"Stunde Null": Bereit für den Wiederaufbau in Syrien
Deutschland hilft: „Stunde Null – Eine Zukunft für die Zeit nach der Krise“ ist ein Modellprojekt des Archaeological Heritage Network für Syrien
Ruinen und noch mal Ruinen, Hausskelette, schwarze Fensterhöhlen, Schutt auf den Straßen, ein unglaubliches Chaos. Berlin 1945. Stunde Null. Als syrische Flüchtlinge diese fürchterlichen Bilder der Zerstörung im Deutschen Historischen Museum sahen, kam ihnen das bekannt vor. Berlin 1945 und Aleppo heute – eine traurige Parallele mit einem Funken Hoffnung: „Vielleicht können wir von den Deutschen lernen, wie man es schafft, ein so zerstörtes Land wieder aufzubauen, das heute groß und stark ist. Darüber müssen wir uns für Syrien Gedanken machen.
Das Interesse am Gelingen des Wiederaufbaus ist sehr groß“, sagte Bashar Almahfoud, Architekt und Guide bei dem Projekt Multaka – Treffpunkt Museum, das Geflüchtete durch vier Berliner Museen führt, vor seiner ersten Führung im vergangenen Jahr.
Aleppo, die große Handelsmetropole mit ihrer reichen, heute weitgehend zerstörten Altstadt, ist eine Herausforderung für die Zukunft.
Wie soll man dort jemals wieder in Frieden leben, wie soll die gut dokumentierte Stadt eines Tages wieder aussehen, wie steht es um das Verhältnis von Wiederaufbau, historischer Rekonstruktion und Neubau? Was soll Aleppo tun, wenn seine „Stunde Null“ naht?
„Stunde Null“ ist der beziehungsreiche Name eines Pilotprojektes, das das Deutsche Archäologische Institut (DAI) federführend mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes im Rahmen seiner Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik umsetzt. Es ist das erste Projekt des neuen Kompetenzverbundes Archaeological Heritage Network (ArcHerNet).
Dieses Projekt „Stunde Null“ ist nicht vom Himmel gefallen. Schon seit 2012 ist das DAI zusammen mit dem Museum für Islamische Kunst (MIK) der Staatlichen Museen zu Berlin dabei, im gemeinsam betriebenen Syrian Heritage Archive Project die gesamten in Berlin vorhandenen Materialien zu Syrien zu digitalisieren und in der Datenbank des DAI zu sammeln, um diese dann mit der Datenbank der syrischen Antikenverwaltung DGAM zu synchronisieren. Diese Daten bilden eine wertvolle Grundlage für den Wiederaufbau in Syrien.
„Wir haben eine lange Forschungstradition in Syrien. Wir verfügen über riesige Archive und diese gilt es den syrischen Kollegen zugänglich zu machen“, erklärt Friederike Fless, Präsidentin des DAI. „Um dies zu leisten, haben wir einen syrischen Kollegen eingestellt, der die Schnittstelle zur Datenbank in Damaskus programmiert“.
„Es war eine schwere Entscheidung, Syrien zu verlassen. Aber ich bin sehr glücklich, dass ich hier meine Arbeit der Digitalisierung fortsetzen und damit meinen Kollegen in Damaskus helfen kann, die Datenbank zu entwickeln“, erzählt Abdulsalam Almedani, der 13 Jahre lang das IT-Referat der DGAM in Damaskus geleitet hat.
"Diese Datenbank ist sehr wichtig für die syrische Antikenverwaltung. Die Deutschen und das DAI sind die einzigen, die uns eine solch umfangreiche Hilfe angeboten haben." Almedani spricht schon ein bisschen Deutsch. Wann immer er kann, besucht er neben seiner Arbeit Deutschkurse im DAI.
Geflüchteten und Einheimischen Arbeit geben
Im Frühjahr 2015 besuchte Friederike Fless zusammen mit Staatsministerin Böhmer Flüchtlingslager im Hattay-Gebiet an der syrischen Grenze. Deutlich wird in allen Anrainerstaaten Syriens, dass sich humanitäre Hilfe durch Arbeit und Ausbildung für Flüchtlinge mit Maßnahmen für die lokale Bevölkerung verbinden muss. Nur so können soziale Spannungen beseitigt und Stabilität geschaffen werden.
Margarete van Ess (DAI) arbeitet seit Jahren in Baalbek. Nun hat sie ein Projekt in Gang gesetzt, das libanesische und syrische Steinmetze in Konservierung und Restaurierung in einem mittelalterlichen Teil der Ruinenstätte ausbildet. Dieses Projekt gibt den Menschen Arbeit und stärkt die Zivilgesellschaft in Baalbek. Positiver Nebeneffekt: Die Menschen dort erfahren mehr über ihre eigene spannende Geschichte im Mittelalter, die bisher im Schatten der römischen Geschichte stand.
Die vermittelnde Kulturarbeit ist nichts Neues am DAI. In Gadara in Jordanien, dem heutigen Umm Qais, arbeitet Claudia Bührig schon seit zehn Jahren an der Erforschung und dem Erhalt der antiken Stadt. Und diese Arbeit hat eine neue Wendung erfahren. „Ab Mitte April werden zwölf Steinmetze, syrische Flüchtlinge und Jordanier, von deutschen Kollegen ausgebildet. Der Bedarf ist groß“, sagt sie.
Ein weiterer Baustein sind Studienprogramme des DAAD. So bieten die Universität Helwan und die BTU Cottbus-Senftenberg den Joint-Master „Cultural Heritage Studies“ an. Jetzt werden neben den Ägyptern auch geflüchtete Syrer dort Stipendien bekommen. Ähnliches gilt für die Deutsch-Jordanische Universität in Amman. Es geht darum, Programme, die funktionieren, zu erweitern. Alles ist auf den Wiederaufbau Syriens gerichtet. Die Gerda-Henkel-Stiftung beteiligt sich bei der unbürokratischen Finanzierung von Stipendien großzügig.
Das DAI habe schon lange viele Anfragen zur Hilfe beim Kulturerhalt bekommen. Dies intensivierte sich mit dem ersten Irak-Krieg, sagt Fless. Seit 2003 ist es zunehmend auch ein politisches Thema, Bedrohung und Zerstörung haben zugenommen. Kulturerhalt und Denkmalpflege sind aber in Deutschland Ländersache. Die Kompetenzen sind auf die Arbeit in den Bundesländern konzentriert.
Bündelung der Kompetenzen im Archaelogical Heritage Network
Aber die Grenzen zwischen Innen und Außen beginnen in der Auswärtigen Kulturarbeit zu fließen. „Wir haben viele Kompetenzen in Deutschland versammelt, aber niemanden, der sie für eine Arbeit im Ausland zusammenbringt“, sagt Fless. So entstand 2015 das Archaelogical Heritage Network, das genau diese verschiedenen Kompetenzen sammelt und bündelt.
Bei Ralph Bodenstein am DAI fließen alle diese Kontakte zusammen, er koordiniert das Netzwerk, zu dem der Verein der Freunde der Altstadt von Aleppo, die BTU Cottbus-Senftenberg, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Deutsche Unesco-Kommission, ICOMOS Deutschland, der DAAD, das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz DNK und die GIZ gehören. Aber damit nicht genug: Die HTW in Berlin und die RWTH Aachen, die Koldewey-Gesellschaft für baugeschichtliche Forschung, das Römisch-Germanische Zentralmuseum mit seinen Restaurierungslaboren, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Verband der Landesarchäologen und die Landesdenkmalämter sind ebenfalls mit von der Partie. Der Kreis erweitert sich graswurzelartig fast täglich. Auch die Gerda-Henkel-Stiftung beteiligt sich.
International einmalige Kooperation
Diese international einmalige Kooperation von Institutionen und Vereinen erlaubt es, vielfältige Angebote zu machen und den Syrern beispielsweise Praktika, längere Ausbildungsgänge und Volontariate anzubieten. Hier zeigt sich der deutsche Föderalismus einmal von seiner guten Seite, da er unabhängig von einer Zentrale flexibel reagieren und man auch effektiver Fördermittel erschließen kann. Am Ende vernetzt sich dann das Netzwerk mit dem Partnerland.
„Als ArcHerNet brauchten wir etwas Vorzeigbares, um zu zeigen, dass das Netzwerk funktioniert. Investoren und Bauformen stehen bereit für den Wiederaufbau. Nur wo bleiben die Denkmäler? Wenn man erst reagiert, wenn ein Wiederaufbau möglich ist, geht es vielleicht noch ums Business“, erklärt Friederike Fless – und man erinnert sich an die versäumten Chancen zur Rettung des kulturellen Erbes beim Wiederaufbau von Beirut.
„Stunde Null – Eine Zukunft für die Zeit nach der Krise“ ist als Modellprojekt modular aufgebaut. Es verbindet Maßnahmen in den Anrainerstaaten Syriens mit den Planungen für den Wiederaufbau Syriens. „Wir binden syrische Kollegen, die zu uns geflohen sind, ein. Sie haben die Möglichkeit, Zeit zu gewinnen, um sich zu orientieren. Sie planen ihre eigene Zukunft und die ihres Landes. Und gleichzeitig werden sie fit für den deutschen Arbeitsmarkt. Auf jeden Fall beschäftigen sie sich mental mit einer Zukunft in ihrer Heimat“, sagt Fless.
Die Syrer müssen entscheiden
Die HTW Berlin hat und wird syrische Studierende in ihre Studiengänge aufnehmen. „Wir sind sehr anwendungsbezogen auf Augenhöhe“, sagt dazu Professor Matthias Knaut. Studiengänge in Grabungstechnik und Museologie sowie der Dokumentation sind im Angebot. Der Umgang mit Dokumentationstechnologien könne je nach politischer Lage auch dort angeboten werden. Ein weiterer Schwerpunkt sind Fragen der Restaurierung und Lagerung von Artefakten. „Wir entscheiden dabei nichts und wollen die Syrer auch nicht mit einer Großer-Onkel-Politik überschwemmen“, sagt Knaut. „Was getan werden muss, sollen die Syrer entscheiden – wer sonst.“
„Problematisch sind bei Fragen des Wiederaufbaus Städte mit ihren historischen Stätten. Dort müssen schnell Entscheidungen getroffen werden, denn es besteht die Gefahr, dass dort, sobald es geht, ganz schnell gebaut wird", sagt Fless. Städte wie Aleppo genießen absolute Priorität, da die Stadt und ihr reichhaltiges kulturelles Erbe gut dokumentiert sind. Mit den Daten und Plänen der GIZ, die zur Wiederbelebung der Altstadt gearbeitet hatte und die im Aleppo Archive in Exile an der BTU Cottbus liegen, und den Daten des Syrian Heritage Archive Project habe man eine gute Ausgangslage für die Modellierung der Stadtplanung und den Wiederaufbau einzelner Monumente.
„Am Beispiel von Aleppo muss grundsätzlich diskutiert werden, welche Erfahrungen man aus dem Wiederaufbau Deutschlands mitnimmt - Hannover oder Münster? Behält man das Straßenraster bei, baut man den Basar zum Teil neu auf, welche Denkmäler werden als Blickpunkte rekonstruiert, wo sollte man vorher noch graben?", sagt Fless. Dazu werden Syrer in Deutschland ausgebildet, aber auch in den Anrainerstaaten - theoretisch und praktisch.
Die Syrer erarbeiten zusammen mit deutschen Stadtplanern in Cottbus und Denkmalexperten des Netzwerkes Planungsgrundlagen, die ihnen in der Stunde Null erlauben, Entscheidungen beim Wiederaufbau zu treffen.
„Wir setzen mit dieser Kulturarbeit ein Zeichen: Dieses Projekt ist Hilfe zur Humanität. Es schafft Perspektiven durch Ausbildung und die konkrete Arbeit am Wiederaufbau“, sagt Fless. Und man müsse dabei immer an die Menschen, die Kollegen denken, die oft Grauenhaftes erlebt hätten. „Wir kümmern uns um sie und wir geben dadurch Hoffnung.“
„Für uns syrische Archäologen in Deutschland ist es eine doppelte Katastrophe, der Verlust der Kulturgüter und die Sorge um unsere Familien“, sagt Wassim Alrez, der seit 16 Jahren in Deutschland lebt und am DAI arbeitet. Dass die Syrer in Deutschland jetzt für den möglichen Wiederaufbau ihrer Heimat arbeiten, macht sie glücklich.
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