Chef der syrischen Antikenverwaltung im Interview: "Die Befreiung Palmyras war eine Befreiung für die ganze Welt"
Die Terrormiliz IS ist vertrieben. Gut 80 Prozent des antiken Palmyra sind in gutem Zustand. Ein Gespräch mit Maamoun Abdulkarim, dem Generaldirektor der syrischen Antikenverwaltung.
Maamoun Abdulkarim ist seit 22 Jahren Professor für Archäologie an der Universität Damaskus und seit August 2012 Generaldirektor der syrischen Antikenverwaltung DGAM (Direction Générale des Antiquités et des Musées) – ein wissenschaftliches Ehrenamt. In Syrien tobt seit über fünf Jahren ein desaströser Bürgerkrieg mit hunderttausenden Opfern. Abdulkarim fühlt sich als Wissenschaftler dem Schutz des syrischen Kulturguts verpflichtet. Wir sprachen mit Abdulkarim am Telefon.
Herr Maamoun Abdulkarim, wie geht es Ihnen nach der Rückeroberung von Palmyra?
Die Befreiung von Palmyra war eine Befreiung für die ganze Welt. Palmyra ist eine Ikone der Seidenstraße, eine der schönsten Städte ihrer Zeit. Als ich das Video eines russischen Journalisten gesehen habe, das einen Drohnenflug über Palmyra zeigt, habe ich geweint. Ich habe nur zweimal in meinem Leben geweint: bei der Geburt meiner Tochter 2003 und jetzt als Direktor der syrischen Antikenverwaltung DGAM. Es sind mehr als 1000 Minen in der antiken Stadt versteckt. Stellen Sie sich vor, wenn der IS das alles gesprengt hätte. Welch ein Verlust für die Welt! Palmyra gehört zum Weltkulturerbe und daher trägt auch die Welt Verantwortung dafür. Wir sind jetzt dabei, die Minen zu räumen.
Wie geht es Ihren Kollegen aus Palmyra?
Die Kollegen sind mit der Bevölkerung aus der Stadt geflohen, aber sie kommen zurück, wenn sich die Lage beruhigt hat. Eine Gruppe ist in Homs, eine weitere ist gerade in Palmyra eingetroffen. Ich kann Ihnen sagen, dass 84 Prozent der antiken Stadt in gutem Zustand sind.
Um Palmyra wurde gekämpft. Haben die Kämpfe die antiken Stätten in Mitleidenschaft gezogen?
Ich kümmere mich nicht um Politik. Meine Arbeit gilt ganz Syrien. Die Kämpfe haben in der modernen Stadt Tadmor stattgefunden. Palmyra bot den Terroristen des IS keinen Schutz. Die Gebäude Palmyras haben keine Dächer zum Schutz vor der Witterung bekommen, das haben wir vor Jahren abgelehnt. Hätten wir damals Dächer gebaut, hätte der IS sich dort verstecken können. Ein Turm der Zitadelle ist beschädigt, aber alle wichtigen Gebäude, die Kolonnaden, die Agora, der Nebo-Tempel, die Stadtmauer, die Umfassungsmauer des Baal-Tempels sind zum Glück noch intakt.
Wie ist es um die Antiken bestellt?
Wir nehmen gerade die Schäden auf, in der Stadt, aber auch im Museum von Palmyra. Ich erinnere daran, dass wir 90 Prozent der Exponate vorher schon nach Damaskus in Sicherheit gebracht hatten. 400 Statuen lagern sicher in Damaskus. Einigen Statuen – wir konnten die großen nicht alle abtransportieren – haben die Terroristen die Gesichter abgeschlagen. Die Fragmente liegen am Boden, man kann sie restaurieren. Der IS hat kein Interesse an Statuen, für sie sind das Götzen. Sie suchen Gold, Siegel, Tontafeln und Vasen, um sie zu verkaufen und damit ihren Terror zu finanzieren.
Wenn man Fotos aus den 50er Jahren betrachtet, sehen etwa die Kolonnaden viel fragmentarischer aus als heute. In Palmyra ist in der Vergangenheit auch viel restauriert worden?
Richtig. Es gab große Restaurierungen bei den Kolonnaden und die Hälfte des Theaters ist ebenfalls rekonstruiert. Zerstört wurden die Cella des Baal- und des Baal-Shamin-Tempels, der Triumphbogen und einige der Grabtürme.
Wie stehen Sie zum Wiederaufbau von Palmyra?
Meine Idee ist es, die Tempel genau zu untersuchen. Der Eingang des Baal-Tempels ist noch echt, ebenso die große Treppe, die hinaufführt. Viele der Säulen sind nur umgestürzt und nicht explodiert. Man kann sie wieder aufrichten. 30 Prozent waren ohnehin Rekonstruktion. Es wird nicht mehr so sein wie früher, aber man kann den Tempel wieder aufbauen. Der Triumphbogen zu Beginn der Kolonnade ist in den 30er Jahren teilweise rekonstruiert worden. Wir werden auch ihn mit Respekt restaurieren – in Absprache mit den internationalen Experten der Unesco. Man wird beide Tempel im Laufe von fünf Jahren wieder aufbauen können, wenn der Friede in Palmyra erhalten bleibt.
Wann wäre der richtige Zeitpunkt?
Wissen Sie, wir warten nicht, bis Frieden herrscht. Wir restaurieren auch im Krieg. Das haben wir 2014 an der Kreuzritterburg Craq des Chevaliers getan und im vergangenen Jahr in dem christlichen Bergdorf Maaloula. Wenn die internationale Gemeinschaft Geld gibt, können wir Palmyra wieder aufbauen. Der DGAM unterstehen 500 hoch qualifizierte Architekten und Ingenieure, die bereit sind, im ganzen Land die Dinge zu untersuchen. Für Palmyra benötigen wir etwa 30 Architekten und Ingenieure. So werden wir bei der Restaurierung des Baal-Tempels Kollegen einsetzen, die bei der Restaurierung der Zitadelle von Damaskus Großes geleistet haben. Das sind erfahrene Leute.
Wie steht es um die internationale Unterstützung?
Deutschland hat starke und ermutigende Signale der Unterstützung gegeben, vor allem Friederike Fless vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) und Markus Hilgert vom Vorderasiatischen Museum. Besonders Berlin hat eine feste Bindung zum syrischen Kulturerbe. Deutschland war einer der Ersten, die uns Hilfe angeboten haben, aber auch Italiener, Russen und Briten.
Wie sähe Ihr Zeitplan aus?
Mein Traum wäre es, sofort zu beginnen. Aber in diesem Jahr arbeiten wir einen genauen Plan aus, um die Welt zu mobilisieren – zusammen mit der Unesco. Wenn der Frieden in Palmyra hält, könnte man 2017 in Palmyra anfangen, wenn sich auch internationale Restauratoren beteiligten.
Wie steht es um die antiken Stätten, die nicht so im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, etwa Suweida oder Bosra?
In Suweida herrscht kein Krieg, da haben wir keine Probleme. Bosra ist nicht in Händen der Regierung, aber dort arbeiten wir mit einem guten Architekten zusammen. Schlimmer steht es um Dura Europos am Euphrat und Apameia - diese Grabungsstätten sind von der Mafia schwer geplündert und beschädigt worden.
Wie steht es um Aleppo?
Aleppo ist für uns eine große Herausforderung. Der berühmte Soukh und viele historische Bauten sind zerstört worden. Die Syrer wissen, was sie verloren haben. Die DGAM ist sehr stark. Wir werden Grabungen vornehmen und wir werden Dinge retten.
Aber wie widerstehen Sie einem möglichen Modernisierungsdruck?
Wir werden eine Modernisierung nicht akzeptieren. Das Holiday Inn in Damaskus hat vier Jahre gewartet, bis der Bau auch durch die DGAM genehmigt wurde. So einfach geht das nicht in Syrien. Wir haben starke Gesetze und die DGAM untersteht nur dem Kulturminister. Ich habe als Generaldirektor eine sehr starke Position. Wenn Gesetze zueinander in Konkurrenz stehen, ist das Antikengesetz immer das stärkere. Wissen Sie, wenn ich Beirut besuche, schmerzt es mich. In Beirut gibt es keine Geschichte mehr. Deswegen möchte ich das in Aleppo nicht noch einmal erleben.
Wie ist Ihr Plan?
Aleppo braucht viel Zeit und viel Geld. Wir werden historische Gebäude und den Soukh rekonstruieren, wir werden den Wert der Stadt Aleppo respektieren. Es wird niemals eine moderne Stadt werden. Die damalige Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ, heute GIZ, hat mit ihrem Revitalisierungsprojekt wertvolle Arbeit geleistet. Auf dieser gut dokumentierten Basis können wir uns dem Wiederaufbau Aleppos widmen.
Sind Sie bereit für Aleppos „Stunde Null“?
Deutschland ist für uns ein gutes Beispiel mit seinen Erfahrungen und ein erster Partner. Das DAI und die Staatlichen Museen zu Berlin haben immer Solidarität gezeigt, sie stehen zu uns. Politik ändert sich, aber das kulturelle Erbe bleibt. Wir als DGAM machen keine Politik, sondern kämpfen um ein Erbe, das Syrien und der ganzen Welt gehört.