladen.
Irina Bokova
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